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Die helleren Bereiche in Aleppo waren von der Opposition besetzt und zum Teil umkämpft. Foto: LiveEO/Up42/Airbus

Wirtschaft von oben #355 – Aleppo, Damaskus, HomsSyriens Städte erscheinen bereit für Rückkehrer

Die CDU streitet, ob syrische Flüchtlinge schon jetzt zurück in die Heimat ziehen könnten. Aktuelle Satellitenbilder lassen das vielerorts realistisch wirken. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.Thomas Stölzel 15.11.2025 - 08:30 Uhr

Als Bundesaußenminister Johann Wadephul kürzlich in Syrien von einer Zerstörung sprach, die jene in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg übertreffe, ahnte er wohl nicht, welche Debatte er auslösen würde. Seither streitet die CDU: Sind die Städte des Landes – wie Wadephul meint – nach Ende des 13-jährigen Bürgerkrieges zu kaputt, um eine zeitnahe Rückkehr syrischer Flüchtlinge möglich zu machen? Oder sind sie es nicht?

Eine tiefe Analyse aktueller Satellitenbilder von LiveEO durch die WirtschaftsWoche schafft nun etwas Transparenz. Metropolen wie Homs und Aleppo, die heute als Synonym für Krieg und Zerstörung in dem multiethnischen Staat stehen, erscheinen in überwiegenden Teilen bewohnbar. Es gibt viele florierende Viertel rund um die Stadtzentren, in denen von Kriegsschäden nichts zu sehen ist; solche Stadtteile, in die die Menschen gerade zurückkehren; einige Stadtteile wiederum, meist am Rande, sind vom Bürgerkrieg klar gezeichnet.

In der Hauptstadt Damaskus, wo es vergangenen Dezember die letzten Kämpfe gab, sind die Schäden am großflächigsten. Einige Viertel wie Jobar (auch als Dschubar bekannt) sind heute eine Trümmerwüste. Doch zugleich entstehen riesige neue Viertel mit modernen Wohntürmen für Zehntausende Menschen.

Ein offenbar sehr aussagekräftiger Indikator, ob und wie stark ein Viertel in jenen syrischen Städten bewohnt ist, sind heute die Solaranlagen auf den Dächern. Die meist billigen chinesischen Fabrikate sorgen zusammen mit Batteriepacks für eine stabile Stromversorgung in den Gebäuden. Denn das Stromnetz gilt nach wie vor als marode und unzuverlässig. Ausgedehnte Stromausfälle gelten als Norm. Manche Medien berichten von bis zu 20 Stunden am Tag.

Die Regierung des Landes bietet schon seit 2021 (damals noch unter dem Regime von Baschar al-Assad) zinslose Darlehen, mit denen die Menschen jene Solarzellen finanzieren und installieren können. Heute sind auf vielen Gebäuden so viele montiert, dass kaum noch Platz für weitere ist.

Aktuelle Aufnahmen von Aleppo belegen, dass ein halbwegs normales Leben in den Städten durchaus möglich ist. Autos und Busse sind in den zentralen Vierteln der Stadt unterwegs. In den Fußballstadien gibt es einen gepflegten Rasen mit Kreidemarkierungen. In vielen Freibädern ist Wasser eingelassen. Und praktisch jedes einzelne Dach in den Vierteln ist vollgestopft mit Solaranlagen.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/Up42/Airbus

Im Norden und Osten des Stadtgebiets allerdings bietet sich ein anderes Bild. Hier sind viele Häuser zu erkennen, bei denen zwar die Mauern noch stehen, das Dach aber fehlt. Leben ist in diesen Geistervierteln kaum erkennbar. Autos gibt es wenige auf den Straßen, wenn überhaupt. Die Narben aus fast einem Jahrzehnt Belagerung und russischen Bombardements sind offensichtlich. Schätzungen zufolge, starben allein in Aleppo fast 22.000 Zivilisten durch die Kämpfe.

Doch die hochaufgelösten Satellitenbilder zeigen auch, dass sich die Menschen zurzeit einen Straßenzug nach dem anderen zurückerobern. Solarzellen und parkende Autos erscheinen dort, wo bisher keine waren. Straßen und Parkanlagen werden begrünt. Menschen kehren hier ganz offensichtlich zurück.

Stadtteil Ashrafiyeh, Aleppo, Gouvernement Aleppo, Syrien

10.01.2021 (linkes Bild): Das Viertel, das an der Frontlinie lag und doch verschont wurde, ist ziemlich verlassen.
05.10.2025 (rechtes Bild): Der Park wurde neu begrünt. Auf den Dächern sind inzwischen auch hier erste Solaranlagen zu erkennen. Die Menschen kehren zurück.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Up42/Airbus

Wohnraum scheint hier mit begrenztem Aufwand wiederherstellbar zu sein. In Gegenden, wo bisher keine Solarpaneele zu sehen sind, sind Muldenkipper zu erkennen, die vermutlich Trümmer und anderen Unrat abtransportieren.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Up42/Airbus

Ganz im Osten von Aleppo wird ein vom Krieg beschädigtes Viertel derweil abgetragen, um Platz für neue große Wohnblocks zu schaffen. Ein erster ist auf aktuellen Satellitenbildern schon zu erkennen. Er ähnelt jenen, die schon in den vergangenen Jahren trotz Krieg in der Nachbarschaft entstanden sind.

Ursprüngliche Eigentümer zerstörter oder abgerissener Häuser sollen in Aleppo entschädigt werden, wenn die Fläche anderweitig bebaut wird. Das geht aus einem Interview mit dem Gouverneur der Region hervor. Das Land gehört zwar der Kommune, die Häuser darauf sind allerdings meist Privateigentum. Das in großen Teilen zerstörte Viertel Haydariyah im Nordosten von Aleppo soll dabei als Pilotprojekt dienen. Noch sind hier jedoch keine Bauarbeiten erkennbar.

Abrissarbeiten sind jedoch im nordöstlichen Teil der 160 Kilometer südlich gelegenen Stadt Homs zu beobachten. Hier ist der Satellitendatenanalyse zufolge der Grad an Zerstörung durch den Krieg noch etwas größer als in Aleppo. Darauf deutet auch eine Untersuchung des United Nations Satellite Centre (UNOSAT) hin.

Homs, die drittgrößte Stadt des Landes, hat aber ebenso wie Aleppo sehr große Gegenden mit Normalität. Hier wachsen Straßenbäume, es gibt Parks, Autos stehen in zweiter Reihe, weil Parkplätze rar sind. Und auch hier gibt es Solarpaneele auf den Dächern. Allerdings deutlich weniger als in Aleppo und Damaskus. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass hier zurzeit noch weniger Menschen je Quadratmeter wohnen als in den beiden anderen syrischen Metropolen.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/Up42/Airbus

Was die Satellitenbilder nur eingeschränkt zeigen, sind die Probleme der Bevölkerung, Grundbedürfnisse zu befriedigen. Lebensmittel sind laut Welternährungsorganisation (FAO) unter anderem aufgrund einer historischen Dürre knapp, ebenso frisches Wasser und Benzin. Oft ist die Infrastruktur zerstört oder beschädigt. Allerdings dürfte sich nach Ende des Krieges etwa die Versorgung mit kritischen Ersatzteilen für die Wasserwirtschaft leicht verbessern.

Am großflächigsten sind Abriss- und Wiederaufbauarbeiten zurzeit in Damaskus zu beobachten. Das Viertel Jouret al-Shreibati etwa wurde seit 2021 komplett niedergerissen – obwohl anders als beim Nachbarviertel im Osten kaum Kriegsschäden aus dem All zu erkennen waren. Die Anweisung kam noch vom Assad-Regime. Bisher sind hier auf dem ein Quadratkilometer großen Areal keine Neubauten zu erkennen. Doch das dürfte nur eine Frage der Zeit sein.

Beim drei Kilometer nordwestlich gelegenen prestigeträchtigen Wiederaufbauprojekt Marota City ist das anders. Auf den etwas mehr als zwei Quadratkilometern sollen eines Tages 60.000 Menschen wohnen, in modernen Apartmenthäusern. Hinzu kommen Büro- und Gewerbeimmobilien. Das Vorhaben stammt ebenfalls noch aus der Feder der im Dezember 2024 gestürzten Assad-Regierung. Das dafür abgerissene Viertel war ebenso vom Krieg eher verschont geblieben. 7500 Familien verloren ihr Zuhause. Versprochene Ersatzwohnungen erhielten offenbar die wenigsten.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/Up42/Airbus

Gebremst wird das Projekt aktuell durch Streitigkeiten zwischen den Baufirmen und der neuen Regierung in Damaskus, wobei es auch um die Entschädigung jener Familien geht. Allerdings sollen zahlreiche rückkehrwillige Syrer aus dem Ausland bereits Interesse an den vergleichsweise luxuriösen Wohnungen angemeldet haben. Assad wollte damit Wohnvierteln in den Golf-Staaten nacheifern.

Die ersten zwei Dutzend Türme und ihre Schatten sind auf neuesten Satellitenaufnahmen bereits zu erkennen. Allein dieses Projekt soll während der Bauphase 110.000 Menschen beschäftigen und danach bis zu 27.000 – so zumindest der ursprüngliche Plan.

Im Stadtteil Jobar stehen solche Entwicklungen noch aus. Hier zeigen Satellitenbilder, wie einzelne Ruinen aus einem Trümmermeer emporragen – dort, wo 2012 ein dicht bebautes, lebendiges Viertel stand. Eine Hauptstraße weiter ist die Bausubstanz dann wieder in Ordnung. Vor den Häusern stehen geparkte Autos, auf den Dächern sind Solaranlagen montiert. Der einstige Verlauf der Frontlinien ist auch hier klar erkennbar am Grad der Zerstörung.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar

Um den Wiederaufbau der Hauptstadt und zweitgrößten Metropole des Landes reißen sich inzwischen unter anderem Saudi-Arabien und die Türkei. Beide streben nach Einfluss. So hat das Königreich, das damit die Macht Russlands und des Irans im Lande unterbinden will, gerade angekündigt, große Mengen Trümmer räumen zu lassen. Zudem verkündete es im Sommer zusammen mit der syrischen Regierung eine 6,4 Milliarden US-Dollar schwere Wiederaufbaupartnerschaft. Die Türkei hat es insbesondere auf die Energieversorgung und Energievorkommen Syriens abgesehen, das unter anderem Öl und Gas besitzt.

Die Weltbank schätzt, dass die Rekonstruktion des Landes mehr als 180 Milliarden Euro kosten wird. Wohngebäude schlagen dabei mit 65 Milliarden zu Buche.

Mehr als sechs Millionen Syrer sind heutzutage als Flüchtlinge registriert. Die meisten leben in der Türkei, im Libanon und in Jordanien. In der EU sind 1,3 Millionen Syrer untergekommen – verteilt vor allem auf Deutschland, Schweden und Österreich. In Deutschland sind es knapp eine Million. Von Januar bis September verließen laut Statistischem Bundesamt etwa 21.000 in Deutschland lebende Syrer die Bundesrepublik – mutmaßlich, um in ihre Heimat zurückzukehren. Das sind zwar mehr als im Vorjahr. Allerdings zogen im selben Zeitraum immer noch etwa 40.000 Syrer nach Deutschland.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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