Der Niedergang der Industrie hat dort das Aufblühen einer Finanzindustrie begünstigt, die das fehlende Wachstum künstlich erwirtschaften sollte. Ist das erstrebenswert?
Miegel: Wollen Sie mich nicht verstehen? Ich sage: Man kann innovativ sein, ohne expansiv zu sein.
Paqué: Erzählen Sie das mal einem Unternehmer. Wie stellen Sie sich das vor? Da geht der Chef in seine Forschungsabteilung und sagt: Leute, wir wollen keine neuen Märkte mehr erobern, wir verfolgen jetzt eine gezielte Strategie der Saturierung? Und was, wenn die Konsumenten das ganz anders sehen und das neue Produkt kaufen? Plötzlich haben sie – oh Schreck! – Wachstum!
Miegel: Sie wollen mich immer noch nicht verstehen. Das viel wahrscheinlichere Szenario ist doch, dass der Chef in seine Forschungsabteilung geht und sagt: Leute, die Rohstoffpreise und Umweltschutzauflagen erdrosseln uns. Lasst uns dringend etwas erfinden, das uns aus diesem Dilemma herausbringt. Auch wenn wir selbst dann eine Schrumpfung nicht ganz vermeiden können.
Paqué: Natürlich wird es immer Gewinner und Verlierer des Wachstums geben, aber insgesamt für die Gesellschaft ein Mehrwert herauskommen. Und der heißt Wachstum.
Aber was, meine Herren, sind die Lösungen? Sie, Herr Miegel, argumentieren apokalyptisch – und weichen der Frage nach den praktischen Konsequenzen einer Schrumpfkur aus. Sie, Herr Paqué, argumentieren zwangsoptimistisch: Nur mit mehr Wachstum überholen wir den wachsenden Ressourcenverbrauch – wie stellen Sie sich das vor?
Miegel: Ich rede vom Ende einer bestimmten Art zu wirtschaften und nicht vom Weltenende. Und die praktischen Konsequenzen hieraus, habe ich angesprochen. Ich sehe keine, die nicht zu handhaben wären. Und glücklicherweise hat das Umdenken ja auch schon eingesetzt. Das Problem ist: Es ziehen noch nicht alle mit. Deshalb stellt sich die Frage: Kann, darf und soll ein einzelner Staat vorangehen? Meine Antwort ist: Ja! Wer kann, muss jetzt das Notwendige tun.
Paqué: Wenn die Lage wirklich so dramatisch ist, wie Sie sagen, dann nutzt es überhaupt nichts, dass Deutschland vorangeht. Vor allem warne ich davor, Chinesen und Inder in ein Wachstumskorsett zu zwängen oder noch schlimmer: sie an den Pranger zu stellen.
Miegel: Das tut doch niemand.
Paqué: Was wir jetzt brauchen, sind geduldige Verhandlungen, bis diese Länder ein gewisses Wohlstandsniveau erreicht haben – und einen Bewusstseinswandel erleben. In 20, 30 Jahren wird China an einem Punkt sein, an dem sich auch dort andere Präferenzen durchsetzen werden. Und bis dahin müssen wir China mit einem Mix aus politischem Druck und technologischen Innovationen auf die Sprünge helfen.
Miegel: Sie kommen mir vor wie ein Autofahrer, der mit 100 Sachen auf eine Wand zurast und sagt: Bis jetzt ist doch alles gut gegangen. Das stimmt sogar. Aber irgendwann kommt aber der Punkt, da kann er so viel auf die Bremse treten, wie er will – er wird gegen die Wand prallen. Ihre Sicht mag ja realistisch sein, aber ich empfinde sie als zutiefst resignativ und folglich deprimierend.
Paqué: Ich warne vor überspannten Erwartungen, das ist alles. Und ich warne vor allem vor einem moralisierenden Ton. Ich verstehe mich nicht als verantwortungslosen Gesellen, der nicht vom Gaspedal runtergeht, sondern als nüchternen Beobachter, der weiß, dass zwischen Erkenntnis und Umsetzung politische Prozesse liegen, die Zeit brauchen. Wir müssen die Menschen in der ganzen Welt mitnehmen, und zwar auch jene, die heute noch mit bitterer Armut kämpfen.
Miegel: Also die Vorstellung, alles solle weiter wachsen, bis wir in einer Zeit angelangt sind, in der dieses Wachstum nicht mehr gebraucht wird – diese Vorstellung halte ich für abenteuerlich.
Paqué: Was empfehlen Sie denn?