Gesprengte Geldautomaten Deutschland, das Panzerknacker-Paradies

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„Die Überfälle sind ein echtes Übel“

Sicherheitsdienstleister, die Bargeldtransporte übernehmen, beobachten seit Längerem, dass Banken ihre Serviceautomaten regelrecht vollstopfen: „Viele Banken tricksen und packen mehr Geld in die Automaten, weil die Versicherung dafür viel günstiger ist, als die Strafzinsen der Zentralbank oder die Kosten für professionelle Lagerung“, erzählt ein Manager eines Sicherheitsunternehmens hinter vorgehaltener Hand. Tatsächlich retten Banken überschüssiges Geld vor den Strafzinsen der EZB: Seit der Einführung des Negativzinses hat sich ihr Kassenbestand mehr als verdreifacht. Nach Recherchen der WirtschaftsWoche bunkern die Kreditinstitute einen Teil der Scheine in speziellen Tresoranlagen.

„Im Grunde sind Bankautomaten ja auch kleine Tresore. Banken haben Liquiditätsüberhänge und mit den Automaten versicherte Depots. Die zu füllen, ist grundsätzlich nicht verwerflich“, erklärt ein Sicherheitsdienstleister: „Aber wenn da keine umfassenden Sicherheitskonzepte dahinterstehen, weckt das natürlich Fantasien und birgt hohe Angriffsrisiken.“ Dass die höheren Geldsummen in den Automaten die Diebe anlocken, glaubt er aber nicht: „Dafür müsste man den Transporteur beobachten. Ich denke, die suchen sich eher schwache Automaten aus.“

Auch wenn die gestiegene Füllmenge nicht der Hauptgrund für die Sprengungen ist: Die Automaten scheinen ein lohnendes Angriffsziel zu sein. Wie viel Geld sich in einem Automaten befindet, verraten die Sicherheitsdienstleister nicht: „In den Automaten sind verschiedene Kassetten, die mit Scheinen gefüllt werden. Ob das 5er oder 100er sind, entscheidet die Bank“, sagt der Geschäftsführer eines Werttransportunternehmens: „Aber genau kann ich das nicht sagen. Ich möchte niemanden ermutigen, diese Überfälle sind ein echtes Übel.“



Verlockend scheinen jedoch offensichtliche Sicherheitslücken bei den Automaten zu sein. Laut dem LKA NRW werden vor allem Geldautomaten angegriffen, die draußen stehen. Während Automaten früher hauptsächlich durch Einleiten eines Gas-Luftgemisches gesprengt wurden, geht der aktuelle Trend zur Benutzung von Sprengstoff: „Bei diesen Angriffen entstehen nicht nur häufig hohe Schäden an Gebäuden, die Gefährdung von Unbeteiligten ist deutlich höher“, sagt Kriminalhauptkommissar Scheulen: „Es gab auch bereits einige zum Glück nur leichtverletzte Personen.“

Das LKA hat deshalb eine Handlungsempfehlung für die Betreiber von Geldautomaten geschrieben: „Wir wollen, dass die Banken überlegen, ob man wirklich jederzeit überall die Möglichkeit haben muss, Geld abzuheben, oder ob man die freistehenden Automaten nicht vom Netz nehmen könnte.“

Zudem fordert das LKA die Banken auf, ihre Automaten besser zu sichern, etwa mit einer Einbruchmelde- und einer Schutznebelanlage: „Die Erfolgsquote zeigt, dass Prävention hilft. Das sehen wir zum Beispiel daran, dass sich die Angriffe von den Niederlanden nach Deutschland verlagert haben, seitdem die Automaten dort besser geschützt werden“, sagt Scheulen.

Die betroffenen Banken zeigen sich einsichtig. Schon vor der Angriffsserie habe der rheinische Sparkassen- und Giroverband mit den Sicherheitsbehörden Erfolge bei der Prävention von Angriffen auf Geldautomaten erzielt, sagt ein Sprecher. Insbesondere hätten sich die Banken gegen Gas-Angriffe gerüstet, „allerdings mit dem Resultat, dass die Täter nun verstärkt auf Sprengstoff zurückgreifen. Die Vorgehensweise der Täter wird brachialer und das macht uns Sorgen“, sagt der Sprecher. Einige Mitglieder hätten deshalb die Automaten in den Außenbereichen bereits geschlossen und bei den meisten seien zudem die SB-Bereiche mit Geldautomaten während der Nachtstunden nicht mehr zugänglich. Auch die Automaten der Volksbank Rhein-Ruhr seien gemäß der LKA-Empfehlung in der tatkritischen Zeit zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr nicht mehr zugänglich, sagt eine Sprecherin. Zudem denke die Bank über weitere technische Nachrüstungen nach.
Der Wille, die Geldautomaten und somit Anwohner, Gebäude und die Einlagen zu schützen, ist da.

Doch den Kriminellen das Handwerk zu legen, gestaltet sich schwierig: „Die NRW-Polizei hat in den vergangenen fünf Jahren 81 Personen festgenommen“, sagt Scheulen: „Es ist mühsam und wegen der großen Gruppierung auch schwierig, die Täter zu fassen, weil ständig neue nachrücken.“ Außerdem scheinen die Täter bei jeder neuen Schutzmaßnahme der Banken ebenfalls nachzurüsten. So lange es noch schwächer gesicherte Automaten gibt und genügend Beute winkt, dürften deshalb in nächster Zeit wohl noch mehr Anwohner des Nachts von einem lauten Knall aufgeschreckt werden – und feststellen müssen, dass gerade ein Geldautomat gesprengt wurde.

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