Tracking der Energiewende #14 Wie Deutschland seine grüne Führungsrolle verspielt hat

Vor zehn Jahren stand jedes dritte Solarpanel und jedes achte Windrad auf dem Planeten in Deutschland. Wie Deutschland seine grüne Führungsrolle verspielt hat. Quelle: imago images

Geschichte eines Niedergangs: Vor zehn Jahren stand jedes dritte Solarpanel und jedes achte Windrad auf dem Planeten in Deutschland. Dann begann der Boom – und Deutschland schaute nur noch zu.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Es ist eine besonders bittere Ironie der Geschichte: Ausgerechnet in dem Jahr, als Deutschland sich entschloss, aus der Atomenergie auszusteigen, begann auch der Abstieg als ökologische Vorzeigenation. 2011 war das, im März brannten die Meiler an Japans Ostküste und wenig später verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre bis dahin spektakulärste politische Wende: Raus aus der Kernenergie. Ausgerechnet Merkel, die noch wenige Jahre zuvor eine Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Meiler auf den Weg gebracht hatte, schwenkte nun, so schien es, ganz auf die grüne Linie ein. Weg mit der Atomkraft, alle Energie auf Nachhaltigkeit.

Den Ausstieg aus der Atomenergie zwar zog Merkel dann tatsächlich durch, den zweiten Teil des Versprechens aber löste sie nie ein. Das zeigen die Zahlen der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) eindrücklich. Noch 2012 nahm das von seiner Landmasse eher kleine Deutschland bei Erneuerbaren Energien tatsächlich eine globale Vorreiterrolle ein. 104 Gigawatt Leistung lieferten die weltweit installierten Solaranlagen damals insgesamt – 34,1 kamen aus Deutschland. Als nächstgrößerer Produzent, weit abgeschlagen, folgten dahinter Italien und die USA mit 16,8 und 8,6 Gigawatt. Auch bei der Windkraft gehörte Deutschland zur globalen Spitze. 31 der insgesamt 267 Gigawatt installierter Leistung erzeugten die Windräder zwischen Emden und Cottbus. Die USA (59,1) und China (61,6) schafften jeweils rund das doppelte der deutschen Leistung, alle anderen Länder waren deutlich abgeschlagen.

In den Jahren danach dann entwickelte sich ein globaler Boom der Erneuerbaren, das deutsche Wort „Energiewende“ hielt Einzug in die englische Sprache, so wie „Angst“ oder „Kindergarten“. Staaten wie Großbritannien oder Dänemark entdeckten vor allem die Offshore-Windkraft, in den USA setzte ein Boom der Solarenergie ein. Und in Deutschland? Ging es immer häufiger um schützenswerte Vogelarten, ihr Paarungs- und Brutverhalten – und kaum noch um rekordverdächtige Windfarmen oder Solarkraftwerke.


Die Folgen zeigen sich am globalen Leistungsvergleich im Jahr 2021. Weltweit waren zuletzt Solaranlagen mit einer Kapazität von 849 Gigawatt in Betrieb, 58,5 davon in Deutschland. Das Land, das einst fast ein Drittel der globalen Leistung erbrachte, ist heute nur noch für rund 6,8 Prozent verantwortlich. Stieg die Kapazität an erneuerbaren Energien in den ersten paar Jahren nach dem Beschluss des Atomausstiegs zumindest noch gleichmäßig an, kam der Ausbau ab 2017 beinahe zum Erliegen.

Entsprechend weit sind inzwischen einige Länder enteilt. Die Vereinigten Staaten, die 2012 kaum ein Drittel der deutschen Leistung beisteuerten, kamen zuletzt auf die fast doppelt so große Menge (95 Gigawatt). Noch extremer ist die Entwicklung in China. 2012 waren hier nur 6 Gigawatt installiert, heute sind es mehr als 300. Aus deutscher Perspektive noch bedenklicher ist, dass auch von der Größe mit Deutschland vergleichbare Staaten inzwischen vorbeigezogen sind. Japan produziert bereits mehr als 74 Gigawatt Solarenergie.

Lesen Sie auch: So teuer wird die Energiewende-Transformation der deutschen Wirtschaft

Auch bei der Windkraft hat sich die Dynamik in andere Teile der Welt verschoben. Zwar liegt Deutschland bei der installierten Leistung nach wie vor auf Platz 3, vor allem China ist inzwischen aber weit voraus. Waren hier 2012 noch rund doppelt so viele Anlagen wie in Deutschland installiert, sind es heute fast fünfmal so viele. Beim jährlichen Zuwachs liegen heute Staaten vor Deutschland, die vor ein paar Jahren noch gar keine Rolle spielten. So zählte die IRENA in Deutschland im vergangenen Jahr einen Zuwachs von 1,7 Gigawatt, deutlich weniger als in Brasilien (3,5), Großbritannien (2,6) oder Schweden (2,2).

Auch wenn die globale Führungsrolle in Sachen Erneuerbare wohl dauerhaft woanders liegen mag: Schon um die eigenen Ziele noch zu erreichen, muss sich der deutsche Ausbau deutlich beschleunigen. Immerhin, das zeigen die Zahlen der vergangenen Wochen, verfestigt sich die zuletzt deutlich erhöhte Geschwindigkeit beim Anlagenzubau offenbar – zumindest bei der Solarkraft.



Zwar lag der Ausbau der Solarenergie in der vergangenen Woche deutlich unter dem der Vorwoche, die Ausschläge liegen aber im Rahmen des üblichen, so dass auch der niedrige Wert noch deutlich über der Schallmauer von 100 Megawatt bleibt.

Ganz anders ist die Lage bei der Windkraft. Hier wurden in der vergangenen Woche nur zwei neue Anlagen ans Netz angeschlossen, weit weniger als für die Ausbauziele notwendig. Einmal mehr stehen die neuen Windräder in Schleswig-Holstein, wo auch schon in der Woche davor einige neue Anlagen entstanden sind.

Wohnungskauf So können Sie den Immobilienkredit steuerlich absetzen

Unser Leser bewohnt eine Eigentumswohnung in München. Mit seiner Frau möchte er in eine größere ziehen, die alte dann vermieten. Können sie Kreditkosten bei der Steuer geltend machen?

Tages- und Festgeld „Die Banken sind in Lauerstellung“

Die Ära der hohen Leitzinsen neigt sich dem Ende zu. Dennoch bessern manche Banken ihre Angebote gerade nach. Für Sparer könnte es die letzte Gelegenheit sein, bevor die Zinsen rapide fallen.

Deutsche Telekom „Srini ist hochintelligent und weiß, wie man liefert“

Srini Gopalan hat beste Chancen auf die Nachfolge von Tim Höttges bei der Deutschen Telekom. Vorher muss er das komplizierteste Projekt des Konzerns stemmen: den Glasfaserausbau.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Damit verfestigt sich ein Trend, der bereits seit Jahresanfang zu beobachten ist: Dort, wo die meisten Anlagen existieren, werden auch die meisten neuen Windkraftanlagen gebaut, also vor allem im Norden und in Nordrhein-Westfalen. Einzige Ausnahme ist Sachsen-Anhalt: Hier stehen bereits eine ganze Menge von Windkraftanlagen, neue kommen derzeit jedoch kaum dazu.

Lesen Sie auch: Das Tracking der Energiewende zeigt Deutschlands große Aufholjagd beim Ausbau der erneuerbaren Energien – aktueller Stand, Probleme und Ziele auf einen Blick.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%