Wirtschaft von oben: Das ist Putins riesige neue Umerziehungs-Akademie auf der Krim
Im Westen streiten sie, ob die Ukraine weitere Teile ihres Territoriums um des lieben Friedens willen an Russland abtreten sollte. Und Wladimir Putin? Schafft weiter Fakten. Der russische Potentat lässt vom Militär auf der 2014 de facto annektierten Krim, nahe der Stadt Sudak, eine riesige Akademie der Künste bauen. Der Komplex erstreckt sich über drei Kilometer an der Küste. Das Ziel: die Köpfe erobern und besetzen.
Die Kunstakademie Meganom und das zugehörige Kunstcluster Tavrida sollen Austragungsort eines seit der Annexion jährlich veranstalteten Jugendfestivals sein – und künftig auch ein russisches Film- und Fernsehstudio beherbergen. Der Kreml will so eine Pilgerstätte schaffen, für Zehntausende junge Kunstschaffende aus den Weiten des Reiches und den besetzten Gegenden. Und natürlich auch: die Russifizierung des kulturellen Erbes der Ukraine und der Krimtataren vorantreiben.
Viele prominente, regimetreue Russen halten hier Vorträge: Kosmonauten, Schauspieler, Unternehmer, Rapmusiker. Und kritische Beobachter sind sich sicher: Der erfahrene Geheimdienstler Putin startet solche Kulturinitiativen in den „neurussischen“ Gebieten nicht ohne erzieherische Hintergedanken.
In einem Untersuchungsbericht der ukrainischen Denkfabrik Opora heißt es protokollarisch schlicht: Die „russischen Besatzungsbehörden schaffen einen russischen Kulturraum“. Der Kreml gaukelt der Bevölkerung zudem eine heile Welt auf einer russischen Krim vor. All das, während Präsident Putin wenige Kilometer westlich der Kunstakademie einen unterirdischen U-Boot-Bunker aus Sowjetzeiten reaktivieren lässt. Und östlich einen bisher zivil genutzten Flugplatz offenbar in einen Militärflughafen umwidmet.
Die jugendlichen Teilnehmer etwa des Sommerschulprogramms der Akademie sollen sich derweil auf der besetzten Krim wohlfühlen. Sie schreiben Theaterstücke und Musicals, produzieren Videos und errichten Skulpturen wie ein aus pechschwarzen Ölfässern nachempfundenes Stonehenge. Doch am Strand Musik hören, Filme schauen, kochen, malen – das alles seien nur Köder, sagt Vicente Ferraro, der unter anderem für das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin die Russifizierung der Ostukraine beobachtet.
Moskau juble den Besuchern seine Indoktrination häppchenweise unter und verbreite dort immer wieder seine Lügengeschichten, etwa das Märchen einer faschistischen Ukraine, die von guten Russen befreit werden müsse. Der Kreml wisse: „Wer das eroberte Gebiet kontrollieren will, muss kontrollieren, wie die Menschen denken“, sagt Ferraro. Er hat zahlreiche Lehrkräfte hinter der Frontlinie interviewt und auch das Tavrida-Cluster analysiert.
Bilder: LiveEO/Google Earth/Airbus
Gebaut wird der Komplex auf einem alten Militärgelände. Seit 2015, ein Jahr nach der Annexion der Krim, veranstaltet der Kreml das Kunstfestival Tavrida.Art auf der Halbinsel, seit rund fünf Jahren an genau dieser Stelle. Erste Arbeiten sind seit 2019 erkennbar. Inzwischen sind bunte Pavillons, Hallen, ein modernes Campusgelände und Wohnheime für Hunderte, wenn nicht Tausende Lehrer und Studenten entstanden.
Auf dem Areal gibt es aber auch luxuriös eingerichtete Bungalows, die auf dem Hotelportal Booking.com angeboten werden. 2024 kam ein großes Gebäude für ein Film- und Fernsehstudio plus Kinosaal dazu. Noch dieses Jahr sollen hier Dreharbeiten für zwei russische TV-Serien starten.
Schon die anspruchsvolle Architektur mit Gehwegen auf Stelzen, viel Glas und Holz verrät, dass es sich um ein Prestigeprojekt handelt. Putin ließ seinen stellvertretenden Stabschef Sergei Kirijenko 2024 vor Ort verkünden, die einstige Sommerakademie werde nun rund ums Jahr unterrichten: Es entstehe eine „Universität der kreativen Ideen“, schrieb die russische Nachrichtenagentur Tass – gebaut vom Militärbaubetrieb des Verteidigungsministeriums.
Ein Blick auf die Satellitenbilder von LiveEO zeigt, dass die Anlage für eine Uni ungewöhnlich gut gesichert ist. Der Campus duckt sich hinter einem Metallzaun weg und ist nur über eine Pforte erreichbar, die an einen Grenzübergang erinnert. Ein im Internet kursierendes Rendering verrät, dass das Cluster noch nicht fertiggestellt ist und weitere Gebäude geplant sind. Zentrales Element ist die 2023 eröffnete Meganom-Akademie nahe eines alten Schiffswracks am Strand. Sie bildet Studenten in mindestens drei Fächern aus: Musik, Theater und neue Medien.
Neue Medien? Davon sollen sich angehende Autoren und Designer angesprochen fühlen, schreibt die mit Russlands Außenministerium verbundene Publikation „Embassy Live“. Forscher Ferraro ist sich sicher: „Sie bauen Jugendliche aus den besetzten Gebieten zu Influencern auf, um Propaganda zu streuen.“
Die Musikstudenten werden von Juri Baschmet unterrichtet, ausgerechnet einem berühmten russischen Bratschisten, der in Lemberg aufwuchs. Er hat die Krimannexion begrüßt, 2022 den Überfall auf die Ukraine gefeiert – und wurde von Putin als „Held der Arbeit“ geehrt. Den Schauspielunterricht organisiert Kirill Krok, ein bekannter Regisseur und Direktor des Moskauer Wachtangow-Theaters.
In das Kunstcluster involviert ist neben dem Militär die 2015 per Putin-Dekret gegründete Znanie-Gesellschaft. Der Bildungs- und Propagandaarm des Kreml wird seit 2023 von der EU sanktioniert, weil er an der „Russifizierung der lokalen ukrainischen Bevölkerung“ beteiligt sei. Chefaufseher ist Putins Vize-Stabschef Kirijenko, der wiederholt in Verbindung mit dem Kunstcluster auftaucht. Beobachtern zufolge ist er der steuernde Kopf hinter den Scheinargumenten, die den völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine zu legitimieren versuchen.
Dem ukrainischen Zentrum zur Abwehr von Desinformation zufolge „nutzt Russland Kunst als Werkzeug der Propaganda und ideologischen Einflussnahme“. Man zwinge den Bewohnern der besetzten Gebiete die Idee einer „gemeinsamen kulturellen Identität“ auf; die ukrainische Kultur werde verdrängt. Bestimmte Programme seien ausdrücklich darauf ausgerichtet, russische Werte, Identität und Geschichtsverständnisse zu vermitteln.
Vergangenes Jahr hat Kirijenko verkündet, eine Zweigstelle des Kunstclusters in der teilweise von Russland besetzten Region Cherson zu eröffnen. Das ukrainische Portal „Novosti Donbas“ berichtete im Sommer, dass junge Menschen im Alter zwischen 14 und 35 Jahren zur Eröffnung herangekarrt wurden.
Bilder: LiveEO/Google Earth/Airbus
Von der WirtschaftsWoche ausgewertete Satellitenbilder zeigen das neu entstandene Zentrum mit Dutzenden Gebäuden südlich des Dorfes Schtschaslywzewe. Offenbar wurde hier schon vor dem Kriegsbeginn 2022 mit dem Bau einer neuen Bungalowanlage begonnen, dieser aber nicht zu Ende geführt. Die Bilder deuten darauf hin, dass das russische Militär den Bau einfach fortgesetzt hat.
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