Wirtschaft von oben #162 – Afghanistan Billige Solarenergie treibt die Opiumwirtschaft an

Die weitgehend geernteten, mutmaßlichen Schlafmohnfelder von Helmand in Afghanistan. Quelle: LiveEO/Sentinel

Erneuerbare Energien sind für Afghanistans Opiumbauern ein wahrer Segen, und das auch noch ganz ohne staatliche Förderung. Das zeigen aktuelle Satellitenbilder. Dennoch bekommen die Landwirte nun Probleme. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Was den Umstieg auf erneuerbaren Strom angeht, sind einfache afghanische Bauern der hoch entwickelten deutschen Industrie um einiges voraus. Billige Sonnenenergie und mit ihr betriebene elektrische Wasserpumpen haben in Afghanistan in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom der Landwirtschaft ausgelöst – vor allem in der Opiumanbauregion Helmand. Das belegen neueste Satellitenaufnahmen von LiveEO.

Seit 2016 haben die Bauern mehr und mehr karges Wüstenland in fruchtbare Ackerfläche verwandelt, unter anderem für die Produktion von Schlafmohn, der Opiumpflanze. Helmland ist heute laut den Vereinten Nationen für mehr als drei Viertel des afghanischen Opiumanbaus verantwortlich und für etwa zwei Drittel der illegalen weltweiten Produktion. Opium ist die Grundlage für die harte und extrem abhängig machende Droge Heroin.

Zwar haben die radikalislamischen Taliban, die seit dem Abzug der westlichen Truppen wieder die Macht im Land übernommen haben, erst Anfang April den Anbau von Schlafmohn und dessen Handel unter Strafe gestellt. Sie ächten die Produktion von Drogen vor allem aus religiösen Gründen. Doch viele Bauern sind auf das Einkommen aus den berauschenden Pflanzen angewiesen



Einer Untersuchung des Büros für Drogen und Kriminalität der Vereinten Nationen zufolge erwirtschaftete die afghanische Opium-Ökonomie im vergangenen Jahr immerhin bis zu 2,7 Milliarden Dollar. Das entspricht bis zu 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes des Landes. Entsprechend groß sind auch die Zweifel einiger Beobachter daran, wie ernst es die Taliban mit ihrem Verbot am Ende nehmen werden, wie hart sie es durchsetzen.

Beflügelt hat den Boom der vergangenen Jahre das Aufkommen billiger meist in China hergestellter Solarzellen, die die Pumpen für die Bewässerung der Äcker antreiben. Die Satellitenbilder zeigen westlich des Städtchens Balocan, wie seit 2016 unzählige neue Ackerflächen entstanden sind – immer weiter entfernt vom Fluss Helmand, nach dem die Provinz benannt ist. Bisher erstreckten sich die Nutzflächen vor allem am Ufer des Flusses entlang, sowie an seinen Nebenflüssen. Rund um Balocan ist der UN zufolge der Opiumanbau mit mehr als 10.000 Hektar zurzeit besonders ausgeprägt.


Am Zufluss Musquara im Norden von Helmand, liegt ein weiterer Hotspot. Die Bilder zeigen, dass auch hier große Flächen hinzu gekommen sind. Dem britischen Sozio-Ökonomen David Mansfield zufolge, der den Opium-Anbau in Afghanistan unter anderem für die Europäische Union untersucht hat, gab es 2016 im Land rund 14.000 solarbetriebene Wasserlöcher. 2019 waren es bereits 67.000.


Doch der technische Fortschritt bleibt nicht ohne Folgen für die Bauern. Vor dem afghanischen Solarboom betrieben sie ihre Pumpen meist mit Dieselaggregaten. Damals schon, meint Mansfield, sei der Grundwasserspiegel um einen Meter im Jahr abgesunken. Inzwischen berichten Bauern und Forscher von drei Metern pro Jahr und mehr. Einige der Bohrlöcher reichen inzwischen bis in 130 Meter Tiefe.

Die UN schätzen, dass Afghanistan 2021 rund 6800 Tonnen Opium produziert hat. Das entspricht rund 320 Tonnen purem oder 650 Tonnen gestrecktem Heroin. Allerdings gibt es derzeit ein Überangebot. Dadurch sank der Opiumpreis beim Bauern zuletzt deutlich unter 100 Dollar je Kilo. Ein Hektar erwirtschaftete 2021 demnach im Schnitt 38,5 Kilogramm Opium.


Das Überangebot ist wohl auch auf die zuletzt deutlich gestiegene Zahl der Höfe zurückzuführen. Aus dem All beobachtet sehen die immer ähnlich aus. Bei praktisch jedem ist ein Wasserreservoir zu erkennen, und mehrere Solarpanele, die direkt daneben aufgebaut sind. Das Wasserreservoir versorgt die Felder.

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Das jetzige Opiumverbot kam den Satellitenfotos zufolge kurz vor der diesjährigen Frühjahrserste. Mitte April waren die meisten Felder in Helmand noch grün. Anfang Mai dann erscheinen sie auf den Bildern erdfarben.


Schlafmohn sei sehr viel arbeitsintensiver als andere Nutzpflanzen, sagt Mansfield. Benötigt ein Hektar Weizen nur etwa 54 Personentage Arbeit, sind es beim Mohn ganze 360 Tage. Es gibt zwei Ernten: Eine Frühjahrs- und eine Sommerernte. Die Taliban wollen nun, dass die Bauern anstelle des Mohns lieber Mandeln, Granatäpfel oder Weizen anbauen. Manche sind Medienberichten zufolge nach der Frühjahrsernte schon auf solche legalen Alternativen umgestiegen.

Wie nachhaltig das letztendlich sein wird, müssen die nächsten Monate zeigen. Schließlich war der Anbau auch für die Taliban ausgesprochen lukrativ – selbst in Zeiten, wo sie nicht an der Macht waren. Sie und andere nichtstaatliche Akteure sammelten etwa 2019 bis zu 113 Millionen US-Dollar Opiumsteuer ein, 2017 sollen es gar bis zu 350 Millionen Dollar gewesen sein. Und auch afghanische Offizielle waren laut „New York Times“ tief verwickelt in den Opiumhandel. Einige hätten sich von den Einnahmen teure Villen in Dubai zugelegt.

Dem fallenden Grundwasserspiegel jedenfalls wird das Verbot wenig entgegen setzen. Die Landwirtschaft, ob illegal oder legal, bleibt eine der wichtigsten Einkommensquellen für die Bevölkerung des Landes, dem es an anderen Industrien einfach mangelt.


Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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