
„Dr. Ulrich Hackenberg scheidet im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat der Audi AG aus dem Vorstand aus.“ Mit dieser Zeile gab der Autobauer am späten Donnerstag Abend bekannt, dass sein Entwicklungschef geht – schließlich feierte dieser im Mai seinen 65. Geburtstag. Keine Minute später wurde Stefan Knirsch, ein 49-jähriger Ingenieur mit beeindruckender Karriere innerhalb des VW-Konzerns, zu seinem Nachfolger ernannt.
Alles gewöhnliche Vorgänge? Mitnichten.
Es sind keine gewöhnlichen Zeiten in Wolfsburg und Ingolstadt, der Skandal um millionenfach manipulierte Abgaswerte und allerlei Folge-Enthüllungen haben den Volkswagen-Konzern tief erschüttert. Konzernchef Winterkorn musste bereits Ende September gehen, kurze Zeit später wurden die Entwicklungschefs von Volkswagen, Audi und Porsche beurlaubt – alle drei waren in den Jahren, in denen der Skandal-Motor EA189 entwickelt wurde, in verantwortungsvollen Positionen in der VW-Motoren- oder Gesamtentwicklung. Ihre Rolle musste geklärt werden.
Während über Heinz-Jakob Neußer (VW) und Wolfgang Hatz (Porsche) über die offiziellen Kanäle nichts zu hören ist, muss Hackenberg nun gehen. Klingt so, als sei ein Schuldiger gefunden – auch wenn es vielleicht seine einzige Schuld war, dass er die Vorwürfe gegen sich nicht entkräften konnte. Ob Hackenberg – intern nur „Hacki“ genannt – über den Betrug informiert war oder ihn gar angeordnet hat, ist weiterhin nicht bekannt.





Es ist auch fraglich, ob VW entsprechende Beweise hat und Hackenberg als treibende oder zumindest mitwissende Kraft überführen kann. In der Pressemitteilung zumindest steht kein Wort über den Abgasskandal, oder wie es im Konzern heißt: die Diesel-Thematik.
Ob mit dieser Personalie VW-Chef Matthias Müller – seit Donnerstag übrigens auch Vorsitzender des Audi-Aufsichtsrats – die versprochene Aufklärung entscheidend vorantreibt, darf bezweifelt werden. „Vor allem das System der modularen Baukästen ist untrennbar mit dem Namen von Ulrich Hackenberg verbunden“, wird Müller zitiert. „Bereits Anfang der neunziger Jahre hatte er bei Audi die Idee dazu. Heute profitiert der gesamte Konzern davon.“ Jagt man so den Schuldigen für den größten Skandal der Konzerngeschichte vom Hof? Wohl kaum.
So könnte VW die "Dieselgate"-Kosten schultern
Der Abgas-Skandal kratzt nicht nur am Image des Volkswagen-Konzerns - er dürfte vor allem sehr teuer werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Kosten des Skandals und wie VW sie stemmen könnte.
Quelle: dpa
Darüber rätseln Beobachter derzeit. Bislang bekannt ist: Volkswagen hat 6,5 Milliarden Euro für Kosten aus dem Abgas-Skandal zurückgelegt. Das Geld ist aber wohl in erster Linie für eine technische Umrüstung der Autos mit Manipulations-Software bestimmt, wie Finanzchef Hans Dieter Pötsch laut dem Fachblatt „Automobilwoche“ kürzlich vor VW-Managern erklärte. Unklar ist, welche Strafzahlungen auf VW zukommen. Dazu dürften noch mindestens drei andere mögliche Kostenblöcke kommen: Strafzahlungen, Schadenersatzforderungen, Anwaltskosten. Wie hoch diese Ausgaben sein werden, lässt sich derzeit nur grob schätzen. Die Landesbank Baden-Württemberg rechnet derzeit mit einem Schaden von 47 Milliarden Euro für den Konzern. Ein möglicher Imageverlust und damit verbunden ein Rückgang der Autoverkäufe ist dabei noch nicht eingerechnet. Allerdings werden die Kosten wohl nicht auf einmal anfallen, sondern sich über Jahre verteilen.
Vergleichsweise viel. VW hat sich in den vergangenen Jahren ein stattliches Kapitalpolster zugelegt. Zur Jahresmitte hatte der Konzern rund 18 Milliarden Euro Bargeld auf dem Konto. Das ist mehr als ganze Dax-Konzerne wie Adidas oder Lufthansa einzeln an der Börse wert sind. „Über den Daumen gepeilt kann VW davon die Hälfte verwenden, um mögliche Kosten zu begleichen“, sagt Nord-LB-Analyst Frank Schwope. Dazu kommen bei VW noch schnell veräußerbare Wertpapiere über 15 Milliarden Euro und Schätzungen zufolge mindestens 5 Milliarden Euro aus dem Verkauf der Beteiligungen am ehemaligen Partner Suzuki und an einer niederländischen Leasingfirma.
Das ist sehr unwahrscheinlich. VW könnte sich über Anleihen und Kredite Geld leihen, auch wenn einige Ratingagenturen ihre Bewertungen der Kreditwürdigkeit des Konzerns zuletzt angepasst hatten. Wenn es irgendwann hart auf hart käme, könnte Volkswagen immer noch sein Tafelsilber verkaufen. Am einfachsten ließen sich wohl die Luxusmarken Bentley, Bugatti und Lamborghini aus dem Konzern herausnehmen. Nord-LB-Analyst Schwope schätzt den möglichen Verkaufserlös für die drei Marken und den Motorradhersteller Ducati auf 5 bis 10 Milliarden Euro. Durch einen Verkauf der Lastwagenbauer MAN und Scania ließen sich nach seinen Berechnungen sogar 30 bis 35 Milliarden Euro erzielen. Das wertvollste Juwel in der Sammlung, den Sportwagenbauer Porsche, dürften die VW-Anteilseigner kaum abgeben wollen.
Nur begrenzt. Eine Kapitalerhöhung - also die Ausgabe neuer Aktien - ist bei VW nicht so leicht wie in anderen Konzernen. Damit die Familien Porsche und Piëch sowie das Land Niedersachsen als Anteilseigner ihre Macht im Konzern nicht verlieren, darf sich deren jeweiliger Anteil an den Stammaktien nicht stark verringern. Vor allem Niedersachsen dürfte aber derzeit kaum ein Interesse daran haben, weitere Stammaktien zu kaufen und Geld in den VW-Konzern zu stecken. VW könnte deshalb wohl höchstens neue Vorzugsaktien ausgeben, das sind Aktien ohne Stimmrecht auf der Hauptversammlung des Konzerns. Laut Aktiengesetz darf die Zahl dieser Vorzugsaktien die Zahl der Stammaktien allerdings nicht übersteigen. VW könnte deshalb höchstens rund 114 Millionen neue Aktien ausgeben und damit auf Basis derzeitiger Kurse rund 11 Milliarden Euro einsammeln.
In der Regel setzen Sparmaßnahmen bei großen Konzernen zuerst bei den Mitarbeitern an: Weniger Gehalt, Einstellungsstopps, bis hin zu Stellenstreichungen und Entlassungen. Bei Volkswagen wäre das allerdings nicht so einfach. Die Arbeitnehmervertreter haben in Wolfsburg deutlich mehr Macht als in anderen Konzernen. Einfacher wäre die Kürzung geplanter Investitionen. Hier hatte Volkswagen angepeilt, bis 2019 eine Summe von mehr als 100 Milliarden Euro in Standorte, Modelle und Technologien zu stecken. Laut Experte Schwope könnte VW hier den Rotstift ansetzen und so 2 Milliarden Euro jährlich sparen, vor allem bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Nur: Dann besteht die Gefahr, von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Der Zeitpunkt wäre denkbar ungünstig - die Autoindustrie steht durch Digitalisierung und Elektroantriebe vor einem Umbruch.
Hackenberg war zu jener Zeit in der Verantwortung, ja. Was er wirklich wusste oder anordnete – das ist entscheidend. Weitere Klarheit gibt aber auch „Hackis“ Abgang nicht. Im Gegenteil.
Es war zudem wohl nicht das erste Mal, dass Hackenberg in die Rolle des Schuldigen schlüpfen sollte. Am 21. September 2015, der Skandal war also offiziell drei Tage alt, soll Winterkorn – Hackenberg dahin in bester Männerfreundschaft verbunden – seinen jahrelangen Weggefährten dazu aufgefordert haben, die Verantwortung für die Misere zu übernehmen. So soll es Hackenberg laut der „Süddeutschen Zeitung“ den Anwälten der Kanzlei Jones Day erzählt haben, die mit der Aufarbeitung der Abgasaffäre beauftragt ist.
Der Entwicklungschef sollte seinen Kopf hinhalten, damit Freund Winterkorn das Desaster mit einem hochrangigen Bauernopfer für beendet erklären und weiter regieren kann. Doch Hackenberg, der den Anwälten diese Episode wohl als Beleg für seine überzeugte Unschuld berichtete, blieb hart und weigerte sich. Das war nicht nur das Ende einer Männerfreundschaft, sondern auch das Ende Winterkorns an der Volkswagen-Spitze.
Jetzt ist auch die Zeit Hackenbergs im VW-Konzern vorbei, nur wenige Monate später. Die Art und Weise lässt zumindest Zweifel aufkommen, ob es am 3. Dezember so viel anders war als am 21. September. Nur hat die neue Führungsspitze offenbar überzeugendere Argumente gefunden als damals Winterkorn. Ob das alles die Aufklärung voranbringt, steht aber auf einem anderen Blatt Papier.