Neuer Aufsichtsrat der Deutschen Bank Die erstaunliche Wandlung des Sigmar Gabriel

Wird neuer Aufsichtsrat der Deutschen Bank: Sigmar Gabriel. Quelle: imago images

Der frühere SPD-Chef wird überraschend Aufsichtsrat der Deutschen Bank. Erfahrungen in der Finanzbranche hat Gabriel so gut wie keine – es sei denn als scharfer Kritiker.

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Anfang der 2010er-Jahre wurde Sigmar Gabriel tatsächlich mal als Kanzlerkandidat seiner SPD gehandelt. Damals schlug er scharfe Töne an: Banken würden Staaten erpressen, die Politik diktieren, unanständige Gehälter zahlen und riskant mit dem Geld ihrer Sparer spekulieren, ließ er die potenziellen Wähler wissen. Deshalb müssten sie so richtig hart rangenommen werden: Ihre Manager sollten mit ihrem Privatvermögen für Verfehlungen haften, der normale Bankbetrieb müsse vom riskanten Investmentbanking getrennt werden. Die Wahl – die die SPD schließlich krachend verlor – sei eine „Entscheidung über die Bändigung des Finanzsektors“, schrieb Gabriel in einem damals lancierten „Thesenpapier“.

Das klang nach vielem – aber sicher nicht nach einer Bewerbungsrede für einen verantwortungsvollen Posten in der Finanzindustrie. Doch genau den wird der Spitzenpolitiker a.D. nun übernehmen. Gabriel zieht völlig überraschend in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank ein. Dessen Aufgabe besteht darin, das Wirken des Managements kritisch zu hinterfragen. Dabei dürfte Gabriel deutlich moderatere Töne als noch vor ein paar Jahren anschlagen.

Zumal er in dem Gremium auf die Interessen wichtiger Eigentümer achten wird. Zwei Mitglieder der Herrscherfamilie von Katar kontrollieren insgesamt knapp zehn Prozent der Deutsche-Bank-Aktien. Gabriel gilt zwar offiziell als unabhängig, seine Berufung erfolgte jedoch in Abstimmung der Bank mit den Scheichs vom Golf. Berührungsängste zu dem wegen möglicher Terrorfinanzierungen umstrittenen Emirat hat der Ex-SPD-Chef keine. Als Außenminister setzte er sich für ein Ende der von Saudi-Arabien betriebenen Blockadepolitik ein und betonte die guten Beziehungen Deutschlands zu „allen Golfstaaten“.

Die Seitenwechsler zwischen Politik und Wirtschaft
Jörg Asmussen: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV)Der frühere SPD-Politiker und ehemalige Notenbanker Jörg Asmussen wird beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) Anfang Oktober Hauptgeschäftsführer. Asmussen galt lange als politisches Ausnahmetalent und war Staatssekretär im Bundesfinanzministerium in den Jahren der Finanzkrise. 2012 wechselte er als Direktoriumsmitglied zur Europäischen Zentralbank (EZB). Knapp zwei Jahre später kehrte als Staatssekretär in dem von Andrea Nahles geführten Bundesarbeitsministerium in die Politik zurück. Seit 2016 war er als bei der US-Investmentbank Lazard beschäftigt, zuletzt als Chef des europäischen M&A-Geschäfts. Quelle: imago images
Sigmar Gabriel: Deutsche BankSigmar Gabriel (SPD), ehemaliger Außenminister, Ex-SPD-Vorsitzender und Ex-Vize-Kanzler soll Aufsichtsrat der Deutschen Bank werden. Die Bank hat nach eigenen Angaben am 24. Januar 2020 einen Antrag zur Bestellung des 60-Jährigen beim Amtsgericht Frankfurt eingereicht. Gabriel war seit seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik - am 1. November 2019 legte er auch sein Bundestagsmandat nieder - schon verschiedentlich für Posten in der Wirtschaft im Gespräch. Im Frühjahr 2019 war er kurz davor, im Verwaltungsrat des neuen Eisenbahnkonzerns Siemens Alstom anzufangen, die EU-Kommission untersagte jedoch die Fusion der beiden Zugsparten. Auch für die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte war er als Berater im Gespräch. Mit dem Engagement bei der Deutschen Bank dürfte die Postensuche abgeschlossen sein. Quelle: dpa
Kerstin Andreae: BDEWDie ehemalige Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen, Kerstin Andreae, wechselte im November 2019 die Seiten. Sie legte ihr Mandat nieder und wurde Chefin des Energieverbandes BDEW, der 1800 Unternehmen aus der Energie- und Wasserversorgung vertritt. Quelle: dpa
Matthias Berninger: Bayer AGMatthias Berninger war zwar kein bekannter Politiker der ersten Reihe, doch dass der ehemalige Grünen-Politiker am 1. Januar 2019 Chef der Öffentlichkeitsarbeit des Bayer-Konzerns wurde, war doch eine Meldung wert. Schließlich muss der frühere Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft nun unter anderem für Monsantos umstrittenes Pflanzenschutzmittel Glyphosat argumentieren. Lobbyerfahrung sammelte der Hesse zuvor beim amerikanischen Nahrungsmittel- und Süßwarenkonzern Mars Incorporated. Quelle: ddp images
Matthias Machnig und Sigmar Gabriel Quelle: dpa
Hannelore Kraft / RAG Quelle: dpa
Torsten Albig/Deutsche Post DHL Quelle: imago images

Welche konkreten Kompetenzen Gabriel für das Gremium befähigen, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. In der offiziellen Mitteilung lobt Aufsichtsratschef Paul Achleitner ihn als „überzeugten Europäer und Transatlantiker.“ Sicher besitzt der Ex-Umwelt-, Wirtschafts- und Außenminister ein beeindruckendes Netzwerk zu Politik und Unternehmen und kann von dieser Seite Impulse geben. Seine einzigen Erfahrungen im Bankgeschäft sammelte er jedoch im Verwaltungsrat der staatlichen Förderbank KfW.

In der Hinsicht hatte Jürg Zeltner deutlich mehr vorzuweisen. Der frühere Topmanager der Schweizer UBS sollte den Posten im Kontrollgremium der Deutschen Bank ursprünglich übernehmen, scheiterte jedoch am Veto der Aufsichtsbehörden, die bei ihm unüberwindbare Interessenkonflikte konstatierten. Kritiker bemängeln schon länger, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats der Bank insgesamt zu wenig Erfahrungen in der Finanzbranche besitzen. Mit John Thain, einst Chef der Investmentbank Merrill Lynch, gehört nur ein Banker dem Gremium an.

Gabriel wird diesen Mangel nicht beheben. Materielle Interessenkonflikte sind bei ihm dafür nicht in Sicht – es sei denn zu seinen früheren Aussagen.

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