Für Autofans ist es eine wichtige Frage: Wer hat den Schnellsten? Mit Power-Modellen wie Audi RS4, Mercedes-AMG C63 und BMW M3 wollen deutsche Autobauer nicht nur beweisen, wie gut sie die Technologie beherrschen. Schließlich erfordert es viel Know-how, aus einem Familienkombi oder einer Vertreter-Schleuder einen rassigen Sportwagen zu bauen.
Viel mehr noch als ein Vergleichstest für Petrolheads sind die sportlichen Topmodelle Imageträger. Mit M, AMG und Co. wollen die Autohersteller ihre braven Limousinen emotional aufladen und den Fahrern etwas Rennsport-Feeling vermitteln.
Doch gerade in München scheint der Imageträger zum Imagedesaster zu werden: BMW nimmt den M3 im August aus dem Programm. Ersatzlos. Der Grund für den Verkaufsstopp der Sportwagen-Institution hat einen komplizierten Namen: Worldwide Harmonized Light Vehicle Test Procedure, kurz WLTP.
Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich ein neuer Testzyklus, der den alten NEFZ-Test, mit dem bisher die Normverbräuche und Emissionen gemessen werden, ablöst. Ab dem 1. September 2018 ist der neue Messzyklus in Deutschland obligatorisch. Die WLTP-Verbrauchsangaben sollen realistischer sein – und damit in der Regel auch deutlich höher. Um bis zu 20 Prozent werden die Werte steigen, schätzt etwa der Verband der Automobilhersteller (VDA). Und damit hat BMW offenbar bei einigen Modellen ein Problem.
M3 wird nicht mit Partikelfilter ausgerüstet
Der M3, der aus seinem drei Liter großen Reihensechszylinder je nach Variante zwischen 431 und 460 PS herauskitzelt, schafft nach dem neuen Messzyklus den Grenzwert für die Partikelemission nicht mehr. Die Euro-6c-Norm, die ebenfalls zum 1. September in Kraft tritt, erlaubt noch 600 Milliarden Feinstaub-Partikel pro Kilometer (im Fachjargon wird die Partikelanzahl PN genannt). Das würde der M3 nur noch mit einem Partikelfilter schaffen – den er aber weder hat noch bekommen wird.
Denn ein einfaches Nachrüsten ist nicht möglich. Das liegt daran, dass Partikelfilter sehr große Bauteile sind. Bei einem fertig entwickelten Auto ist es kompliziert, so etwas nachträglich unterzubringen, erst recht im Motorraum oder bei der Abgasanlage unter dem Auto, wo der Platz knapp ist.
Die wichtigsten Unterschiede zwischen NEFZ und WLTP
NEFZ: Leergewicht plus 100 Kilogramm
WLTP: Leergewicht plus 100 Kilogramm plus Ausstattung, keine Klimaanlage
NEFZ: Weniger als 3.000 Kilometern
WLTP: Zwischen 3.000 und 15.000 Kilometern
NEFZ: Durchschnittlich 4 kW / 5,4 PS. Maximal: 34 kW / 46 PS
WLTP: Durchschnittlich 7 kW / 9,5 PS. Maximal: 47 kW / 64 PS
NEFZ: 25 Prozent
WLTP: 13 Prozent
NEFZ: 11 Kilometer
WLTP: 23,25 Kilometer
NEFZ: 20 Minuten
WLTP: 30 Minuten
NEFZ: 120 km/h
WLTP: 131 km/h
NEFZ: 34 km/h
WLTP: 46 km/h
NEFZ: Fixe Schaltpunkte
WLTP: Fahrzeugspezifisch
NEFZ: Nicht definiert
WLTP: Fahrzeugspezifisch
NEFZ: Nicht definiert
WLTP: Fahrzeugspezifisch
NEFZ: 20 bis 30 Grad
WLTP: 14 / 23 Grad
NEFZ: Nicht definiert
WLTP: Darf vor dem Zyklus nicht geladen werden
NEFZ: Nein
WLTP: Ja
NEFZ: Kalt
WLTP: Kalt
NEFZ: Keine
WLTP: Drei Gewichts-/Leistungsklassen:
- bis 22 Watt pro Kilogramm,
- bis 34 Watt/kg und
- ab 35 Watt/kg. In der EU übliche Fahrzeuge gehören fast ausschließlich der Klasse drei an.
NEFZ: 14
WLTP: 9
Wie knapp, zeigt sich beim Schwestermodell M4 (Cabrio und Coupé), das von BMW nachgerüstet wird. Als die Münchner 2013 die aktuelle Generation von M3 und M4 vorstellte, wurde eine Leichtbaumaßnahme von BMW immer wieder hervorgehoben: Eine Kardanwelle – also das Teil, dass die Antriebskraft des vorne eingebauten Motors an die angetriebene Hinterachse überträgt – aus Kohlefaser ersetzte das 2,5 Kilo schwerere Stahl-Bauteil. Das leichtere und steifere Bauteil verringere außerdem die rotierenden Massen und verbessere deshalb die Dynamik des Antriebsstrangs, so BMW damals.
Doch schon im Herbst 2017 folgte der Rückschritt: Seitdem wurde alle M3 und M4 wieder mit der schweren Stahl-Kardanwelle ausgeliefert. „Diese Maßnahme schafft die technische Voraussetzung, um zukünftig geltende, gesetzliche Emissionsanforderungen erfüllen zu können“, hieß es. Die „technische Voraussetzung“ liegt schlicht im Durchmesser: Das Kohlefaserrohr ist außen 84 Millimeter dick, das Stahlteil an einigen Stellen nur 56 Millimeter. Der geringere Durchmesser schafft Platz, um einen Partikelfilter unterzubringen.
Wie der neue Messzyklus realistischere Werte liefert
Getestet werden im aktuellen Verfahren NEFZ jeweils die Basismodelle eines Fahrzeugtyps – ohne gefragte Extras wie Sitzheizungen, Navis oder Klimaanlagen, die Gewicht und Verbrauch erhöhen. Der kommende Messzyklus WLTP fordert dagegen, durchschnittlich ausgestattete Fahrzeuge zu testen.
Bisher schicken die Hersteller ihre Fahrzeuge mit voll geladener Batterie in den Test und vermeiden, dass die Lichtmaschine diese im Verlauf der Testfahrt wieder auflädt und dabei Motorleistung frisst. Durch den Trick würde der Wagen im Alltag nach wenigen Kilometern mit leerer Batterie liegen bleiben; er soll künftig nicht mehr möglich sein.
Der Testzyklus NEFZ lässt Autos 26 Sekunden Zeit, um im Kriechgang von null auf 60 Kilometer pro Stunde zu beschleunigen. Ein moderner durchschnittlicher Golf von Volkswagen ist in weniger als zehn Sekunden 100 Kilometer pro Stunde schnell. Die simulierte Autobahnfahrt dauert derzeit nur 400 Sekunden lang und endet bei 120 Kilometern pro Stunde. Dies entspricht zwar der Höchstgeschwindigkeit vieler Länder in Europa, es blendet aber aus, dass Ottomotoren bei höherem Tempo mit zusätzlichem Kraftstoff im Zylinder gekühlt werden müssen, um Motorschäden zu verhindern. Das treibt den Verbrauch bei schnelleren Autobahnpassagen steil nach oben. Der neue WLTP-Zyklus erhöht das Durchschnittstempo um 38 Prozent und die Spitzengeschwindigkeit auf 131 km/h.
Bisher steht das Messfahrzeug rund 20 Prozent des Normzyklus still – dadurch haben Spritspartechniken wie das Start-Stopp-System auf dem Prüfstand einen überproportionalen Effekt. Umso mehr, weil der städtische Fahrmodus mit viel Stop-and-go-Verkehr gegenüber anderen Fahrsituationen übergewichtet ist. In Zukunft geht der Verbrauch bei Fahrten auf Land- und Schnellstraßen sowie Autobahn gleichberechtigt in die Messung ein.
Heute begünstigt das Messverfahren Hybridfahrzeuge doppelt. Zum einen, weil sie einen kürzeren Messzyklus durchlaufen müssen – eine gut elf Kilometer lange Kombination aus Stadt- und Überlandfahrt, die sie je einmal mit Elektro- und dann mit Verbrennerantrieb durchfahren. Zum anderen, weil die elektrische Runde, in der kein Sprit verbraucht wird, mit einem Verbrauch von null Liter in die Formel eingeht. Und das, obwohl für die Produktion jeder Kilowattstunde Strom, die in der Batterie gespeichert ist, Energie aufgewandt und CO2 produziert wird. Aufgrund solcher Messmethoden schafft etwa BMWs Sportwagen i8 einen Normverbrauch von nur 2,7 Liter auf 100 Kilometer – bei 354 PS Leistung. Noch ringen Hersteller und Experten darum, wie ein realistischerer WLTP-Fahrzyklus für Hybride aussehen könnte.
Derzeit ist der Einsatz spezieller, sehr teurer Öle erlaubt, welche die Reibung und damit den Verbrauch senken. Die Hersteller nutzen sie wegen der hohen Kosten meist nicht in den Serienwagen. Auch ein besonders hoher, aber im Alltag unrealistischer Reifendruck sowie schmale Leichtlaufreifen, die den Verbrauch senken, sind zugelassen. Der WLTP-Zyklus schreibt künftig vor, den Messzyklus mit den zweitbreitesten für den Autotyp zugelassenen Reifen zu durchfahren.
Im bisherigen Testzyklus sind Temperaturen von bis zu 30 Grad auf dem Rollenprüfstand möglich. Die haben zwar wenig mit der europäischen Durchschnittstemperatur von unter zehn Grad zu tun, lassen aber die Motoren viel schneller warm werden und so weniger verbrauchen. Das für niedrige Normverbräuche günstige Hochsommerklima wird im neuen Zyklus zumindest auf maximal 23 Grad begrenzt.
Bisher können die Hersteller die im Test ermittelten CO2-Werte pauschal um vier Prozent Messtoleranz kürzen, bevor sie diese der Zulassungsbehörde melden. Auch das wird sich im neuen Zyklus ändern.
Warum BMW nur den M4 nachrüstet und nicht den M3, dazu hat sich das Unternehmen nicht erklärt. Der Verdacht liegt nahe, dass es mit den Verkaufszahlen zu tun hat. Die Nachfrage nach Cabrio und Coupé ist in Europa schichtweg größer als bei der Limousine.
Dazu kommt: BMW steht mit dem Problem grundsätzlich nicht alleine da, auch andere Autobauer müssen ihre starken Benzinmotoren mit Partikelfiltern nachrüsten. Bis vor Kurzem waren hohe Partikelemissionen ein reines Diesel-Problem. Seitdem auch bei Benzinern verstärkt hoch aufgeladene Direkteinspritzer eingesetzt werden, steigen auch hier die Partikelemissionen – bei leistungsstarken Motoren auch über den Grenzwert.