Wirtschaft von oben #126 – Grand Ethiopian Renaissance Dam Am umstrittensten Staudamm Afrikas beginnt die Stromproduktion

Der Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD), der größte Staudamm Afrikas, soll die Äthiopier und überhaupt viele Afrikaner dank zweier Wasserkraftwerke mit Strom versorgen. Quelle: LiveEO/Skywatch

Während die Energiepreise weltweit exorbitant steigen, liegen manche Länder wie Äthiopien weiter größtenteils im Dunkeln. Die Hälfte der Einwohner hat keinen Strom. Zwei Wasserkraftwerke an einem Staudamm der Superlative sollen sie jetzt damit versorgen. Doch wirtschaftlich und politisch ist das Projekt heikel. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Ein dunkler Streifen zieht sich durch Zentralafrika und endet in Addis Abeba. Wer sich auf einem Nacht-Satellitenbild den weltweiten Energieverbrauch ansieht, stellt fest: Gerade in der Mitte des Kontinents, in Ländern wie Äthiopien, brennt kaum Licht. Die Regierung in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba will das ändern. Der Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD), der größte Staudamm Afrikas, soll die Äthiopier und überhaupt viele Afrikaner dank zweier Wasserkraftwerke mit Strom versorgen.

Genügend Wasser dafür ist vorhanden. Der Blaue Nil, ein bedeutender Nebenarm des Hauptstroms, entspringt in den Bergen Äthiopiens. Weil derzeit gut die Hälfte der Haushalte ohne Strom lebt, sind die Wasserkraftwerke ein Hoffnungsbringer. Äthiopien hat vor, zum größten Stromproduzenten Afrikas aufzusteigen. Der GERD könnte durchschnittlich knapp 16.000 Gigawattstunden pro Jahr produzieren. Zum Vergleich: Äthiopien selbst verbraucht jährlich nur halb so viel. Bis zu 75 Milliarden Kubikmeter Wasser soll der Stausee bald fassen. Das ist anderthalbmal mehr, als sich im Bodensee befindet.

Der Damm ist bereits seit einiger Zeit größtenteils fertig, zeigen exklusive Satellitenbilder von LiveEO für die WirtschaftsWoche aus dem Oktober. An diesem Sonntag hat Äthiopien mit der Stromproduktion begonnen. Eine der 13 Turbinen wurde im Beisein von Regierungschef Abiy Ahmed in Betrieb genommen. Die Turbine soll etwa 375 Megawatt Strom erzeugen. Ab jetzt gebe es nichts mehr, das Äthiopien stoppen könne, sagte Abiy.


Im vergangenen Jahr staute Äthiopien zum zweiten Mal das Wasser auf. Auf den Bildern ist zu sehen, wie stark sich der Flusslauf nach dem ersten Schließen der Stautore verbreiterte, und das nicht nur in der unmittelbaren Umgebung des gigantischen Bauwerks, sondern bis weit ins Landesinnere.

Die endgültige Fertigstellung und vor allem die Inbetriebnahme der Kraftwerke stockten zuletzt allerdings. Mitte September 2021 hatte die Regierung in Addis Abeba verkündet, die ersten zwei Turbinen würden innerhalb der kommenden Monate in Betrieb gehen. Wann genau, blieb damals unklar. Mit der Inbetriebnahme der ersten Turbine am Sonntag hat Ahmed diese Ankündigung eingehalten. Endgültig fertiggestellt sein soll der GERD nach aktuellen Angaben des Projektleiters in zweieinhalb bis drei Jahren.

International kamen immer wieder Zweifel auf, etwa vom Internationalen Währungsfonds, ob die Finanzierung des knapp fünf Milliarden US-Dollar teuren Projekts der „Großen Wiedergeburt“ gesichert ist. Institutionen wie die Weltbank hielten sich mit Investitionen zurück. Wie oft bei afrikanischen Infrastrukturprojekten sind chinesische Firmen hingegen sehr wohl breit eingestiegen.

Mit dem aus dem Nilwasser gewonnenen Strom will Äthiopien nicht nur die eigene Bevölkerung versorgen, es ist auch ein Geschäftsmodell weit über die Landesgrenzen hinaus. Eine Leitung von Ägypten bis Südafrika soll Strom in die umliegenden Staaten bringen und den Energiemarkt in Richtung Libyen, Saudi-Arabien und Jordanien erweitern.

Der Effekt wäre enorm für viele Menschen, die bisher teilweise gar keinen Zugang zu Strom hatten. Doch das Wasser, das in Äthiopien reichlich vorhanden ist und für die Elektrifizierung sorgen soll, fehlt an anderer Stelle. Etwa 2000 Kilometer weiter nördlich in Ägypten. Der GERD sorgt seit vielen Jahren für Spannungen zwischen Äthiopien, dessen Nachbarland Sudan und Ägypten. Das Mittelmeerland ist stark abhängig vom Wasser, das der Blaue Nil aus dem Inneren des Kontinents in Richtung Meer befördert. Nachdem es durch den Sudan geflossen ist, stellt es zu fast 90 Prozent die Wasserversorgung Ägyptens sicher. Der UN-Sicherheitsrat rief die streitenden Staaten Ägypten, Sudan und Äthiopien zu einer Lösung des Konflikts auf.

Ägypten droht Äthiopien nicht nur politisch, sondern verbreitet auch wissenschaftliche Zweifel. Ende September 2021 präsentierten Wissenschaftler eine Studie, die unzureichende Sicherheitsvorkehrungen bemängelt und vor einem Zusammenbruch des Damms warnt. An der Studie beteiligt war auch das ägyptische Wasserministerium, also genau die Behörde, die in Ägypten für das knappe Gut zuständig ist.


Ägypten drängt auf garantierte Wassermengen, die Äthiopien durchlassen soll. Darauf konnten sich die beiden Länder aber bisher nicht verständigen. Immerhin signalisierte die Regierung in Addis Abeba, dass sie das Becken vor dem GERD nicht innerhalb der kommenden zwei Jahre vollständig füllen, sondern diesen Prozess auf vier bis sieben Jahre ausdehnen werde, um den Konfliktparteien entgegenzukommen. Auf die Inbetriebnahme des Staudamms reagierte das ägyptische Außenministerium mit dem Vorwurf, Äthiopien verstoße gegen eine gemeinsame Grundsatzerklärung. Die Vereinbarung der drei Staaten von 2015 regelt unter anderem die Vermeidung von Schäden sowie eine faire Nutzung des Blauen Nils. Genauere Angaben dazu, inwiefern Äthiopien die Vereinbarung verletzte, machte das Ministerium nicht.


Die LiveEO-Aufnahmen aus dem All zeigen, wie sich das Megaprojekt seit Baubeginn im Jahr 2011 entwickelt hat. 2015 nahm die Talsperre Form an, aber noch floss das Wasser hindurch. Im Juli 2020 wurde das Wasser in der Regenzeit erstmals zu einem See gestaut. Äthiopien nutzt die Regenmonate, um im besten Fall fünf Milliarden Kubikmeter Wasser zu sammeln. Diese Menge würde reichen, um die ersten zwei Turbinen der Wasserkraftwerke in Betrieb zu nehmen. Die Kraftwerke liegen links und rechts vom Fluss direkt am Damm. Die dort verbauten Francis-Turbinen – die am weitesten verbreitete Art bei Wasserkraftwerken – arbeiten mit einer Leistung von jeweils 375 Megawatt. Die Turbinen haben das Heidenheimer Unternehmen Voith und der französische Konzern Alstom geliefert.

Konkurrent Siemens setzt dagegen auf Geschäfte mit Ägypten, eine Beteiligung des Dax-Konzerns am GERD hätte wohl für erhebliche Verstimmung in Kairo gesorgt.

Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 9. Oktober 2021. Wir haben ihn aktualisiert. In einer früheren Version hieß es, es würden 16 Turbinen im Kraftwerk eingesetzt. Diese Zahl wurde aber im Jahr 2019 auf 13 reduziert. Wir bitten darum, den Fehler zu entschuldigen.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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