
Der Verdacht wiegt schwer: Fünf deutsche Autobauer sollen sich seit den Neunzigerjahren abgesprochen haben. In über 60 informellen Gremien sollen mehr als 200 Mitarbeiter von VW, Audi, Porsche, Daimler und BMW technische Details, Preise und Lieferanten abgesprochen haben. So berichtet es der „Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe.
Das spektakulärste Beispiel: Die sogenannten „5er-Kreise“, wie die Runden angeblich intern in Anspielung auf die fünf Unternehmen genannt wurden, sollen sich auf zu kleine AdBlue-Tanks verständigt haben. AdBlue ist eine Harnstofflösung, mit der (Diesel-)Abgase von giftigen Stickoxiden gereinigt werden können. Größere und schwerere Tanks sind teuer und kompliziert einzubauen. Mit den strenger werdenden Abgasvorschriften reichte das AdBlue aus den kleinen Tanks irgendwann nicht mehr aus, um die Abgase ausreichend zu reinigen. Die Schlussfolgerung des „Spiegel“: „Es half nur noch Tricksen.“
Das Auto-Kartell als Quelle des Abgasskandals? Ganz langsam!
Fragen & Antworten: Jedes zweite Kartellverfahren wird durch Kronzeugen aufgedeckt
Der Verdacht gegen große deutsche Autobauer, ein Kartell gebildet zu haben, wiegt schwer. Sollte es zutreffen, dass sich - wie der „Spiegel“ am 21. Juli 2017 berichtet - Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler über Jahre untereinander unter anderem über Technik und Kosten absprachen, wäre dies ein neuer, aufsehenerregender Fall. Der Kampf der Wettbewerbshüter für mehr Markttransparenz ist im 60. Jahr des deutschen Kartellrechts aktueller denn je. Zentrales Thema des Bundeskartellamts mit seinem Chef Andreas Mundt ist der Schutz der Verbraucher. Neben der Wettbewerbsaufsicht zählen auch noch die Fusionskontrolle sowie die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen zu den Aufgaben der Behörde.
Quelle:dpa
Definiert ist es als Zusammenschluss von Unternehmen, die rechtlich und wirtschaftlich weitgehend selbstständig bleiben, aber etwa durch Preisabsprachen den Wettbewerb ausschalten. Tatsächlich ist es das erklärte Ziel des Bundeskartellamts, den Wettbewerb gegen jede Beschränkung zu schützen. Dabei kann es um rechtswidrige Absprachen über Preise zwischen einzelnen Unternehmen oder in ganzen Branchen gehen. Hintergrund ist die Überzeugung, dass Kartelle den Wettbewerb aushebeln und damit den „Motor der Marktwirtschaft“ zum Schaden von Kunden und Verbrauchern zum Stottern bringen. Dies kann etwa durch künstlich hoch gehaltene Preise oder beschränkte Mengen geschehen.
Kartellstrategien werden in der Regel im Geheimen besprochen, sie sind daher nur schwer aufzudecken und nachzuweisen. Bei seinen Ermittlungen ist das Bundeskartellamt daher weitgehend auf Hinweise von Eingeweihten angewiesen. Auf ihrer Internet-Seite fordert die Behörde offensiv: „Melden Sie sich bei uns, wenn Sie Hinweise auf illegale Absprachen haben!“ Dabei werden auch anonyme Hinweise telefonisch oder schriftlich entgegengenommen. Eine Rückverfolgung derartiger Hinweise ist dabei technisch ausdrücklich ausgeschlossen. Dazu kommen eigene Ermittlungen etwa auf der Grundlage anderer Verfahren, wenn die Verhältnisse in einem Markt verdächtig scheinen.
An einem Kartell Beteiligte haben so die Chance, im günstigsten Fall durch die sogenannte Kronzeugenregelung straffrei zu bleiben. Etwa jedes zweite Verfahren wird so ins Rollen gebracht. Derartige Anträge können jedoch nicht anonym gestellt werden. Es gilt dabei eine abgestufte Bonusregelung: Nur wer sich offenbart, bevor auch nur der leiseste Anfangsverdacht besteht, kann auf die vollen 100 Prozent hoffen. Eine spätere Kooperation wird nur noch mit abgestuften Abschlägen an einem späteren Bußgeld honoriert.
Das Bundeskartellamt verhängt Bußgelder, es vertritt aber nicht die möglichen Schadenersatz-Forderungen von Betroffenen. Kartell-Geschädigte müssen ihre Ansprüche daher in separaten Verfahren notfalls vor Gericht durchsetzen. Dabei steigen die Chancen jedoch deutlich, wenn die Wettbewerbsbehörde zuvor ein offizielles Kartellverfahren eingeleitet und vielleicht schon abgeschlossen hat.
Das Bundeskartellamt ermittelt in den unterschiedlichsten Branchen. In der jüngsten Zeit hatten unter anderem Verfahren gegen Zuckerhersteller und Bierbrauer für Schlagzeilen gesorgt. Aber auch Autozulieferer sind ins Visier der Bonner Kartellwächter geraten.
Alleine schon von „dem Auto-Kartell“ zu sprechen, geht zu weit. Es gibt den Verdacht und zahlreiche Indizien – aufgrund derer nun das Bundeskartellamt und die EU-Kommission ermitteln. Richtig ist also von einem „mutmaßlichen“ oder „möglichen“ Kartell der Autobauer zu sprechen.
Es gilt die Unschuldsvermutung
Bewiesen ist noch nichts – und das wird auch noch eine ganze Weile dauern. Die Autobauer sollen sich schließlich nicht nur bei der Größe der AdBlue-Tanks abgesprochen haben, sondern in unzähligen Bereichen – genannt wurden bislang etwa auch Getriebe und Cabriodächer. Sollten die potenziellen Absprachen wirklich dieses Ausmaß haben, muss jeder Fall gesondert betrachtet werden. In einigen Fällen mag das kriminell, in anderen kartellrechtlich bedenklich, in wiederum anderen Fällen vollkommen unproblematisch sein.
So wichtig ist die Autoindustrie für Deutschland
Erst der Skandal um manipulierte Abgaswerte, dann der Kartellverdacht gegen BMW, Daimler, Volkswagen und Co. Es drohen Strafzahlungen und Schadenersatz - und das in einer Zeit, in der die deutschen Autobauer durch neue Konkurrenten wie den Elektroauto-Hersteller Tesla oder Trends wie dem autonomen Fahren ohnehin vor großen Herausforderungen steht. Ein Überblick, wie wichtig die Autobranche für Deutschland ist.
Quelle: Reuters
Gemessen am Umsatz ist die Autobranche der mit Abstand bedeutendste Industriezweig in Deutschland: Die Unternehmen erwirtschafteten 2016 einen Umsatz von mehr als 405 Milliarden Euro. Das entspricht rund 23 Prozent des gesamten Industrieumsatzes. Mittelständisch geprägte Zulieferer sind für den Großteil der Wertschöpfung - etwa 70 Prozent - verantwortlich. Insgesamt werden mehr als 1300 Unternehmen der Branche zugerechnet.
Die Autounternehmen zählen in Deutschland direkt mehr als 800.000 Mitarbeiter. Indirekt sind es viel mehr, da für die Fahrzeugfertigung viele Teile, Komponenten und Rohstoffe zugekauft werden - etwa in der chemischen Industrie, der Textilindustrie, bei Maschinenbauern sowie in der Elektro-, Stahl- und Aluminiumindustrie. Auch Autohändler, Werkstätten und Tankstellen sowie weitere Dienstleister - etwa Versicherer - sind von der Autokonjunktur abhängig.
Fahrzeuge sind der größte deutsche Exportschlager. Mehr als drei Viertel der in Deutschland hergestellten Pkw werden exportiert: 2016 waren es gut 4,4 Millionen. Die Ausfuhren von Kraftwagen und Kraftwagenteilen summierten sich 2016 auf mehr als 228 Milliarden Euro. Das entspricht fast einem Fünftel der gesamten deutschen Exporten. Ein Großteil des Auslandsumsatzes wird in den EU-Ländern erwirtschaftet.
Weltweit investierte die deutsche Autoindustrie zuletzt fast 39 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung (FuE). Im Deutschland sind es knapp 22 Milliarden Euro, was mehr als ein Drittel der gesamten Ausgaben der heimischen Wirtschaft für Forschung und Entwicklung entspricht. Mehr als 110.000 Mitarbeiter sind in den Entwicklungsabteilungen beschäftigt. Von den weltweit 3000 Patenten zum autonomen Fahren entfallen etwa 58 Prozent auf deutsche Firmen.
Journalistisch bedenklich ist auf jeden Fall die Kampagne, die das Hamburger Magazin im Anschluss an seine Enthüllung gestartet hat. Der Online-Kommentar „Einmal Schrottpresse“ wird etwa angerissen mit den Worten: „Bislang waren Daimler, Volkswagen, Porsche, Audi und BMW der Stolz der deutschen Industrie. Dann kamen der Dieselskandal und nun der Kartellskandal. Die Branche riskiert nicht nur Milliardenstrafen – sie zerstört die Basis ihrer Geschäfte.“
Die Unschuldsvermutung? Gibt es beim „Spiegel“ offenbar nicht. Auch in einem Meinungsbeitrag gelten journalistische Standards – die Freude über die eigene Enthüllung war offenbar größer. Die Unschuldsvermutung ist ein Grundsatz fairer und unvoreingenommener Berichterstattung.
Ergeben die Ermittlungen, dass es nicht rechtens zugegangen ist, müssen die Unternehmen Strafen zahlen, womöglich im Milliarden-Bereich. Schließlich haben sie dann Kunden und Lieferanten geschädigt. Die angeblich 200 beteiligten Mitarbeiter haben ihren Firmen einen Bärendienst erwiesen. Anstatt ein paar Millionen zu sparen, dürften die Strafen drastischer ausfallen. Und sollten sie mit Freigabe aus dem obersten Management gehandelt haben, müssen auch (damalige) Vorstände in Regress genommen werden.