Tracking der Energiewende #17 Zwei Prozent Stillstand

Quelle: imago images

Mit detaillierten Vorgaben an die Länder will Wirtschaftsminister Robert Habeck den Ausbau der Windkraft erzwingen. Er hat die Rechnung ohne die Gerichte gemacht.

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Die Bundesregierung macht ernst mit dem Ausbau der Windkraft an Land. So lautete die naheliegende Zusammenfassung des Planungsbeschleunigungspakets II, welches das Kabinett in der vergangenen Woche beschlossen hat. Um die Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien zu erreichen, werden den Ländern darin konkrete Flächenziele vorgegeben. 

Zwei Prozent der gesamten Fläche Deutschlands sollen bis 2032 für den Aufbau von Windkraftanlagen reserviert sein. Um das zu erreichen gibt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) jetzt allen Bundesländern konkrete und rechtsverbindliche Ziele vor. So soll etwa Hessen 2,2 Prozent seiner Gebiete für die Windkraft ausweisen, Bayern 1,8 Prozent. Deutlich niedrigere Ziele gibt es nur für die drei besonders dicht besiedelten Stadtstaaten, die 0,5 Prozent ihrer Fläche mit Windrädern bebauen sollen. Bis 2026 müssen erste Zwischenziele erreicht sein, bis 2032 dann die Endsumme. Und wer es nicht schafft? Der wird erst recht mit Windrädern überhäuft, so die Drohung: Dann nämlich entfallen alle Beschränkungen, das ganze Bundesland wäre dann Windkraftzone.

Elefanten im Energiewendeland

Doch die Regelung klingt zwingender, als ihre Folgen in der Praxis tatsächlich sein dürften. Mehr noch, die vermeintlich radikale Beschleunigung könnte an mancher Stelle sogar zum genauen Gegenteil führen. Denn zwischen der Planung der Länder, den Anträgen der Projektierer und dem tatsächlichen Bau neuer Windräder stehen noch ein paar Elefanten im Energiewendeland: die Gerichte.

Die Vorranggebiete, die nun alle Bundesländer entsprechend den jeweiligen Zielwerten ausweisen sollen, werden erst seit einigen Jahren genutzt. Anfangs wurde der Ausbau der Windkraft umgekehrt organisiert: Die Länder machten keine pauschalen Vorgaben, stattdessen suchten sich die Projektierer attraktive Flächen, kontaktierten die Gemeinden und beantragten dann ihre Anlagen. Der Prozess hatte zwei Nachteile: Eine zentrale Steuerung des Ausbaus war schwer möglich, jeder einzelne Antrag konnte sehr lange dauern – und bei Klagen von Anwohnern oder Naturschützern schnell vor Gericht scheitern.

Also begannen nach der Jahrtausendwende die ersten Bundesländer, zentrale Ausbauflächen für gesamte Regionen zu definieren. Manche legten fest, dass nur dort Windräder entstehen dürften, andere erlaubten parallel weiterhin die individuelle Antragstellung. Und die meisten Länder durchlebten irgendwann die gleiche Krise: Die zentrale Flächenplanung, die den gesamten Prozess eigentlich beschleunigen sollte, wurde selbst vor Gericht angegriffen – und scheiterte fast immer.“


Die Flächenausweisung für die Windenergienutzung ist heute so unglaublich komplex, dass es nahezu unmöglich ist, die Pläne so aufzustellen, dass sie auch vor Gericht bestehen“, sagt Jürgen Quentin von der staatlich getragenen Fachagentur Windenergie an Land.

Heilung unmöglich

Die Folgen solcher Niederlagen aber sind gravierend. Selbst wenn es nur eine nebensächliche juristische Formalie ist, die sich als fehlerhaft erweist – sie macht den gesamten Plan unwirksam. Eine nachträgliche Heilung wie es im Juristendeutsch heißt, ist nicht möglich. Was das bedeutet, ist derzeit in Brandenburg zu sehen: Dort wurde 2015 ein Regionalplan aufgestellt, der abschließend festlegen sollte, wo Windkraftanlagen entstehen.



2018 scheiterte der Plan vor Gericht und seither gilt ein allgemeiner Ausbaustopp. Keine neuen Windräder, nirgends. Auch in Schleswig-Holstein gab es dieses Problem, fünf Jahre nach der gerichtlichen Niederlage folgte ein neuer Plan, der die juristische Prüfung bestand. So ist das Bundesland mit 2,03 Prozent rechtswirksam für die Windkraft ausgewiesenen Flächen heute neben Hessen (1,86 Prozent) das einzige Bundesland, das sein gestecktes Ziel schon mehr oder weniger erfüllt.

Für alle anderen Länder aber heißt es: Die Arbeit geht gerade erst los. Zwar haben auch einige ostdeutsche Bundesländer und Niedersachsen bereits ähnlich strukturierte Pläne auf regionaler Eben. Diese aber weisen zumeist deutlich zu niedrige Flächenanteile für die Windkraft aus und umfassen nur kleine Bereiche des jeweiligen Bundeslandes. Rechnet man nun hoch, wie sich dieser Planungsprozess entwickeln dürfte, dann droht eine zeitraubende Kaskade aus Planungen, Verfahren, Revisionen und Neuplanungen.



„Um bis zum Zwischenziel im Jahr 2026 entsprechende Windenergieflächen nachzuweisen, müssen die Länder schon heute mit der Planaufstellung beginnen“, sagt Windkraft-Experte Quentin.

Damit aber könnten viele der Planungen in einen toten Winkel der Gesetzgebung fallen: Bei der ersten Zwischenbilanz 2026 stünde ein Plan, der dann vom Bund akzeptiert wird. In der Folge würde dieser dann gerichtlich angegriffen, scheitert und müsste neu geschrieben werden. Bis es tatsächlich feste Flächen für den Ausbau der Windkraft gibt, könnten so zehn Jahre ins Land gehen. Zehn Jahre, in denen Minister Habeck seine Ausbauziele eigentlich längst erreicht haben wollte.

Lesen Sie auch: Das Tracking der Energiewende zeigt Deutschlands große Aufholjagd beim Ausbau der erneuerbaren Energien – aktueller Stand, Probleme und Ziele auf einen Blick.

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