Klagen von Dieselbesitzern „Dieser BGH-Beschluss hat Sprengkraft“

Quelle: dpa

Der Bundesgerichtshof schlägt im juristischen Ringen nach dem Dieselskandal wichtige Pflöcke ein - obwohl VW das um ein Haar verhindert hätte. Dieselautos mit Schummelsoftware haben in den Augen der Richter einen Sachmangel. Das hat Signalwirkung.

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Weil sein Urteil plötzlich nicht mehr gefragt war, überraschte der Bundesgerichtshof (BGH) am Freitag mit einem Beschluss: Darin erläutern die Richter, dass die VW-Diesel-Modelle mit der illegalen Abschalteinrichtung einen Sachmangel haben. Denn: Es bestehe die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die Straßenverkehrsbehörden. Damit seien die Autos nicht geeignet für die gewöhnliche Verwendung, so ihr Argument.

Diese Ausführungen lieferten die Karlsruher Richter zusammen mit der Verkündung, dass der Verhandlungstermin für den 27. Februar aufgehoben ist. Eigentlich stand für die BGH-Richter deswegen am Freitag noch eine Verhandlung mit VW und einem klagenden Dieselkäufer auf dem Programm.

Hintergrund: Der Mann hatte 2015 bei einem Händler in Bayreuth einen neuen VW Tiguan 2.0 TDI gekauft. Als wenige Monate später der Abgasskandal aufflog, verlangte er vom Verkäufer ein anderes Auto ohne das Problem - vergeblich. Das Recht auf Ersatzlieferung haben Neuwagenkäufer in den ersten zwei Jahren. Sie können grundsätzlich wählen, ob der Händler den Mangel beheben oder das Auto austauschen soll. Aber die Gerichte wiesen die Klage zunächst ab: Der Ersatz sei unmöglich, weil der Tiguan seit 2016 in zweiter Generation gebaut werde. Dieses Auto habe mehr PS, könne schneller fahren und sei ein paar Zentimeter länger und breiter - also nicht gleichwertig.

Nun sollte der Bundesgerichtshof über den Fall entscheiden. Doch dazu kam es nicht, weil VW dem Kläger im letzten Moment einen Vergleich anbot. Eine Taktik, die die VW-Anwälte von Freshfields schon häufiger durchexerziert haben, um verbraucherfreundliche Urteile zu verhindern. Denn auf die könnten sich in der Folge auch andere Geschädigte des Dieselskandals berufen.

Durch den Beschluss des BGH sei die Taktik aber dieses Mal nicht aufgegangen, glaubt Jan-Eike Andresen, Jurist und Geschäftsführer des Rechtsdienstleisters MyRight. Schließlich sei ein Hinweisbeschluss nahezu ebenso wertvoll wie ein Urteil.

„Dieser Beschluss hat Sprengkraft. Offenbar wurde es den Richtern am Bundesgerichtshof (BGH) einfach zu bunt“, sagt Andresen, der nach eigenen Angaben mit je sechs Sammel- und Musterklagen für 45.000 VW-Diesel-Kunden gegen den VW-Konzern kämpft.

Auch er ist erstaunt über den Schachzug des BGH. Der Bundesgerichtshof wolle damit die planmäßigen Vergleiche von VW zwecks Verhinderung der Klärung der Rechtslage stoppen, glaubt Andresens. Damit wolle das oberste Gericht auch für eine Einheitlichkeit der Rechtsprechung sorgen. Schließlich müssen sich die Untergerichte nun nach diesem Beschluss richten. „Wenn von unten immer mehr Klagen kommen, aber oben nichts geklärt wird, sind die Grenzen eben irgendwann erreicht“, sagt Andresen.

BGH stärkt den Verbraucherschutz

Wie hoch ist nun die praktische Relevanz des Beschlusses? Für die VW-Händler selbst nicht mehr so hoch, weil die meisten Klagen von den Händlern verjährt sind. Sie haben nur zwei Jahre Standardgewährleistung. Weil der letzte Tiguan mit Schummelsoftware 2015 verkauft wurde, betrifft der Beschluss nur Klagen, die bereits anhängig sind.

Jedoch: Der BGH hat damit deutlich gemacht, dass er auf der Seite der VW-Kunden steht und hat damit den Verbraucherschutz gestärkt, so Andresens Fazit.

Im konkreten Fall ging es zudem um die Frage, ob Dieselkäufer von ihrem Händler auch dann ein neues Auto verlangen können, wenn das alte Tiguan-Modell inzwischen nicht mehr produziert wird.

Auch da war der BGH verbraucherfreundlich - und stellte sich gegen die Händler: Auch der neue Tiguan ist ein Tiguan und der müsse dann eben umgetauscht werden, wenn es nicht eine besondere Härte für den Händler bedeute. Aber das seien dann wieder Einzelfragen für die Untergerichte.

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