Tracking der Energiewende #10 80 Genehmigungen, nur um ein Windrad zu transportieren

Energiewende in Deutschland: Der Rückstand wächst. Quelle: imago images

Komplizierte Verfahren verzögern die Energiewende. Was das bedeutet, wissen Spediteure für Windradteile besonders gut. Einer sagt: Es ist noch viel krasser, als alle glauben.

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Besonders schlimm, sagt Helmut Schgeiner, sind die Ohren. Nicht seine, sondern die an den Autobahnen. So nämlich nennen Spediteure wie Schgeiner, Vorsitzender des Verbands der Schwerlastlogistiker, die 270-Grad-Kurven an Autobahnkreuzen, auf denen Autos und Lastwagen von einer Autobahn nach links auf eine andere abbiegen können. Wenn es nicht gerade rutschig oder vereist sind, liegt in der Durchfahrt kein größeres Problem – für gewöhnliche Fahrzeuge.

Bei den Transporten, wie Schgeiners Kollegen sie organisieren, sieht die Sache anders aus. Die Rotorblätter für Windkraftanlagen der neuesten Generation sind üblicherweise 80 Meter lang, die Fahrzeugverbünde zum Transport mindestens 100 Meter. „Da sind für einen Autobahnwechsel schon mal größere Baumaßnahmen wie etwas Fahrbahnverbreiterungen notwendig“, sagt Schgeiner. „Streckensperrungen klingen im Vergleich dazu für viele harmlos, bringen aber meist aufwändige Umfahrungsstrecken mit sich.“ In der Kurve nämlich überragen die Teile die Straßenbreite deutlich, weshalb zum einen Bäume in der direkten Umgebung gefällt werden müssen und zum anderen die Gegenfahrbahn gesperrt werden muss.

Der Autobahnwechsel beim Transport der Teile ist nur eines der vielen Probleme, welche die beschleunigte Energiewende noch mit sich bringen wird. Schgeiners Ohren stehen exemplarisch für all die kleinen Baustellen, die das eine große Vorhaben nach sich ziehen wird. Dass die komplizierten Genehmigungsverfahren den Ausbau der Windkraft behindern, ist längst zum Allgemeinplatz geworden. Was das aber im Konkreten bedeutet und wie schwierig es werden wird, diese Probleme zu beseitigen, das zeigen die Sorgen der beteiligten Speditionskonzerne.

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„Ausufernde Bürokratie“

„Um alle Teile, die für die Montage eines Windrads der neuesten Generation notwendig sind, auf die Baustelle zu transportieren, sind 40 bis 80 Genehmigungen notwendig“, fasst Schgeiner das Ergebnis dessen zusammen, was er als „zunehmend ausufernde Bürokratie“ bezeichnet.

Um diese Vorgaben zu erfüllen, beginnt die Planung des Transports der Teile heute schon, lange bevor es auch nur eine Baugenehmigung gibt. Vom Produktionsort oder Entladehafen der Rotorblättern oder Turbinen bis zum Standort der Windräder muss die komplette Route von den zuständigen Behörden genehmigt werden. Es sind deshalb fast immer sowohl der Bund als auch verschiedene Länder und mehrere Kommunen beteiligt. Zunächst führen die Transportunternehmen eine Streckenprüfung durch, in der sie grundsätzlich eruieren, ob eine bestimmte Route für die gewünschte Fracht geeignet ist. Bei Bauteilen wie der Turbine macht vor allem das extrem hohe Gewicht die Sache kompliziert, bei den Rotorblättern ist es die Kombination aus enormer Länge und besonderer Anfälligkeit. „Ein Rotorblatt, das sich auch nur um ein paar Zentimeter verzieht, ist nicht mehr zu gebrauchen“, sagt Schgeiner.

von Martin Gerth, Julia Groth, Anton Riedl, Heike Schwerdtfeger

Haben die Unternehmen eine Strecke ausgemacht, die aus ihrer Sicht infrage kommt, lassen sie eine ausführliche Streckenstudie erstellen, in der von Fahrzeugabmessungen über den Streckenverlauf, Engstellen und Hindernisse alles beschrieben wird, was irgendwie relevant sein könnte. Diese müssen sie einreichen, um auf eine Genehmigung hoffen zu können. Oder besser: Eine Test-Genehmigung. Liegt diese vor, können die Logistiker die Strecke probeweise mit Fahrzeugen befahren, deren Achslasten und Ausmaße dem tatsächlichen Transport nahekommen. Erst wenn all das erfolgreich absolviert ist, wird der Transport genehmigt. „Dann heißt es hoffen, dass wirklich alles genau so kommt wie vorgesehen“, sagt Schgeiner. „Der heikelste Punkt sind dabei oft die vorgeschriebenen Pausen unterwegs.“

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Denn so ungewöhnlich der Transport eines 80 Meter langen Rotorblatts sein mag – für die Fahrer gelten die gleichen Regeln zu Lenkzeiten und Ruhepausen wie für alle anderen LKW-Fahrer. Zugleich dürfen die Transporte meist nur in der Nacht stattfinden, was immer wieder für heikle Situationen an den Parkplätzen sorgt: Damit ein Rotorblatt Pause machen kann, muss ein Parkplatz oder zumindest ein Abschnitt auf einer großen Rastanlage meist komplett leer sein. „Schon ein einzelner falsch abgestellter LKW macht den Stopp unmöglich“, sagt Schgeiner. Alternativen haben die Fahrer dann kaum. Wollen sie etwa die Autobahn verlassen und auf einem Autohof unterkommen, bräuchten sie, natürlich: eine Genehmigung für die „Fahrtwegerweiterung“, wie es im Behördendeutsch heißt.



Derzeit zumindest, das zeigen die aktuellen Werte des Energiewende-Trackings, sind solche Probleme eher eine Seltenheit auf deutschen Straßen. Denn: Wo kaum Windräder gebaut werden, da müssen auch kaum Rotorblätter transportiert werden. In der vergangenen Woche wurden gut 15 Megawatt Windkraftleistung ans Netz angeschlossen, das entspricht fünf neuen Windrädern.

Damit wird das Wochenziel erneut klar verfehlt. Deutlich positiver ist erneut das Bild beim Ausbau der Solarenergie. Mit knapp 130 Megawatt wurde der fürs Erreichen des Jahresziels notwendige Wochendurchschnitt zwar knapp verfehlt, der Ausbau liegt damit aber erneut deutlich über der Marke von 100 Megawatt.





Das ist vor allem deshalb ein guter Wert, weil es neben den aktuellen Meldungen im Register der Bundesnetzagentur immer auch einige Nachmeldungen gibt. Mit einem Abstand von rund zwei Monaten überprüfen wir die Wochenwerte deshalb erneut.

Dabei zeigt sich: In drei der vier Januarwochen lag der Zubau bei der Solarenergie deutlich über dem zunächst angegebenen Wert, nur in einer Woche wurden die Zahlen nach unten korrigiert. Auch bei der Windkraft gibt es Abweichungen, diese sind jedoch mit Ausnahme einer einzelnen Woche eher unbedeutend.



Auch an der Bilanz der Bundesländer ändert sich vorerst wenig. Der Zubau an Windkraft findet vor allem in Brandenburg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen statt. Bei der Solarenergie gibt in absoluten Zahlen Bayern den Takt vor, umgerechnet auf die Landesfläche schreitet der Ausbau in Nordrhein-Westfalen, Hessen und dem Saarland besonders schnell voran.

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