Inflationsfolgen „Ein toxisches Gemisch für Autozulieferer“

Schwierige Zeiten für Zulieferer wie Webasto: „Da kommt auf uns alle eine herausfordernde Situation zu“, sagt der Vorstandsvorsitzende Holger Engelmann.

Transformation, Ukrainekrieg, explodierende Kosten. Viele Autozulieferer fühlen sich erdrückt: Doch die Autobauer wollen nur wenige Kosten übernehmen – und die eigenen Lieferanten fordern mehr Geld. Experten rechnen schon mit mehr Insolvenzen. 

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Der Manager des großen Autozulieferers klingt zerknirscht: Sein Unternehmen sei, erzählt er, in einer „Sandwich-Position“. Die eigenen Lieferanten würden ohne einen finanziellen Ausgleich nicht mehr liefern wollen oder können. Zu sehr drückten die gestiegenen Preise für Energie, Rohstoffe, Frachten und Logistik auf die Kosten. Also müsse der Autozulieferer sie finanziell unterstützen – sonst könne er die zugelieferten Teile nicht weiterverarbeiten und wäre selbst nicht mehr lieferfähig. 

Doch auf der anderen Seite des Sandwiches, da sitzen die eigenen Kunden: die Autobauer. Wenn man die wegen der gestiegenen Kosten um Entgegenkommen bitte, liefen die Verhandlungen eher zäh. Zu zäh. 

Neue Lieferanten aufbauen könne man auch nicht: Die hätten nicht nur die gleichen Probleme und forderten genauso hohe Preise. Die neuen Teile müssten auch noch zuerst bei den Autobauern validiert und freigegeben werden – doch die haben dazu angeblich keine Kapazität oder wollen schlicht keine neuen Unterzulieferer akzeptieren. 

Folge: Die großen Zulieferer mit direktem Kontakt zu den Autobauern fühlen sich erdrückt. Allein der Autozulieferer Continental rechnet für 2022 mit erhöhten Beschaffungs- und Logistikkosten in Höhe von rund 3,5 Milliarden Euro. Mindestens.

„Wir sind alle voneinander abhängig“

„Da kommt auf uns alle eine herausfordernde Situation zu“, sagt dazu Holger Engelmann, Vorstandsvorsitzender des Zulieferers Webasto im Podcast „Chefgespräch“ mit WiWo-Chefredakteur Beat Balzli. Das über Jahre gültige Geschäftsmodell, bei dem man die Kosten immer weiter gedrückt hab, habe sich „durch diese extreme Inflation total verändert“. Die Lasten will er deswegen nun mit den Autobauern teilen, Webasto führe Gespräche mit den Kunden. „Es kann nicht sein, dass das ganze Kostenerhöhungsthema ausschließlich bei den Zulieferern hängenbleibt“, sagt Engelmann. Man müsse auf partnerschaftliche Weise Lösungen mit den Kunden finden. „Am Ende des Tages sind wir alle voneinander abhängig“, sagte Engelmann.

Holger Engelmann erzählt, was beim Riesenauftrag für den Ford Bronco schieflief, im Geschäft mit der E-Mobilität sein Vorteil ist und die Inflation für die harten Preisverhandlungen mit den Autoherstellern bedeutet.
von Beat Balzli

Zumal gerade die Autobauer glänzend verdienen: 2021 strichen BMW, Mercedes und Volkswagen jeweils zweistellige Milliardengewinne ein. Weil Autobauer zunehmend Autos mit höheren Margen produziert haben und sie den Endkunden kaum noch Rabatte geben, konnten sie den eigenen Produktionsrückgang finanziell mehr als ausgleichen.

Doch noch geben die Autobauer ihren Lieferanten keinen oder einen zu kleinen Teil vom Kuchen ab. Die Zulieferer kämpfen nicht nur mit gestiegenen Kosten. Seit Beginn der Coronakrise Anfang 2020 sind sie zudem mit sinkenden Stückzahlen konfrontiert. Weil Bauteile wie Halbleiter fehlen, produzieren die Autobauer weniger Autos als bei Abschluss der Verträge mit den Zulieferern kalkuliert. Allein: Die Kosten hatten die Lieferanten auf eine höhere Zahl an Bauteilen umgelegt. Nun aber verkaufen sie weniger Teile an die Autobauer, als ursprünglich gedacht. 

Halbleiterhersteller erhöhen bald einmal mehr die Preise 

Und zunehmend laufen die Zulieferer mit ihren Kosten nun ins Minus. Mahle etwa machte im Jahr 2021 einen Verlust von 108 Millionen Euro. Allein von Juli bis Dezember 2021, referierte CEO Michael Frick auf der Bilanzpressekonferenz Ende April, hätten die Mehrkosten aus Rohstoffen und Frachten bei stolzen 300 Millionen Euro gelegen. Und Leoni verkauft nun sogar sein Geschäft mit Automobil-Standard- und Spezialkabeln, die Business Group Automotive Cable Solutions. Das sei ein „nächster wichtiger Schritt auf dem Weg der nachhaltigen finanziellen Stabilisierung“, hieß es in einer Mitteilung. 

Besserung ist nicht in Sicht: Drei der Top Player aus der Halbleiterbranche, die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC), Samsung und UMC, planen laut Franklin Templeton ab dem kommenden Jahr Preiserhöhungen von bis zu 20 Prozent. Diese Erhöhungen kämen zu den bereits hohen Preissteigerungen in 2021 dazu.

Wegen der schwierigen Gesamtsituation rechnen Experten in den nächsten Monaten mit einer zunehmenden Zahl an Insolvenzen – vor allem unter Autozulieferern. Atradius etwa. Der globale Anbieter sichert Lieferanten ab, falls ein Abnehmer nicht zahlt. Allein in Deutschland hat Atradius ein Kreditvolumen in der Autobranche von 20 bis 30 Milliarden Euro. Der Warenkreditversicherer fungiert daher als Frühwarnsystem und Fieberthermometer der Branche – und schlägt Alarm. 

von Martin Seiwert, Annina Reimann, Matthias Hohensee

Atradius-Deutschlandchef Frank Liebold meint, dass die Insolvenzzahlen in der Branche noch in diesem Jahr um 20 Prozent steigen könnten. Die Schätzung sei „eher konservativ“. Denn aktuell sehe er „ein toxisches Gemisch“ am Markt: Hohe Kosten für die Transformation hin zur E-Mobilität, hohe Preise für Energie, Rohstoffe und Co.. Der Druck auf die Zulieferer wird durch den Krieg in der Ukraine und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zusätzlich erhöht: Kabelbäume, die in der Ukraine produziert werden, fehlen. Immer wieder stehen auch deswegen die Bänder bei den Autobauern still – und dann kann kein Zulieferer seine Ware ins Autowerk bringen, egal, was er verkauft.

Außerdem steht die Versorgung mit Rohstoffen, die für die Halbleiterproduktion wichtig sind, auf der Kippe. Nickel und Aluminium werden in großem Stil aus Russland importiert, große Mengen des Gases Neon stammen aus dem Osten.

Sorgenkind Autoindustrie

„Schon vor Corona hatte sich die Autoindustrie zu unserem Sorgenkind entwickelt – aber nun ist es für die Zulieferer fast unmöglich geworden, zu kalkulieren“, sagt Liebold. Steigende Preise und geringere Absatzmengen führten zu einer verringerten Liquidität der Firmen. Viele hätten sich stark verschuldet. Mit den voraussichtlich steigenden Zinsen werde es nun schwieriger, die laufende Belastung aus Zins und Tilgung zu bedienen. 

Bei den kleineren Zulieferern aus der dritten und vierten Reihe stiegen die Zahlungsausfälle bereits leicht an, sagt Liebold. Um fünf Prozent sei die Zahl der Fälle im Vergleich zum Vorjahr in diesem Bereich bereits nach oben gegangen. Am Anfang lassen die Unternehmen eher die kleineren Lieferanten hängen. Von dort kämen die ersten Meldungen, dass der Versicherer bitte zahlen solle. Schritt für Schritt jedoch kämen dann oft die größeren hinterher, sagt Liebold, der bei größeren Abnehmern schnell mal 200 bis 300 Lieferanten gegen Zahlungsausfälle versichert. 

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Und noch etwas fällt ihm auf: Über alle Ebenen der Zulieferer sieht er jetzt vermehrt Berater engagiert, die die Geschäftsstrategie der Unternehmen prüfen. Oft fordern Banken, dass ein Gutachten erstellt wird. Es geht um Liquidität. Und das Geschäftsmodell. Wer noch zu sehr am Verbrenner hängt und sich nicht ordentlich transformiert, hat es bei Krediten schwer. 

Vorrangig von Insolvenzen betroffen sein werden nach Liebolds Einschätzung daher künftig auch erstmal kleinere Zulieferer ab der zweiten oder dritten Reihe.

Noch stützen die großen Zulieferer mit direktem Kontakt zu den Autobauern die kleineren mit Ausgleichszahlungen – aber wie lange können sie das noch? 

Lesen Sie auch: Die Ausgaben für Energie, Rohstoffe und Transport explodieren – und erreichen die Autozulieferer. Die Folgen sind mitunter fatal.

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