
Als der Dieselskandal im September 2015 das Licht der Welt erblickte, mimte Verkehrsminister Alexander Dobrindt den großen Aufklärer. Er ließ die Abgase dutzender Autos nachmessen und veröffentlichte einen Bericht zu Stickoxiden. Heraus kam, dass viele Hersteller sich nicht an die Regeln halten. So sagte Dobrindt höchst selbst vor dem Abgas-Ausschuss: Seine eigene Untersuchungskommission habe Zweifel daran formuliert, dass „das, was wir hier vorfinden (…) mit den europäischen Regeln im Einklang ist“.
Um die Autoindustrie zu schützen, ließ der Minister die Autobauer mit freiwilligen Rückrufaktionen davonkommen. Er entschied sich für tausende Arbeitsplätze – und gegen die Umwelt und die Gesundheit der Bürger.
Doch der im Juli 2016 vom Bundestag eingesetzte Untersuchungsausschuss bringt jetzt Licht in dieses dunkle Kapitel. Der Ausschuss sollte klären, was die Regierung davon wusste, dass Autos auf der Straße viel mehr Schadstoffe ausstoßen, als bei der Typenzulassung ermittelte Werte versprechen. Über Monate befragte das Gremium Dutzende Zeugen – von Kanzlerin Angela Merkel über Ex-VW-Chef Martin Winterkorn, leitende Mitarbeiter des Kraftfahrt-Bundesamtes bis hin zum TÜV. 658 Seiten des Berichts, der in den kommenden Tagen veröffentlicht wird, lagen der WirtschaftsWoche vorab als Entwurf vor.
Der Bericht zeigt, welch gedeihliches Biotop die Regierung für die Autobauer unterhält. Ein Biotop, in dem der Dieselskandal mit den viel zu hohen Stickoxidwerten auf fruchtbaren Boden fiel und in dem Dieselgate nur die Spitze des Eisbergs sein dürfte. Was wir aus dem Skandal rund um Volkswagen lernen.
- Die Regulierung ist zu industriefreundlich gestaltet. Kein Wunder: Die Autobauer mischen bei Gesetzesvorhaben kräftig mit. Ein Zeuge im Ausschuss erinnerte sich etwa daran, dass bei Plänen für eine neue Regulierung „ein oder zwei Fachbeamte der EU“ oder der Mitgliedsstaaten anwesend gewesen seien – „und ungefähr zwanzig Vertreter der Industrie“. Folge: Die Gesetze sind zu lasch und nicht konkret genug formuliert. So schalten fast alle Autobauer die Abgasreinigung frühzeitig aus und berufen sich darauf, dass das den Motor schützen würde. Diese Hintertür lässt das Gesetz. Das eröffne den Herstellern einen „vergleichsweise weiten Interpretationsspielraum“, so ein Sachverständiger vor dem Ausschuss. Aufgabe von Dobrindt wäre es, das System zu reformieren – Anstalten dazu macht er bislang nicht.
- Viele Arbeitsplätze, starke Lobby: Als es um neue, realitätsnähere Tests für die Zulassung von Autos ging, spannte BMW die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner vor seinen Karren: Sie schrieb an Parteifreund Dobrindt, dass – sollte es so kommen, wie geplant – „fast alle Dieselfahrzeuge wirtschaftlich unattraktiv“ würden. Die Vorschläge im Brief entsprachen jenen, die BMW zuvor dem Kanzleramt dargelegt hatte. Später legte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer mit ähnlichen Worten nach. BMW wollte sich nicht dazu äußern, wie üblich es ist, dass Politiker den Wortlaut von BMW übernehmen. Die Staatsregierung sagt aber, dass es ihre Aufgabe sei, sich in Gesetzgebungsverfahren für den Erhalt von Arbeitsplätzen in Bayern einzusetzen. Sie war erfolgreich: Rein zufällig entsprachen die Forderungen von BMW dem Verhandlungsergebnis.
Zentrale Punkte der Reform der Zulassung von Automodellen
Der neue Kompromissvorschlag des EU-Ratsvorsitzes sieht die Einführung einer Mindestzahl von kontrollierten Fahrzeugen pro Jahr in jedem EU-Land vor. Mindestens eins von je 50.000 neu registrierten Fahrzeugen soll jedes Jahr kontrolliert werden. Kleinere Länder sollen die Möglichkeit bekommen, ihre Aufgaben zur Marktüberwachung an andere EU-Überwachungsbehörden zu übertragen.
Die Kommission soll die Möglichkeit erhalten, die Durchführung von Tests und Inspektionen von Fahrzeugen überprüfen zu können. So könnte sie im Zweifelsfall sofort auf Unregelmäßigkeiten reagieren. Dadurch soll die Unabhängigkeit und Qualität des EU-Typgenehmigungssystems verbessert werden.
Im Zuge der Reform soll ein Forum eingerichtet werden, dass den Informationsaustausch über die Kontrollen und mögliche Vollstreckung von Strafen ermöglicht. Ziel ist es, verschiedene Interpretationen und Praktiken der EU-Mitgliedsstaaten zu harmonisieren. Die nationalen Behörden sind dazu angehalten jährliche Berichte über ihre Marktüberwachung im Forum zur Verfügung zu stellen.
Damit die Hersteller nicht direkt ihre eigenen Prüfer für die Typgenehmigungsmaßnahmen bezahlen, soll in Zukunft in jedem EU-Mitgliedsstaat eine nationale Gebührenstruktur für Typgenehmigungen und Marktüberwachung geschaffen werden. Diese Gebühren sollen von den angewandten Herstellern gezahlt werden und in einen großen Topf fließen, aus dem dann die nationalen Typgenehmigungsverfahren der Prüfer bezahlt werden.
Ist ein Automodell genehmigt, soll diese Typgenehmigung ohne Einschränkungen ihre Gültigkeit behalten - diese Regelung soll nun wie schon bislang bestehen bleiben. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, die Gültigkeit auf fünf Jahre zu begrenzen. Dieser Ansatz findet sich in dem zu verabschiedenden Vorschlag nun nicht mehr wieder.
Nach dem neuen Genehmigungsverfahren, soll jede Typgenehmigungsbehörde zuvor geprüft und aufgrund ihrer technischen Dienstleistungen bewertet werden. Nur in Fällen, in denen die Einrichtung alle technischen Dienstleistungen auf der Grundlage von international anerkannter Standards durchführt, bekommt sie die Genehmigung als Prüfungsbehörde. Die nationalen Akkreditierungsstellen sollen hier bei der Beurteilung der technischen Dienste unterstützend tätig werden.
Im Anschluss an den Vorschlag der Kommission sieht der aktuelle Vorschlag Geldbußen vor, die die EU-Kommission unter bestimmten Umständen verhängen kann. Entsprechen die Automodelle nicht den Richtlinien - sowohl die Fahrzeuge selbst als auch ihre Systeme, Komponenten und technischen Einheiten - müssen die Hersteller oder Importeure mit Strafen durch die EU-Kommission in Höhe von bis zu 30.000 Euro rechnen.
- Die Autobauer beaufsichtigen sich selber. Die offizielle Aufsicht, das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), das dem Verkehrsministerium unterstellt ist, lässt die Autobauer gewähren. Im Abschlussbericht heißt es, dass die Kontrolle „anhand der Informationen des Herstellers über seine eigenen Kontrollen durchzuführen“ sei. Hält die Aufsicht die Informationen für unzureichend, fordert sie zusätzliche Daten vom Hersteller an. Erst, wenn dann immer noch nicht alles in Ordnung scheint, veranlasst das KBA eine eigene Prüfung. Doch selbst dann ist das KBA nicht unabhängig. Die zu prüfenden Fahrzeuge seien „in Zusammenarbeit mit dem Hersteller“ auszuwählen, heißt es im Bericht. Fazit: Deutschland handelt wie eine Bananenrepublik. Die Aufsicht muss dringend reformiert werden – jede Bank würde sich kaputtlachen, wenn sie ihre eigenen Produkte überwachen dürfte.