




Der größte US-Autohersteller General Motors könnte im Rechtsstreit um defekte Zündschlösser mit tödlichen Unfallfolgen Entschädigungen in Milliardenhöhe entkommen. Richter Robert E. Gerber entschied am Mittwoch (Ortszeit) in New York, das Unternehmen könne für die meisten Opfer nicht haftbar gemacht werden. Grund ist die Insolvenz, die der Konzern 2009 durchlaufen hatte.
GM kann laut dem Richterspruch in diversen Verfahren, die Millionen zurückgerufene Wagen betreffen, nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Die aus der Insolvenz hervorgegangene Firma könne nicht für die Fehler ihrer Vorgängergesellschaft verantwortlich gemacht werden.
General Motors: Chronologie der Zündschloss-Affäre
Die GM-Firmenveteranin Mary Barra wird Chefin. Sie ist die erste Frau, die einen Autokonzern führt.
GM ruft in Nordamerika die ersten 778.000 Wagen wegen Problemen mit den Zündschlössern zurück. Der Schlüssel kann bei voller Fahrt in die „Aus“-Position zurückspringen. GM berichtet von sechs Toten bei Unfällen.
GM weitet den Rückruf auf weltweit 1,6 Millionen ältere Wagen aus. Das Unternehmen räumt erste Versäumnisse ein. Nun ist die Rede von 13 Unfalltoten. Verbraucherschützer kommen auf weit höhere Zahlen.
Aus internen Vermerken geht hervor, dass GM-Ingenieure schon 2001 während der Fahrzeugentwicklung über Probleme mit den Zündschlössern berichteten. Es gehen die ersten Klagen von Unfallopfern und Autobesitzern ein.
GM ruft nun auch 1 Million Fahrzeuge neuerer Baujahre wegen der defekten Zündschlösser zurück. Damit steigt die Gesamtzahl alleine für diesen Defekt auf 2,6 Millionen.
Bei zwei Anhörungen im US-Kongress wird Barra scharf angegangen. Antworten auf die Kernfrage, warum GM so lange mit dem Rückruf der defekten Zündschlösser zögerte, hat sie jedoch nicht.
Es kommt zu ersten personellen Konsequenzen. Zwei Ingenieure werden beurlaubt. Es folgt eine Neuaufstellung der Entwicklungsabteilung. Mehrere Manager gehen.
GM erleidet einen Gewinneinbruch, nachdem sich die veranschlagten Kosten für die Reparaturen im ersten Quartal auf 1,3 Milliarden Dollar summiert hatten.
General Motors muss 35 Millionen Dollar an Strafe zahlen. Die Verkehrssicherheitsbehörde sieht es als erwiesen an, dass der Autobauer sie zu spät über die Zündschloss-Probleme informiert hat.
GM legt einen Untersuchungsbericht vor, der zahlreiche Schlampereien auflistet. 15 Mitarbeiter werden gefeuert. Barra verneint aber eine bewusste Vertuschung der Fehler. Opfer sollen entschädigt werden.
GM warnt vor Zündschloss-Problemen bei einer halben Million weiterer Wagen.
GM ruft 3,4 Millionen Limousinen wegen problematischer Zündschlösser in die Werkstätten. Nun sind 20 Millionen Wagen insgesamt von 44 Rückrufen betroffen. Die veranschlagten Kosten klettern auf 2 Milliarden Dollar (1,5 Mrd. Euro).
Wegen einer Fehlfunktion konnten die Zündschlüssel bei Fahrzeugen von GM in voller Fahrt in die Aus-Position springen. Mindestens 84 Unfalltote werden mit diesen Defekten in Zusammenhang gebracht - eine Zahl, die wöchentlich ansteigen könnte, weil viele Unfälle noch geprüft werden. Laut Klägeranwalt Bob Hilliard wird die Entscheidung von Richter Gerber GM Rechtskosten von sieben bis zehn Milliarden Dollar (6,5 bis 9,3 Milliarden Euro) sparen.
Weiterer Rechtsstreit in Russland droht
„Hunderte Opfer und deren Familien werden heute Abend für immer der Gerechtigkeit beraubt ins Bett gehen“, erklärte Hilliard in einem Statement. GM bade indes in Milliarden und könne den Toten und Verletzten nun möglicherweise den Rücken zuwenden. Die Kläger werfen GM vor, die Zündschloss-Probleme über Jahre verschwiegen zu haben.
An anderer Stelle bahnt sich indes ein weiterer Rechtsstreit für GM an. Die russische Autohändlervereinigung ROAD bereitet offenbar eine Klage gegen den Autokonzern vor. Der Verband fordert insgesamt 1,1 Milliarden Dollar. Die russischen Händler der GM-Marken Opel und Chevrolet hätten nach Vorgaben der Marken in den Ausbau ihrer Betriebe investiert – kurze Zeit später kündigte die Opel Group jedoch das Aus für die beiden Marken zum Jahresende 2015 in Russland an. Dieses Geld wollen die Händler nun zurück, inklusive entgangener Einnahmen.
Fünf Gründe für die häufigen Rückrufe
Die technische Komplexität der Fahrzeuge ist in den letzten 10 bis 15 Jahren enorm gestiegen, wodurch die Fahrzeuge zwar grundsätzlich sicherer geworden sind. Allerdings führte die technische Komplexität auch zu einem Anstieg der Fehlerhäufigkeit und Fehleranfälligkeit. Hierzu tragen unter anderem passive und aktive Sicherheitssysteme (wie ABS, ESP, Airbags; Fahrassistenzsysteme) bei, die gleichzeitig die Fahrzeugsicherheit deutlich erhöht haben. Darüber hinaus sind motortechnische Optimierungen (Start/Stopp-Systeme, Aufladung etc.) sowie zahlreiche Komfortmerkmale wie etwa Navigations-, Telefon und Internetdienste im Fahrzeuge zu nennen. Es ist zu erwarten, dass im Zuge der Entwicklung weiterer Komfort- und Sicherheitsfeatures auch künftig der Komplexitätsgrad der Fahrzeuge zunimmt.
Quelle: "Die Rückruf-Trends der globalen Automobilhersteller im Jahr 2014 (AutomotivePeformance 2015)" des Center of Automotive Management
Die Produktentwicklungszyklen wurden in den vergangenen zehn Jahren deutlich verkürzt. Aufgrund der hohen Wettbewerbsintensität der Branche bringen die globalen Hersteller in immer kürzerer Zeit neue Modelle bzw. Derivate in Umlauf und verbreitern damit ihr Produktportfolio kontinuierlich. Wer es schafft, mit neuen Modellen beziehungsweise Modellvarianten schnell am Markt zu sein, hat im globalen Wettbewerb Vorteile. Der hohe Zeitdruck in der Produktentwicklung wirkt sich negativ auf
die Qualitätssicherung aus.
Um Kosten-, Zeit- und Innovationsvorteile zu realisieren, wurden erhebliche Teile der Wertschöpfung auf die Automobilzulieferer übertragen. Ihr Wertschöpfungsanteil ist mittlerweile auf rund 75 Prozent gestiegen. Gleichzeitig steigen mit dieser Verlagerung die Anforderungen an unternehmensübergreifendes Qualitätsmanagement, das darüber hinaus auf globaler Ebene sichergestellt werden muss. Es muss einerseits nicht nur die eigene Produktqualität, sondern auch durch geeignete Prozesse die Teilequalität der globalen Lieferanten gesichert werden. Andererseits steigt die Komplexität eines Qualitätsmanagement auch dadurch, dass die Automobilhersteller nicht nur die zugelieferten Teile, sondern meist auch die Qualität der international verteilten Produktionsanlagen ihrer Zulieferer einschätzen und durch Prozesse absichern müssen.
Die Automobilhersteller stehen aufgrund der hohen Wettbewerbsintensität auch unter enormen Kostendruck. Gleichzeitig geben die Hersteller den Kostendruck an die Automobilzulieferer weiter, die dazu angehalten sind, ihre eigene Kosten beziehungsweise die ihrer Teile- und Rohstofflieferanten zu drücken. Hier besteht die Gefahr, dass der Kostendruck auf zu Ungunsten der Produktqualität geht.
Um Kosten zu sparen und die Entwicklungsgeschwindigkeit zu erhöhen, müssen die Hersteller zunehmend auf Gleichteile- oder Baukastenstrategien setzen. Hierbei nutzen die OEM die gleichen Komponenten und Module in möglichst vielen Modellen, um von den hiermit verbundenen Mengeneffekten zu profitieren. So plant BMW etwa die Zahl der hergestellten Fahrzeuge je Plattform bis zum Jahr 2019 etwa zu verdoppeln, Volkswagen (durch die Einführung des MQB) diese sogar fast zu verdreifachen. Diese Strategie entwickelt sich zu einem wichtigen Erfolgs- und Überlebensfaktor der Hersteller, da sich aus ihr erhebliche Kostenvorteile ergeben können. Gleichzeitig steigt jedoch das Risiko, dass bei Qualitätsproblemen einzelner Teile oder Komponenten eine große Menge von Fahrzeugen über Baureihen hinweg zurückgerufen werden müssen.
Die Opel Group koordiniert nicht nur die eigene Marke, sondern auch das Russland-Geschäft von GM. Im Zuge der Wirtschaftskrise in Russland hatte die Opel Group entschieden, die Volumenmodelle der Marken Chevrolet und Opel vom Markt zu nehmen. Ab 2016 sollen nur noch einige Nischenmodelle wie zum Beispiel die Coupés Camaro und Corvette oder die Luxusmarke Cadillac in Russland verkauft werden.
In Frankreich hatte in einem ähnlichen Fall ein Gericht 17 Chevrolet-Händlern eine Entschädigung von acht Millionen Euro zugesprochen. In Russland vertritt ROAD nach eigenen Angaben 310 Handelsbetriebe.