
Wirtschaft von oben #342 - Seltene Erden in Brasilien: Hier gibt's sie: Schwere Seltene Erden, billig wie in China
Aus dem All betrachtet, sieht es aus, als hätten Riesen mit Zirkeln im XXL-Format gespielt. Hunderte präzise gezogene Kreise kennzeichnen die Landschaft rund um São Gotardo, im südbrasilianischen Bundesstaat Minas Gerais. Außerirdischer Besuch? Prähistorische Kultstätte? Gigantische Machtsymbole einer untergegangenen Zivilisation? Nichts davon. Es sind nur die Spuren automatischer Gießanlagen, die hier im Herzen der Agrarregion des Landes ihre Arbeit verrichten. Sie verteilen 24 Stunden am Tag Wasser und Dünger auf die Felder – in genau abgezirkelten Mengen.
Gut möglich allerdings, dass es bald vorbei ist mit der geometrischen Strenge des Areals. Denn im verwitterten vulkanischen Tonerdeboden unter den Feldern steckt, was derzeit alle Welt begehrt: schwere Seltene Erden, wahrscheinlich fast so billig abbaubar wie in Südchina und Myanmar, also in den beiden Regionen, die praktisch den kompletten Weltmarkt beherrschen. Und die chinesische Staatsführung nutzt ihre Monopolmacht wirtschaftlich und politisch: Dass das Land im Zollstreit mit den USA nun einen weiteren Aufschub erhält, dürften die Kader in Peking unter anderem ihrer Kontrolle über wichtige Hightechrohstoffe verdanken.
Bereits seit April beschränkt Chinas Regime die Ausfuhr Seltener Erden, um von den USA etwa die Lieferung von Nvidia-KI-Chips zu erzwingen. Schwere Seltene Erden exportiert das Land nur noch mit behördlicher Genehmigung. Und das kann Monate dauern. Viele Betriebe im Westen sitzen inzwischen auf dem Trockenen; einzelne Hersteller mussten ihre Produktion schon stoppen. Sie benötigen dringend Nachschub für schwere Seltene Erden, um E-Autos, Smartphones und Windräder bauen zu können.
Entsprechend groß ist die Hoffnung, die mit der Tonerde in Brasilien verknüpft ist. Die Vorkommen sind offenbar groß: „Diese wichtigen Mineralien könnten das Land zu einer der reichsten Nationen der Welt machen“, schrieb kürzlich die Tageszeitung „The Rio Times“. Und Bewerber stehen Schlange für einen Abbau. Laut der brasilianischen Bergbaubehörde ANM konkurrieren derzeit 27 Projekte.
Ihnen allen geht es um Metalle wie Dysprosium und Terbium, die über einzigartige magnetische und illuminierende Eigenschaften verfügen. Vorkommen gibt es zwar auch andernorts, etwa in Grönland, Kanada und Schweden. Doch stecken die Metalle hier meist in Festgestein. Das verteuert den Abbau, weil das Material gesprengt und gemahlen werden muss – so sehr, dass man im Wettbewerb mit China und (dem von China kontrollierten Abbau in) Myanmar nicht mithalten kann. Dort werden die Metalle im Wege der „In-situ-Laugung“ abgebaut: Minenbetreiber leiten eine Chemikalie in den Boden, pumpen das Gemisch an anderer Stelle ab; dann wird der Lauge in Tanks eine weitere Chemikalie zugesetzt. Die Metalle setzen sich ab. Und fertig.
In dieser besonders einfach abbaubaren Form gibt es schwere Seltene Erden fast ausschließlich in tropischen und subtropischen Gegenden – in der Nähe ehemaliger Vulkane. Denn damit sich die „Ionenabsorptionstonerden“ bilden, in denen sie stecken, braucht es eine spezielle chemische Verwitterung von Granit. Sie erfolgt unter warmen, feuchten und leicht sauren Bedingungen, die außerhalb Südostasiens vor allem Brasilien aufweist. Das Land verfüge mit 21 Millionen Tonnen nach China über die weltweit zweitgrößten Reserven an Seltenen Erden, schätzt Brian Hendrich vom deutschen Rohstoffhändler Tradium. Kleinere Vorkommen gibt es in Malaysia und Indonesien.

Die Hoffnung: Der Westen kann den Wettbewerbsvorteil Chinas dank der Erschließung brasilianischer Vorkommen durch dort beheimatete Bergbaukonzerne brechen. Der deutsche und europäische Maschinenbauverband VDMA will sich in den nächsten Wochen auch deshalb im brasilianischen Belo Horizonte mit Vertretern verschiedener Unternehmen treffen, um sich über den Stand der Vorhaben zu informieren.
Es gehe sowohl um die Erschließung neuer Rohstoffquellen als auch um den potenziellen Verkauf deutscher Bergbaumaschinen an die aufstrebende Branche, sagt Christoph Danner, im Verband für Rohstoffe und Bergbau zuständig. Darüber hinaus will er mit der Delegation in einem bergbauwissenschaftlichen Institut eine Aufbereitungsanlage für Seltene Erden besuchen. Brasilien hat sie aus China importiert. Im besten Falle könnten deutsche Ingenieure helfen, weitere vergleichbare Anlagen zu errichten.
Eines der Unternehmen, das in Brasilien Seltene Erden abbauen will, ist die kanadische Rohstofffirma Resouro. Man vermute bei São Gotardo ein über 71 Kilometer gestrecktes Vorkommen mit einer Kapazität von 1,9 Milliarden Tonnen, so das Unternehmen. Die Tiros genannte Ressource enthalte einen „hohen Anteil Seltene Erden und einen ultrahohen Anteil Titandioxid“.

27.07.2025: Der mittlere Abschnitt des Vorkommens ist wie der nördlich und südliche überzogen mit Landwirtschaft:
1. Kreisrundes Feld mit einem langen Gießwagen
2. Orte der Erkundungsbohrungen in diesem Gebiet
3. Eine Rinderfarm, wie es hier zwischen den kreisrunden Feldern viele gibt
Der Anteil der gesamten Seltene-Erden-Oxyde im besten Teil des Gebietes liegt den Bohrungen zufolge bei knapp einem Prozent. Ein außergewöhnlich hoher Wert. Zum Vergleich: In China sind laut Studien 0,08 Prozent typisch, in guten Gegenden 0,65 Prozent.
Und so schwärmt man bei Resouro: „Brasilien ist das einzige Land, das Chinas Dominanz im Bereich Seltener Erden herausfordern kann.“ Die Vorkommen seien gut genug, um große Mengen kostengünstig zu produzieren. Genehmigungsverfahren gingen schnell, es gebe Infrastruktur und Fachkräfte. Fast 150 Probebohrungen habe man bereits durchgeführt. Das frohe Fazit: durchgängig hohe Anteile Seltener Erden.
Nicht alle teilen diese Euphorie. Die Lagerstätten befinden sich mitunter in abgelegenen Regionen, das brasilianische Schienennetz ist unterentwickelt, das komplexe Steuersystem erschwert Investitionen. Auch gibt es keine nennenswerten Weiterverarbeitungsstätten, weshalb das Gros des aktuell bereits abgebauten Erzes nach China verschifft werden muss.
Dennoch: „In näherer Zukunft hat Brasilien das größte Potenzial für den Westen, das Seltene-Erden-Problem zu lösen“, sagt der auf Rohstoffe spezialisierte Frankfurter Investmentbanker Stefan Müller. Er hat die Gegend um São Gotardo zweimal besucht, mit Bürgermeistern und Anwohnern gesprochen. „Die waren begeistert von der globalen Aufmerksamkeit“, so Müller.
Ob der Frieden lange halten würde, ist allerdings offen. Philippe Martins, Direktor und Justiziar von Resouro in Brasilien, hält eine In-situ-Laugung wie in Myanmar wegen des Grundwasserschutzes für nicht zulassungsfähig. Daher werde sein Unternehmen wohl auf den Trockenabbau setzen.
Dabei wird der Boden zunächst abgetragen und in Tanks verfüllt, in denen die Chemikalie dann zugesetzt wird. Das schont das Grundwasser, erfordert aber die Nutzung großer Flächen – auf denen derzeit Landwirtschaft betrieben wird. Der eine oder andere Bauer werde sich die Nutzung vermutlich teuer bezahlen lassen, glaubt Banker Müller.
Immerhin: Mit mehr als 25 Landwirten hat Resouro Martins zufolge bereits Verträge, die eine Erkundung erlauben. Wolle man Seltene Erden abbauen, könne das Unternehmen den Bauern das Land abkaufen und es ihnen nach zehn bis 15 Jahren etwa zum halben Preis zurück veräußern.

29.09.2024: Die Anlage, in der die Seltenen Erden aus der abgebauten Tonerde gelaugt werden.
Zu beobachten ist die Tanklaugung schon heute 700 Kilometer nördlich, beim Seltene-Erden-Projekt Pela Ema von Serra Verde im Bundesstaat Goiás. Die einzige nennenswerte Seltene-Erden-Mine außerhalb Chinas und Myanmars, die das Material aus Tonerde gewinnt, ist seit Februar 2024 in Betrieb. Satellitenbilder von LiveEO zeigen, wie der karg bewachsene Untergrund aufgegraben wird. Inzwischen misst die Mine sechs mal zwei Kilometer. Drei Tanks sind zu sehen, der größte misst 40 Meter im Durchmesser.
Landwirtschaft gab es hier zuvor keine, das dürfte die Sache vereinfacht haben. Zudem lebten viele Bewohner des benachbarten Städtchens Minaçu lange Jahre von der letzten Asbestmine der Welt. Als sie 2017 dichtmachte, brauchte es neue Jobs. Dennoch benötigte das Projekt rund 17 Jahre Entwicklungszeit von der Entdeckung bis zur Inbetriebnahme.
Bilder: LiveEO/Sentinel
Auch der Nutzen des Projekts für westliche Abnehmer ist bislang überschaubar: Tradium-Analyst Hendrich zufolge ist China bis mindestens 2027 exklusiver Abnehmer – obwohl Serra Verde unter anderem Mittel aus der (von den USA initiierten) Minerals Security Partnership erhalten hat, um das Bergwerk zu erweitern. Immerhin: Weil die Nachfrage seit Chinas Exportbeschränkungen stark gewachsen ist, prüft Serra Verde eigenen Angaben zufolge die Erschließung eines zweiten Abbauabschnitts, um die Produktion bis 2030 zu verdoppeln.
Letztlich werden auch in Brasilien Profitrechnungen darüber entscheiden, ob hier eine neue Rohstoffmacht entsteht. Ganz ausgeschlossen ist deshalb trotz aller Vorbehalte auch ein Einsatz der In-situ-Laugung nicht.
Das australische Bergbauunternehmen Brazilian Critical Minerals (BCM) hat weiter nördlich, mitten im Regenwald, ein Seltene-Erden-Vorkommen aufgespürt. Es liegt nahe der Ortschaft Apuí am Trans-Amazonas-Highway. Eine Erkundungsbohrung hatte hier 2020 einen Anteil Seltene-Erden-Oxids von 0,27 Prozent ergeben. Eine Folgebohrung in der bis zu 30 Meter tief reichenden Tonerde signalisierte 2023 sogar 0,34 Prozent. Die geologischen Bedingungen seien fast identisch mit denen in Südchina, heißt es.
Bilder: LiveEO/Sentinel
In einem Feldversuch hat das Unternehmen vor wenigen Wochen eine Magnesiumsulfatlösung in den Boden geleitet und wieder abgepumpt. Die Ergebnisse hätten alle Erwartungen übertroffen, teilte BCM mit, das die Abbaumethode sogar als Maßnahme zum Schutz des Regenwaldes vermarktet. Schließlich könnten Bäume stehen bleiben – und das eingesetzte Magnesiumsulfat sei für das Grundwasser deutlich weniger schädlich als das in China und Myanmar verwendete Ammoniumsulfat. BCM-Chef Andrew Reid sprach in einem Podcast gar davon, dass es Pflanzen bei der Fotosynthese unterstütze. Zweifelsfrei belegt ist das nicht. Eine Studie der University of Western Australia zeigt, dass manche Pflanzen die Chemikalie besser vertragen als andere.
Trotz einiger Bauchschmerzen dürften westliche Unternehmen und Politiker bereit sein, bestimmte Nachhaltigkeitsziele der Versorgungssicherheit zu opfern, glaubt Investmentbanker Müller. Zu groß ist die aktuelle Not. Dafür müssten die Behörden BCM jedoch zunächst die Zulassung für den Abbau der Rohstoffe erteilen. Dieser Schritt steht noch aus.
Am Willen der brasilianischen Bundesregierung sollte ein Abbau nicht scheitern: „Wir wollen Suche und Exploration kritischer Mineralien verstärken“, sagt Präsident Luiz Inácio Lula da Silva: „Dies ist zurzeit der Fokus der ganzen Welt. Brasilien kann es sich nicht leisten, diese Chance zu verpassen.“
Folgen die Behörden dieser Prämisse, könnten die schweren Seltenen Erden etwa aus dem Amazonas den Westen womöglich aus seiner Abhängigkeit von China befreien. Unter dem bislang kaum erkundeten Regenwald dürften noch große Mengen lagern: ein Schatz, der darauf wartet, gehoben zu werden.
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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.












