Wirtschaft von oben #275 – Agrifotovoltaik: Hier fahren Landwirte eine doppelte Ernte ein
Die meterhohen Stangen, an denen Kletterpflanzen emporwachsen, sieht man allerorts in der bayerischen Hallertau, dem größten Hopfenanbaugebiet weltweit. Auf einem Feld beim Ort Neuhub allerdings hat das Stelzengerüst ein innovatives Upgrade bekommen.
Hopfenpflanzer Josef Wimmer aus Neuhub hat dort vor eineinhalb Jahren robustere Stangen aufgebaut – und dann Solarmodule daran montiert. Exklusive Satellitenbilder von LiveEO zeigen die Module aus dem All, in denen sich das Sonnenlicht spiegelt.
Agrifotovoltaik nennen Energieexperten das, wenn sich Feldfrüchte den Acker mit Fotovoltaikanlagen teilen. Clever aufgestellte Solarmodule sollen Sonnenlicht ernten – und den Bauern gleichzeitig noch eine Hopfen-, Apfel- oder Weizenernte ermöglichen.
Kilowatt und Karotten: Agrifotovoltaik hat das Potenzial, den Landnutzungskonflikt zwischen Energie- und Agrarbranche zu lösen. Das Potenzial in Deutschland ist laut einer Studie des Forschungszentrums Jülich gigantisch: 5437 Gigawatt Solarleistung ließen sich auf deutschen Feldern installieren. Das wäre gut 25 Mal mehr als das Regierungsziel von 215 Gigawatt Solarleistung bis zum Jahr 2030.
Bisher sind weltweit rund 14 Gigawatt Agrifotovoltaik in Betrieb, zeigt eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE. Im Jahr 2018 waren es noch 2,9 Gigawatt. Der Ausbau hat also stark an Tempo gewonnen, weltweit erwärmen sich Landwirte für die Technik. In China etwa ist eine Anlage mit 700 Megawatt Leistung in Betrieb, unter der Goji-Beeren geerntet werden.
Die Idee für die Agrifotovoltaik entstand schon in den 1980er-Jahren am Fraunhofer ISE. Dort haben Wissenschaftler die Technologie in den vergangenen Jahrzehnten intensiv erforscht. Auf Versuchsfeldern – das erste in Deutschland entstand im Jahr 2004 – haben sie verschiedene Arten von Solarkonstruktionen gebaut, in verschiedenen Himmelsrichtungen, mit verschiedenen Feldfrüchten darunter.
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Inzwischen sind etliche Produkte auf dem Markt. Module auf Stelzen etwa wie beim Hopfenbauer Wimmer. Sie eignen sich auch für Obstplantagen oder im Weinbau. Die Module nehmen den Pflanzen zwar etwas Licht weg – spenden in der Sommerhitze aber auch Schatten und schützen vor Hagelschlag. Davon wollen etwa auch Weingüter in Südfrankreich profitieren.
Auf Satellitenfotos sieht man etwa eine neue Anlage, die beim Städtchen Saint-Laurent-de-la-Salanque errichtet worden ist.
Unweit der Mosel, in der Gemeinde Bruttig-Fankel im Landkreis Cochem-Zell, entsteht gerade ein Kraftwerk aus vier mal fünf Meter großen Solarmodulflächen, die auf mehr als zwei Meter hohen Ständern hinaufragen. Unter ihnen sollen Kühe grasen, ohne sich die Hörner an den Solarzellen zu stoßen.
4700 solcher „Solartische“ sollen auf 34 Hektar Weideland gebaut werden. Die Leistung des Agri-PV-Kraftwerks: 69 Megawatt. Damit wird es eine der größten Anlagen dieser Art in Europa. Erhoffter Vorteil des Stelzenkraftwerks: Wasser auf der Weide soll langsamer verdunsten – sodass die Kühe auch an heißen Tagen noch genug Grünzeug zu fressen finden.
„Fotovoltaiksysteme können Hagelkörner abbremsen und Schatten spenden, Feldfrüchte vor Trockenheit bewahren und vor übermäßiger Sonneneinstrahlung“, heißt es in einem Leitfaden des Fraunhofer ISE. So könne Agrifotovoltaik mitunter sogar für höhere Ernten sorgen.
Das Gegenteil kann jedoch auch passieren: Je nach Feldfrucht, Wetter und Anlagentyp bringe die Verschattung mitunter Ernteeinbußen von etwa 20 Prozent, besagt der Leitfaden. Auch für die Solaranlagen ist der Bauaufwand höher als bei gewöhnlichen Freiflächenanlagen – und weil sie Platz für Gemüse oder Obstbäume lassen müssen, benötigen etwa Anlagen auf Stelzen auch 20 bis 40 Prozent mehr Platz pro Kilowatt Leistung.
Insgesamt aber bekommen Landwirte pro Hektar mehr Ertrag heraus, wenn sie alles richtig machen. Bei einem Versuchsprojekt in der Region Bodensee-Oberschwaben sank die Ernte zwar auf 80 Prozent, der Solarstromertrag auf 83 Prozent einer üblichen Freiflächenanlage. Kombiniert wurde die Ackerfläche aber um 42 bis 87 Prozent produktiver genutzt als durch reine Landwirtschaft oder Stromerzeugung, berichtet das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft.
Darum nimmt die Zahl großer Projekte zu. Auf Sizilien etwa wird eine 135 Megawatt große Solaranlage gebaut, die sich die Fläche mit Oliven- und Feigenbäumen teilt. In Österreich wiederum wird gerade eine Agrifotovoltaik-Anlage mit 164 Megawatt Leistung gebaut. Zwischen den Modulen ist Platz für Kichererbsen.
Mit der Massenfertigung vor allem in China sind Solarmodule in den vergangenen Jahren zudem deutlich preiswerter geworden. Strom aus Agri-PV-Anlagen kostet in Deutschland laut einer jüngst veröffentlichten Fraunhofer-ISE-Studie 5,2 bis 11,9 Cent pro Kilowattstunde. Zum Vergleich: Große gewöhnliche Freiflächenanlagen kommen auf 4,1 bis 6,9 Cent.
Damit rechnet sich der Einsatz der Anlagen auch dort, wo Solarmodule nicht das beste Sonnenlicht abbekommen. Etwa bei vertikalen Solaranlagen, die ähnlich wie Zäune auf Weiden aufgestellt werden. Neue, sogenannte bifaziale Solarmodule können dabei immerhin von beiden Seiten Sonnenlicht einfangen – bei Ost-West-Ausrichtung etwa morgens und nachmittags. Eine solche vertikale Anlage steht schon seit Jahren im saarländischen Eppelborn-Dirmingen, wie Satellitenbilder zeigen.
Bilder: LiveEO/Google Earth, LiveEO/Google Earth/Maxar
Einige Erfahrungen müssen Solarforscher und Landwirte mit der Technik noch sammeln. Zu viel Feuchtigkeit unter den Modulen begünstigt etwa Pilzinfektionen an Pflanzen. Anwohner könnten sich über das veränderte Landschaftsbild ärgern. Landmaschinen müssen in den Aufbauten problemlos navigieren können.
In der Hallertau hat Hopfenbauer Wimmer mit seinen Solarmodulen aber bisher gute Erfahrungen gemacht. Bauern könnten mit der Stromerzeugung künftig drei mal so viel Geld verdienen wie mit dem Hopfen, so hofft er. Mit einem neuen Unternehmen namens AgrarEnergie will er die Technologie nun groß rausbringen: Ab 2025 soll seine Hopfensolaranlage als Produkt auf den Markt kommen.
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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.