Wirtschaft von oben #171 – Europäische Kohlekraft Hier stehen die drei größten Braunkohle-Kraftwerke Deutschlands

Das weltweit größte Braunkohlekraftwerk steht in der polnischen Stadt Bełchatów. Quelle: LiveEO/TripleSat

Um die Stromversorgung im Winter zu sichern, holt die Bundesregierung Kraftwerkseinheiten aus der Reserve. RWE und Leag bereiten das Wiederanfahren vor – stoßen aber auf diverse Hürden. Exklusive Satellitenbilder zeigen, um welche Blöcke es geht. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Die sieben Kühltürme des Kraftwerks Neurath ragen fast 200 Meter in den Himmel. Aus vier von ihnen steigen gewaltige Wasserschwaden in den Himmel, die drei anderen stehen still. Kraftwerksblock B wurde im Rahmen des schrittweisen Kohleausstiegs Ende 2021 abgeschaltet, Block A Anfang April. Auch der 300-Megawatt-Kraftwerksblock C ist bereits vom Netz, befindet sich aber in Kaltreserve. Eine Vorsichtsmaßnahme. Im Notfall müssen Reserve-Kraftwerke innerhalb von zehn Tagen wieder Strom produzieren können.

Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist dieser Notfall eingetreten. Deutschland muss sich schnellstmöglich von russischem Erdgas unabhängig machen. Die Kraftwerkstürme, seit Jahren als Umweltverschmutzer verpönt, sind innerhalb kürzester Zeit zum Hoffnungsträger der Deutschen geworden.

Exklusive Satellitenbilder von LiveEO zeigen die drei größten deutschen Braunkohlekraftwerke, deren Reserve-Blöcke im Oktober wieder hochgefahren werden sollen. Zwei Betreiber sind betroffen: Der Energiekonzern RWE will neben dem Kraftwerksblock Neurath C auch die sich ebenfalls in Sicherheitsbereitschaft befindenden Kraftwerksblöcke E und F in Niederaußem zurückholen. Planmäßig sollten die beiden Blöcke eigentlich Ende September stillgelegt werden. Insgesamt könnte RWE damit ab Oktober mit 900 Megawatt zurück ans Netz. Die Rückholaktion hat der Bundestag Mitte Juli beschlossen.


Und die betrifft auch Jänschwalde in Brandenburg. Das ostdeutsche Braunkohleunternehmen Leag könnte dort im Herbst mit weiteren 1000 Megawatt an den Markt kommen. Der Kraftwerksbetreiber will bei Bedarf die sich derzeit in Sicherheitsbereitschaft befindenden 500-Megawatt-Blöcke E und F des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde wieder anfahren.

Für andere Anlagen des Unternehmens stellt sich die Frage der Reaktivierung derzeit nicht. In Boxberg etwa sind keine Blöcke in Sicherheitsbereitschaft. Sie laufen ganz normal weiter. Boxberg ist nach Neurath, Niederaußem und Jänschwalde das viertgrößte Braunkohlekraftwerk in Deutschland.


Anderswo, bei RWE in NRW, laufen die Vorbereitungen auf einen möglichen Einsatz ab Oktober aber auf Hochtouren. Notwendig sind Instandhaltungsarbeiten, umfangreiche Funktionsproben und Revisionsarbeiten, um die Kraftwerksblöcke für einen mehrwöchigen oder gar mehrmonatigen Einsatz fit zu machen. Denn die Anforderungen an die teilweise seit fast vier Jahren stillstehenden Blöcke gehen weit über das in der Sicherheitsbereitschaft Verlangte hinaus.

Zudem müssen die Konzerne das nötige Personal auftreiben. Vielen Mitarbeitern hatten sie mit dem Übergang in die Sicherheitsbereitschaft gekündigt. Jetzt werden die Arbeiter doch wieder gebraucht. Nachwuchs ist aufgrund des geplanten Kohleausstiegs kaum dazugekommen. RWE will den erhöhten Personalbedarf dadurch decken, dass Mitarbeiter stellenweise erst später als bisher geplant in den vorgezogenen Ruhestand gehen. Weitere Stellen sollen durch die Einstellung von Ausgebildeten und durch Neueinstellungen von außen besetzt werden. Von mehreren Hundert Stellen ist die Rede.


Auch in Jänschwalde werden circa 200 zusätzliche Mitarbeiter gebraucht – hauptsächlich für den Betrieb des Kraftwerks, teils aber auch für die zusätzliche Arbeit auf dem Tagebau. Leag will ebenfalls hauptsächlich ehemaliges Personal sowie Mitarbeiter im Vorruhestand einstellen.

Der Fachkräftemangel stelle eine Doppelbelastung dar, heißt es bei Leag. Zum einen gebe es einen demografisch bedingten Fachkräftemangel in der Region Lausitz, dazu kommt der durch neue Industrie- und Gewerbeansiedlungen gestiegene Fachkräftebedarf. Trotzdem hat das Unternehmen nach eigenen Angaben schon die Hälfte der benötigten Mitarbeiter eingestellt.


Doch es gibt eine noch größere Herausforderung, die derzeit noch schwieriger zu überwinden scheint. Denn die Kraftwerksblöcke in Jänschwalde, die ab Oktober zum Einsatz kommen soll, entsprechen nicht mehr den aktuellen Immissionsschutzauflagen. Eine entsprechende technische Nachrüstung ist laut Leag in der verbleibenden Zeit nicht möglich. Der Betreiber fordert deshalb eine bundeseinheitliche immissionsschutzrechtliche Ausnahmeregelung. Eine solche forderten auch die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Braunkohleländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg in einem Schreiben an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

Doch auf Bundesebene blieb die Bitte ungehört. Über eine Ausnahmeregelung für das Kraftwerk Jänschwalde soll jetzt auf Landesebene entschieden werden. Leag konkretisiert eigenen Angaben zufolge derzeit die Antragsunterlagen. Die fehlende Planungssicherheit vonseiten des Bundes erschwere die Arbeit allerdings. Während des Gesetzgebungsprozesses seien die Hürden weiter verschärft worden. So sollen die Kraftwerksblöcke E und F erst eingesetzt werden dürfen, wenn die Steinkohlenkraftwerksblöcke in der Netzreserve nicht ausreichen. Zudem müssten vor einem Einsatz der Blöcke E und F die Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung berücksichtigt werden.


Das Thema Grundwasser hat auf dem nahe gelegenen Tagebau Jänschwalde bereits für Konflikte gesorgt. Denn damit die riesigen Bagger sich durch das über 2800 Hektar große Lausitzer Revier buddeln können, darf kein Wasser in den Gruben stehen. Doch die 1996 genehmigte Wassermenge, die abgepumpt werden darf, reicht bei Weitem nicht aus, um den Tagebau sicher zu betreiben. Das stellte das Cottbusser Verwaltungsgericht im März fest.

Der Streit darüber, wie viel Wasser in einem Tagebau abgepumpt werden darf, führte im Mai beinahe zu einem vorübergehenden Stopp des Tagebaus. Nach einem Eilantrag von Umweltverbänden hatte das Verwaltungsgericht entschieden, dass der Tagebau-Betrieb ruhen müsse. Wenige Tage vor dem drohenden Abbaustopp kippte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg diese Entscheidung jedoch wieder. Auch weil die Energieversorgung wegen des Ukraine-Krieges gesichert bleiben soll.

Im kommenden Jahr gehen die genehmigten Rohstoffvorräte in Jänschwalde zur Neige. Spätestens dann werden die Bagger im Lausitzer Revier stillstehen. Die Versorgung des benachbarten Kraftwerksstandorts übernehmen dann die weiter südlich gelegenen Leag-Tagebaue.

Nach jahrzehntelangen Abbauarbeiten am Tagebau Jänschwalde bleibt ein sogenanntes Restloch, aus dem ein 400 Hektar großer See entstehen soll. Die Flutung hat bereits im Jahr 2000 begonnen, wie die exklusiven Satellitenbilder belegen. Laut ursprünglicher Planung sollte der See den Endwasserstand von knapp über 70 Metern schon im vergangenen Jahr erreicht haben, doch es kam zu Problemen bei der Wasserzulieferung. Wann die Beflutung abgeschlossen werden kann, ist derzeit unklar.


Anders als das Abbaugebiet in Jänschwalde wird der Tagebau Garzweiler bis zum finalen Kohleausstieg gebraucht, um die weiterhin betriebenen Kraftwerke zu versorgen. Anschließend soll auch das Restloch im nördlichen rheinischen Braunkohlerevier geflutet werden. Die nun verlängerte Laufzeit einzelner Kraftwerksblöcke soll die Pläne laut Betreiber RWE nicht verzögern. 

Der Bund will trotz des geplanten Einsatzes von mehr Kohlekraftwerken am Kohleausstieg bis idealerweise 2030 festhalten. Es sei wichtiger denn je, dass dieser bis dahin über die Bühne gehe, teilt ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums mit. Bis 2030 soll der Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am gesamten Stromverbrauch auf mindestens 80 Prozent steigen. Derzeit liegt er bei 50 Prozent. Was fehlt: deutlich mehr Windräder und deutlich mehr Solaranlagen.


Während Deutschland versucht, seine Treibhausgasemissionen möglichst zeitnah zu senken, soll das weltweit größte Braunkohlekraftwerk erst bis 2036 schrittweise stillgelegt werden. Zehn Kilometer vor der Stadt Bełchatów qualmt Europas größte CO2-Schleuder vor sich hin. Rund 40 Millionen Tonnen CO2 setzt die Verbrennung der Braunkohle dort jährlich frei. Der Traum vom klimaneutralen Kontinent scheint noch weit entfernt.


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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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