Wäre der Gütersloher Medienriese an der Börse notiert wie seine US-Pendants, hätte die Aktie dieser Tage vermutlich einen Sprung nach vorn gemacht. Während die Papiere von Disney und Co. in den vergangenen Wochen nur eine Richtung kannten – abwärts, und das mit Schwung – setzt Bertelsmann dazu einen Kontrapunkt. Wenn auch unter gänzlich anderen Vorzeichen: In den USA fürchten Anleger um die Zukunft der TV-Riesen, weil die Zahl der Kunden der Kabel-Konzerne schrumpft. Vergleichbare Sorgen plagen Bertelsmann und seine TV-Tochter RTL derzeit nicht.
Mit dem Luxemburger Unterhaltungskonglomerat, das mittlerweile auch sehr erfolgreich in Webvideos investiert hat, verfügen die Gütersloher vielmehr über einen stabilen Geldbeschaffer, der unter den CEOs Anke Schäferkordt und Guillaume de Posch weiter für sprudelnde Gewinne sorgt.
Sie trugen wesentlich dazu bei, dass Bertelsmann-Chef Thomas Rabe im ersten Halbjahr mit einem Umsatz von acht Milliarden Euro den höchsten Umsatz seit 2007 verkünden durfte. Rabe profitiert zudem davon, dass auch die Buchverlagstochter Random House unter Markus Dohle auf vollen Touren läuft: Hier sorgte etwa der Titel „Grey“, der Nachfolger der Softporno-Schmonzette „50 Shades of Grey“, für Umsatz. In den ersten beiden Wochen nach Erscheinen verkaufte sich das Machwerk 3,5 Millionen Mal.
Hinzu kam noch ein Überraschungserfolg: „The Girl on the Train“, das 4,5 Millionen Käufer fand. Nicht zu verachten allerdings auch der Effekt der Währungseffekte, von denen die Sparte massiv profitierte.
Bertelsmanns Geschäftsfelder
Umsatz: 5889 Mio. Euro
Ergebnis*: 1137 Mio. Euro
Umsatz: 4414 Mio. Euro
Ergebnis*: 244 Mio. Euro
Umsatz: 2655 Mio. Euro
Ergebnis*: 309 Mio. Euro
Umsatz: 2065 Mio. Euro
Ergebnis*: 146 Mio. Euro
Umsatz: 1123 Mio. Euro
Ergebnis*: 41 Mio. Euro
Umsatz: 582 Mio. Euro
Ergebnis*: -40 Mio. Euro
Quelle: Unternehmen
* operatives EBIT
Selbst die Dienstleistungssparte Arvato, die erst kürzlich ihren zuvor hochgelobten Chef Achim Berg hinaus komplimentiert hatte, legte bei Umsatz und Ergebnis zu. Unterm Strich führte das zu einem Konzernergebnis, das sich um knapp 55 Prozent auf 398 Millionen Euro erhöhte –ein Effekt aus dem höheren operativen Ergebnis, einer geringeren Belastung aus Sondereinflüssen sowie einem niedrigeren Steueraufwand als im ersten Halbjahr 2014.
"New Bertelsmann" peilt eine Milliarde Euro an
Entsprechend breitbeinig gab sich Rabe, dessen Vertrag im kommenden Jahr zur Verlängerung ansteht: „Unser Umsatz ist so hoch wie seit 2007 nicht mehr, das operative Ergebnis ist das beste der Bertelsmann-Geschichte. Dies belegt, wie gut wir dabei vorankommen, Bertelsmann noch wachstumsstärker, digitaler und internationaler aufzustellen.“ "New Bertelsmann", wie Rabe das nennt, peile mittelfristig ein Konzernergebnis von mehr als einer Milliarde Euro an. Und das offenbar mit ihm an der Spitze.
Geschichte von Bertelsmann
Das Bertelsmann-Imperium gründet auf christlichen Lieder und Gesängen: Der Drucker Carl Bertelsmann verlegte zunächst religiöse Schriften. Der 1835 gegründete und nach ihm benannte C. Bertelsmann Verlag ist die Keimzelle des Konzerns, der bis heute weitgehend in Familienhand ist: Bertelsmanns Nachfahren spielen eine entscheidende Rolle in der Führung.
Nach Ende des zweiten Weltkriegs stellen sich der Verlag und insbesondere sein Leiter als ein „Dorn im Auge nationalsozialistischer Behörden“ dar. Tatsächlich war der Geschäftsführer und Bertelsmann-Erbe Heinrich Mohn förderndes Mitglied der SS, der Verlag profitierte vom Verkauf von NS-Büchern. Ein Beispiel für die verlegte Nazi-Literatur ist das antisemitische Buch „Blut und Boden“.
Nachdem Reinhard Mohn aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, übernimmt er in fünfter Generation 1946 den Verlag vom Vater. Unter seiner Führung entwickelt sich Bertelsmann von einem mittelständischen Druck- und Verlagshaus zu einem der führenden Medienunternehmen der Welt.
Der erste Geniestreich Reinhard Mohns sollte den Verlag finanziell absichern und so die Grundlage für die Expansion bieten: Der 1950 gegründete „Bertelsmann Lesering“ trifft den Nerv der Zeit. Die Nachkriegsdeutschen sehnen sich nach Literatur und Bildung. Schon vier Jahre nach Gründung zählt der Lesering das millionste Mitglied. In Zeiten des Internets geraten die Bertelsmann-Clubs allerdings unter Druck.
Das Kerngeschäft von Bertelsmann sind Bücher. Doch 1969 steigt der Konzern beim Hamburger Druck- und Verlagshaus Gruner+Jahr ein und druckt seither auch Zeitschriften. 1973 erwirbt Bertelsmann die Mehrheit an dem traditionsreichen Verlag mit Marken wie „Stern“, „Geo“, und „Brigitte“. 1990 wird Gruner+Jahr auch im Tageszeitungsgeschäft aktiv.
Um den Einfluss seiner Familie im wachsenden Medienkonzern zu sichern, gründet Reinhard Mohn 1977 die Bertelsmann-Stiftung. Sie hält 77 Prozent an der Bertelsmann AG. Da sie stimmrechtslos ist, erhält die Stiftung Gewinne, hat aber kein Mitspracherecht. Kritiker behaupten, die Stiftung fördere nicht nur soziales Engagement, Bildung und Wissenschaft, sondern diene vor allem als Steuersparmodell. Konkrete Einflussnahme auf Führungsentscheidungen behält die Familie durch die Bertelsmann-Verwaltungsgesellschaft, deren Chefin Elisabeth „Liz“ Mohn, die Gattin des 2009 verstorbenen Reinhard Mohn, ist.
Unternehmen wie den „Schallplattenring“ und die Schallplattenfirma Ariola fasst der Konzern 1987 in der Bertelsmann Music Group (BMG) zusammen. Nach einer Fusion mit Sony verkauft Bertelsmann seine Anteile am gemeinsamen Musikunternehmen Sony BMG 2008 komplett an die Amerikaner. Die Bertelsmann Music Group existiert jedoch weiter und spezialisiert sich auf die Übernahme und das Management von Musikrechten.
Einen sehr gewinnbringenden Coup landete Bertelsmann mit dem kurzzeitigen Einstieg in das Internetgeschäft 1995: Der Konzern übernahm einen Anteil an der europäischen Tochtergesellschaft von AOL. Nach drei Jahren verkaufte er auf dem Höhepunkt der Internet-Blase seine Aktien wieder an den amerikanischen Mutterkonzern und erhielt dafür 7,5 Milliarden Euro.
Die bereits in den sechziger Jahren übernommene Berliner Filmproduktions-Gesellschaft Ufa fusionierte Bertelsmann 1997 mit der RTL-Mutter CLT. So entstand das größte Fernsehunternehmen Europas. Noch weiter wächst die Bertelsmanns Fernsehsparte durch eine Fusion mit der britischen Gesellschaft Pearson TV und die zusammen neu gegründete RTL Group. 2001 übernimmt Bertelsmann diese komplett und verfügt so über 23 Fernsehsender, 14 Radiostationen und mehrere Produktionsfirmen, die jährlich 11.000 Stunden Programm in 35 Ländern herstellen.
Das Verlagsgeschäft ist der Ursprung und Kern des Unternehmens. 1998 macht Bertelsmann einen großen Sprung und übernimmt den größten US-Verlag Random House. Dieser wächst 2013 noch einmal beträchtlich durch die Fusion mit dem amerikanischen Penguin-Verlag 2013 – Penguin Random House, wie der neue Verlag heißt, ist die weltweite Nummer 1.
In einer Telefonkonferenz zu den Halbjahreszahlen sagte Rabe heute früh, die Transformation von Bertelsmann sei auf einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren angelegt, davon seien seit seiner Amtsübernahme gerade mal 3,5 Jahre herum: „Ich mache keine halben Dinge.“ Ohnehin gibt Rabe derzeit den „doppelten Thomas“ – er ist derzeit noch in Personalunion auch Finanzchef des Konzerns; voraussichtlich noch in diesem Jahr allerdings soll feststehen, wer neuer Oberrechner unter Rabe werden darf.
So gern Rabe Auskunft gab über die Erfolge, so schmallippig gab sich der Gütersloher Konzernstratege dagegen bei der Frage nach der weiteren Zukunft von Penguin Random House. Hier hat Bertelsmann-Partner Pearson ab dem Herbst die Möglichkeit, seinen Anteil von 47 Prozent zu verkaufen. Bertelsmann hat ein Vorkaufsrecht. Ob und wann und in welcher Form die Gütersloher womöglich weitere Anteile von Pearson übernehmen werden, blieb jedoch offen: „Wir werden vorbereitet sein“, sagte Rabe lediglich.
Nötig haben dürfte Partner Pearson die Bertelsmann-Euro derzeit ohnehin eher nicht: Der Verkauf der „Financial Times“ sowie ihres Anteils am Wirtschaftsmagazin „Economist“ hatte den Briten gerade erst gut 1,5 Milliarden Euro in die Kasse gespült.
Da zudem Bertelsmann mit Pearson im Bildungssegment konkurriert, wird der kühle Rechner Rabe die Vor- und Nachteile einer möglichen Komplettübernahme beziehungsweise des Kaufs weiterer Anteile am mit Abstand größten Buchverlagskonzern der Welt penibel austarieren.