Wirtschaft von oben #92 – Weltall Hier entstehen die Startrampen für den Raumfahrt-Boom

Die Raumfahrt-Szene sucht neue Cape Canaverals – sogar umgebaute schwimmende Ölplattformen kommen in Frage. Quelle: LiveEO/Sentinel

Tausende neue Satelliten, hunderte Raketenstarts: Die Raumfahrt-Szene boomt – und sucht nach neuen Cape Canaverals. Elon Musks Raketenschmiede SpaceX hat sich jetzt sogar offenbar eine schwimmende Plattform gekauft. Exklusive Satellitenbilder zeigen, was dahintersteckt und wie die neuen Startrampen von den USA bis China vorangekommen sind. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Phobos und Deimos, so heißen zwei Monde des Mars. Neuerdings tragen allerdings auch zwei Bohrinseln die gleichen Namen: Die mächtigen Plattformen, die zuvor im Golf von Mexiko Öl förderten, gehören laut einem Bericht des Fernsehsenders CNBC seit Kurzem zum Inventar von SpaceX, dem wohl erfolgreichsten Raumfahrtkonzern der Welt. Elon Musk, Gründer von SpaceX und auch der Chef von Tesla, will die Bohrinseln für ganz andere Zwecke nutzen: als Startrampe für den Flug ins All.

Exklusive Satellitenbilder von LiveEO zeigen eine der beiden Plattformen, Deimos, im Hafen von Brownsville im Süden von Texas. Es ist nicht der einzige neue Startplatz, an dem die Raumfahrtindustrie gerade arbeitet – weltweit sind zahlreiche Projekte in Entwicklung oder in Planung. Denn die Raumfahrtszene boomt: Jedes Jahr sollen in dieser Dekade mehr als 1000 Satelliten ins All geflogen werden, prophezeien die Marktforscher von Euroconsult.

SpaceX will sie hier in eine Raketenstartplattform umbauen. Wo sie danach eingesetzt werden soll, hat das Unternehmen noch nicht bekannt gegeben.

Zahlreiche Start-ups arbeiten darher an neuen Raketen, darunter auch drei deutsche Neulinge: HyImpulse, Isar Aerospace und Rocket Factory Augsburg. Alle suchen nach Gelegenheiten, ihre Launcher abheben zu lassen. Allein in Europa sind darum mindestens sechs Weltraumbahnhöfe geplant beziehungsweise im Ausbau, darunter auch eine Plattform in der deutschen Nordsee. Und auch die großen Raumfahrtagenturen haben neue Startplätze errichtet. Einige der neuen Tore ins All und wie sie sich entwickelt haben, zeigen wir hier erstmals mit Bildern aus dem Weltall.

Dass SpaceX mit dem Gedanken spielt, Raketen aus dem Meer zu starten, hatte das Unternehmen schon früher durchblicken lassen. In einem Tweet verriet Musk vergangenen Juni, was er vorhat: „SpaceX baut schwimmende Weltraumbahnhöfe der Schwergewichtsklasse“, schrieb er, „für Flüge zum Mars, Mond und in Überschallgeschwindigkeit rund um die Erde.“ Möglich machen soll das das Starship, die neue Riesenrakete von SpaceX, die zahlreiche Raumfahrt-Rekorde brechen soll.



Zwar hat Musk in den vergangenen Jahren in Texas beim Dorf Boca Chica schon einen Weltraumbahnhof an Land errichtet, wo sein Team aus hunderten Experten das Starship im Eiltempo baut und testet. Erst am Mittwoch explodierte ein Starship nach einem Testflug in zehn Kilometern Höhe spektakulär in einem Feuerball. Doch Musk ließ sich von solchen Fehlstarts schon früher nicht beirren. Und offenbar reicht ihm der Weltraumbahnhof Boca Chica nicht aus. Das Ziel seien drei Starship-Starts pro Tag, schrieb Musk vor einem Jahr auf Twitter. Ein großer Teil davon solle zum Mars fliegen – um dort eine Kolonie zu bauen, die sich binnen weniger Jahre selbst versorgen solle.

Es geht also um nichts weniger als die Besiedlung des roten Planeten. Darum auch der neue Name Deimos für die Bohrinsel im Hafen von Brownsville, unweit von Boca Chica. Berichten zufolge zahlte SpaceX 3,5 Millionen Dollar für die Bohrinsel und hat Stellen ausgeschrieben für Kranführer, Elektriker und Offshore-Ingenieure, die auf der Plattform arbeiten sollen. Dass Startplattformen im Meer funktionieren können, hat die Plattform des Unternehmens See Launch im Pazifik schon Ende der 90er Jahre bewiesen.

Unten im Bild ist der der 800 Meter lange Startplatz für Wetterballons zu erkennen. Weiter oben stehen die Hauptgebäude der Anlage, unten rechts das Radar Esrad, das die Luftströmungen in der Atmosphäre bis in 90 Kilometer Höhe erforscht.

Wenn es mit der Reise zum Mars doch nicht so schnell klappen sollte, wie geplant, könnten Musks schwimmende Startrampen auch irdischen Zwecken dienen: dem Punkt-zu-Punkt-Flug rund um die Erde. Dabei könnten die Starships etwa vor der Küste Londons senkrecht ins All starten, dort den Planeten umrunden und nach nur einer halben Stunde in Sydney landen. Für das US-Militär prüft SpaceX bereits, ob sich auf diesem Weg militärisches Gerät blitzschnell um die halbe Welt transportieren ließe. Musk schwebt aber auch ein Hyperschall-Personenverkehr vor, der Fluglinien Konkurrenz machen soll.

Auch in der europäischen Arktis, nah der schwedischen Erzminen-Stadt Kiruna, herrscht neuerdings Raumfahrt-Fieber. Zwar schicken Forscher hier schon seit den 60er Jahren am Esrange Space Center Wetterballons und Höhenforschungsraketen in den Himmel. Doch bisher fallen alle diese Flugkörper zur Erde zurück. Forscher sprechen von Suborbitalflügen, bei denen die Raketen gerade genug Tempo haben, um das All zu streifen. Mehr als 550 der auf Englisch Sounding Rockets genannten Geschosse sind nahe Kiruna insgesamt gestartet.


Nun sollen aus Schweden auch Raketen in den Orbit starten. Der schwedische Staat investiert neun Millionen Euro in den Weltraumbahnhof, um ihn bis 2022 bereit zu machen. Die Lage ist günstig: Außer einigen Rentierherden ist hier in der arktischen Tundra nicht viel unterwegs, sodass ein Fehlstart keine Siedlungen gefährden könnte. Die deutschen Raketen-Start-ups Isar Aerospace und Rocket Factory Augsburg sind dem Reiz des Nordens schon verfallen – und testen am Esrange Space Center ihre Raketen-Triebwerke.

Im Süden Chinas, in der Region Wenchang am südchinesischen Meer, legte im Dezember die Long March 8 einen erfolgreichen Jungfernflug hin. Die Rakete für mittelgroße Lasten bis zu 8,4 Tonnen soll künftig ähnlich wie die Falcon 9 von SpaceX in Teilen wiederverwendbar sein – und damit die Startkosten für Chinas Raumfahrt senken. Auch für das Kosmodrom Wenchang ist der Start ein Erfolg. Das Gelände wird erst seit Sommer 2016 für Raketenstarts genutzt, soll in der chinesischen Raumfahrt künftig aber eine wachsende Rolle spielen.


Wenchang ist der südlichste Raumfahrtbahnhof Chinas und eignet sich besonders, um Satelliten in den so genannten geosynchronen Orbit zu befördern, der vor allem für Fernseh- und Kommunikationssatelliten interessant ist. Geosynchrone Satelliten fliegen direkt über dem Äquator. In Wenchang müssen die Raketen darum fast nur Richtung Osten abheben, um ihre Fracht in den Orbit zu bringen – und können dabei auch noch den Schwung der Erddrehung mitnehmen, der in Äquatornähe besonders groß ist.

Weiterer Vorteil von Wenchang: Weil der Startplatz am Meer liegt, können Raketenteile nicht nach dem Start auf chinesisches Territorium fallen. An den anderen chinesischen Startrampen kommt es immer wieder vor, dass Teile, etwa Raketenbooster, in der Nähe von bewohnten Dörfern herunterstürzen. Rund um das Kosmodrom sollen sich laut Plänen der Provinzverwaltung Raumfahrt- und Technologieunternehmen ansiedeln, inklusive Serverfarmen, die Daten von Satelliten aus dem All auswerten sollen.

Weiter nördlich, hundert Kilometer jenseits der chinesischen Grenze, erlebte ein weiteres Startgelände ebenfalls im Frühjahr 2016 seinen ersten Raketenstart: Das Kosmodrom Wostotschny, auf Deutsch „östlicher Weltraumbahnhof“, dient Russlands Sojus-Raketen als neues Tor ins All. Der neue Standort soll die Abhängigkeit vom Startplatz Baikonur verringern, der in Kasachstan liegt. Die Bauarbeiten begannen 2012 und sollen mehr als sechs Milliarden Euro gekostet haben. Sie sind von Korruptionsskandalen überschattet, zahlreiche Mitarbeiter wurden entlassen, einige mussten sich vor Gericht verantworten.


Einerseits ist die Gegend um den Standort in Russlands fernem Osten gering besiedelt, andererseits führen in der Nähe eine große Eisenbahnlinie und Fernverkehrsstraße durch die Taiga. Das erleichtert die Logistik. Vergangenen Sommer setzte Russlands Raumfahrtbehörde Roscosmos für den Ausbau ihres jüngsten Raketenbahnhofs auf eine ganz besondere Transportlösung: Ein Spezialschiff stach in Westrussland in See und passierte die Nord-Ost-Passage in der Arktis – an Bord 2000 Tonnen Material, darunter Teile für ein neues Launchpad. 11.000 Kilometer legte die Fracht zurück.

Zu jedem Raketenstart sollen laut dem Magazin Spacenews 1000 Arbeitskräfte vom Weltraumbahnhof Baikonur eingeflogen werden. Auch die einzelnen Sojus-Raketen machen eine weite Reise: Sie werden in der westrussischen Stadt Samara hergestellt und dann in Einzelteilen über viele tausend Kilometer per Zug zum Startplatz Wostotschny transportiert. In einer Halle werden die Raketen zusammengebaut und von dort zum Startplatz gebracht. Da wirkt der Weg ins All in ein paar hundert Kilometer Höhe nur noch wie die letzte Etappe einer langen Reise.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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