Tracking der Energiewende #24 Trockner gegen Teller: Der nächste Streit beim Ausbau der Erneuerbaren ist schon in Sicht

Energie oder Nahrung? Der Konflikt lässt sich lösen Quelle: imago images

Um die Ausbauziele zu schaffen, entstehen immer mehr Solaranlagen auf Wiesen und Feldern – und neue Konflikte zwischen Energie, Naturschutz und Ernährung. Dabei lässt sich der Widerspruch auflösen.

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1,65 Gigawatt. So groß ist die Leistung aller großen Solaranlagen, die seit Jahresbeginn in Deutschland errichtet worden sind. Und zwar vorrangig auf Wiesen, Feldern oder Industriebrachen. In die Kategorie fallen alle Solarfarmen mit einer Leistung von mehr als 750 Kilowatt, die nicht mehr pauschal vergütet werden, sondern frei verkauft werden müssen. Es ist nicht nur die größte Kategorie, für die Energiewende ist es auch die wichtigste. Denn die im freien Feld errichteten Solaranlagen sind in vielerlei Hinsicht effizienter als kleine Solarpaneele auf Hausdächern.

Das betrifft zum einen die Installation selbst, da hier vom Stromanschluss bis zur Montage viele Arbeitsschritte deutlich schneller erledigt sind und die Errichtung daher in Bezug auf die Leistung der Anlagen deutlich effizienter ist. Auch die Leistung der Anlagen selbst ist viel höher, da sie sich in ihrer Position und Neigung nicht nach dem Einfamilienhaus darunter richten müssen. Stattdessen können sie im optimalen Winkel von 30 Grad montiert und so ausgerichtet werden, wie es in der jeweiligen Ortschaft am effizientesten ist – oder gleich mit der Sonne schwenken. Auch das Problem der Überhitzung lässt sich hier viel besser in den Griff bekommen.

Entsprechend begeistert sehen viele Branchenvertreter, was derzeit in Deutschland passiert. Schließlich liegen die besagten 1,65 Gigawatt nur knapp unter den 1,7 Gigawatt, die 2021 auf Freiflächenanlagen installiert worden sind – im gesamten Jahr. Schon das war ein Rekord, dessen Übertreffen in diesem Jahr somit absehbar ist.



Doch so rasant die Entwicklung derzeit verlaufen mag, auch die Konflikte dürften bald zunehmen. Denn mit jedem Hektar Land, auf dem eine Fotovoltaikanlage errichtet wird, fehlt ein Hektar für die Landwirtschaft. Tank gegen Teller, so wurden die negativen Folgen der Gewinnung von Biosprit vor Jahren auf den Punkt gebracht. Jetzt geht die Auseinandersetzung in eine neue Runde, die Toaster, Thermomix oder Trockner gegen Teller genannt werden könnte: Wenn nämlich Flächen für die Produktion von Getreide, Kartoffeln oder Raps verloren gehen, um stattdessen Strom zu gewinnen.

Die Daten der Bundesnetzagentur zeigen dabei auch, in welchen Ländern das schon jetzt besonders oft der Fall ist, wo die entsprechenden Konflikte also früher und möglicherweise heftiger auftreten könnten.



Vor allem vier Bundesländer sind es, auf die sich die Freiflächenanlagen derzeit konzentrieren: Bayern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Wie die Konflikte ablaufen könnten, das zeigt sich derzeit anschaulich im Braunschweiger Ortsteil Leiferde. Dort soll auf 51 Hektar Land eine große Solarfarm entstehen, bereits seit gut einem Jahr werden die Pläne diskutiert. In der Gegend befinden sich zugleich Böden, die gut für die Landwirtschaft nutzbar wären, weshalb die Kommunalpolitik den Antrag im vergangenen Jahr zunächst verwarf.


Doch inzwischen hat sich die Gesetzeslage geändert: Seit der Verabschiedung des Osterpakets haben Solaranlagen grundsätzlich Vorrang gegenüber anderen Nutzungen. Und so stehen die Zeichen juristisch auf Genehmigung – politisch aber auf Sturm. Der örtliche Bezirksbürgermeister Matthias Diesterheft gab gegenüber der Lokalpresse jüngst zu Protokoll: „Das Projekt ist nicht nachhaltig. Wird die Anlage gebaut, entziehen wir uns die Nahrungsgrundlage und zahlen am Ende doppelt drauf.“ Stattdessen solle man doch eine Technologie erwägen, die derzeit auch von Fachleuten immer öfter genannt wird: Agri-PV, also die Kombination von Landwirtschaft und, quasi eine Etage weiter oben, Solarenergie.

Tatsächlich sind die Versprechen dieser Technologie immens. So könnte die kombinierte Nutzung nicht nur die Landwirtschaft und die Energieerzeugung zusammenbringen, in Zeiten des Klimawandels könnte sich der Ertrag der Flächen durch die Schatten gebenden Solarmodule sogar noch erhöhen, versprechen die Befürworter solcher Anlagen. Die Skeptiker zweifeln zwar an, dass die Flächen überhaupt mit dem Traktor erreichbar sein werden, und weisen darauf hin, dass allein durch die notwendigen Fundamente viel Fläche verloren gehe. Fakt jedoch ist: Weltweit boomt die Technologie, immerhin 14 Gigawatt Solarenergie wurden laut Fraunhofer-Institut zuletzt global auf diese Weise erzeugt. Auch in Deutschland, wo die ersten Pilotanlagen derzeit vor allem im Obstanbau zum Einsatz kommen, sei das Potenzial immens: Rund 1700 Gigawatt Leistung könnten auf diese Weise insgesamt erzeugt werden, so eine Fraunhofer-Schätzung. Würden vier Prozent der deutschen Agrarflächen mit Agri-PV-Anlagen belegt, ließe sich der gesamte Strombedarf decken.

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Ganz frei von Schwierigkeiten aber dürfte auch der Ausbau der vielleicht konfliktärmsten Form der Energieerzeugung nicht werden, der deutschen Genehmigungsbürokratie sei Dank. So wurde eine geplante Anlage der neuen Bauart nahe der A31 im Münsterland gerade abgelehnt. Man wolle zunächst abwarten, welche Flächen der übergeordnet zuständige Kreis Borken für besonders geeignet halte, so die Argumentation der Gemeinde.   

Lesen Sie auch: Das Tracking der Energiewende zeigt Deutschlands große Aufholjagd beim Ausbau der erneuerbaren Energien – aktueller Stand, Probleme und Ziele auf einen Blick.

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