
Es ist ruhig in Maschen um 10 Uhr 25. Alexander Dobrindt steht auf dem Dach der sechsgeschossigen Zentrale von Europas größtem Güterumschlagplatz auf der Schiene, ein halbe Stunde Autofahrt von Hamburg entfernt. Sein Blick streift über die danieder liegenden Gleise mit orangenen, grünen und grauen Containern. Die meisten kommen aus dem Hamburger Hafen oder sollen dahin.
Mitarbeiter der Deutschen Bahn bilden auf der flugfeld-großen Anlage bis zu 150 Güterzüge pro Tag, zusammengesetzt aus bis zu 3700 Einzelwagen. „Auf wie viele könntet Ihr noch rauf“, fragt Dobrindt einen Bahn-Mitarbeiter. „Auf locker 5000“, so die Antwort. Doch zurzeit sei das Schienennetz überlastet. „Die Züge fahren erst Spätnachmittag los“, sagt der Bahn-Mitarbeiter.
Der Bundesverkehrsminister machte sich am vergangenen Freitag ein Bild von der Lage und den Problemen im niedersächsischen Maschen. Bahnchef Rüdiger Grube ist an seiner Seite. Bund und Bahn investierten Millionen in den Ausbau der Drehscheibe auf der Schiene. Dobrindt hört den verantwortlichen Güterbahn-Managern geduldig zu, immer wieder nickt er. Auch Klagen über schwierige politische Rahmenbedingungen und den harten Wettbewerb mit dem Lkw muss er sich anhören. Doch Dobrindt nimmt vor allem zwei Botschaften mit zurück nach Berlin. Die eine: Die Güterbahn kann weiter wachsen. Die andere: Die Deutsche Bahn hat es selber in der Hand.





Viel mehr Unterstützung wird Bahnchef Grube vom Bund jedenfalls nicht erwarten können. Im Gegenteil: Dobrindt macht klar, wie er sich die Zukunft der Deutschen Bahn vorstellt. Noch immer befindet sich das Unternehmen, das im vergangenen Jahr rund 40 Milliarden Euro Umsatz machte, vollständig im Besitz des Bundes. „Die Deutsche Bahn hat nicht die Aufgabe der Gewinnmaximierung“, sagt er. Sie müsse „Mobilität für alle“ anbieten, „Räume erschließen“ und „vernetzen“. Natürlich gelte nach wie vor die Prämisse, „keine Verluste machen zu dürfen“.
Überraschender Vorstoß
Weniger Gewinn, mehr Gemeinwohl. Dobrindts Doktrin macht klar, dass die Deutsche Bahn für ihn kein normales Unternehmen ist. Ob sich das beiße mit dem Aktienrecht, das einen Vorstandschef quasi zur Gewinnmaximierung verpflichtet? Nein, so Dobrindt. Der Bund sei Eigentümer, er dürfe Dinge maßgeblich mitbestimmen.
Wie die Deutsche Bahn 6,3 Milliarden Euro vergeudet
Umwandlung der Bundes- und der Reichsbahn in die Deutsche Bahn AG mit den Töchtern Fernverkehr, Regionalverkehr, Güterverkehr, Bahnhöfe und Netz.
Hartmut Mehdorn wird neuer Bahn-Chef.
Übernahme von Stinnes Logistik mit der Spedition Schenker. (Kosten: 2,5 Milliarden Euro)
Übernahme des US-Logistikdienstleisters Bax Global. (Kosten: Eine Milliarde Euro)
Ausgliederung des Beförderungs- und Transportgeschäfts in die DB Mobility Logistics AG mit dem Ziel des Börsengangs (wegen der Finanzkrise abgeblasen).
Rüdiger Grube wird neuer Bahn-Chef.
Übernahme des britischen Nahverkehrsanbieters Arriva. (Kosten: 2,8 Milliarden Euro)
Endgültiger Abschied vom Börsengang.
Schenker und Arriva sollen - zunächst in Teilen - wieder verkauft werden.
Für Bahnchef Grube kommt der Vorstoß überraschend. Bislang ließ der Verkehrsminister dem obersten Bahner weitestgehend freie Hand. Doch nach dem ersten Konzernverlust seit zwölf Jahren hat sich die Lage verändert. 2015 ruinierte das desaströse Ergebnis und Sonderabschreibungen bei der Güterbahn die Bilanz. Die Bahn fuhr 2015 einen Konzernverlust in Höhe von 1,3 Milliarden Euro ein. Der Bund ist skeptisch geworden.
Nach außen hin gibt sich Grube zwar gelassen. „Gewinnmaximierung um jeden Preis wäre sicher ein Fehler“, sagt er und lässt erkennen, dass es keinen Disput mit dem Minister gebe. Doch im nächsten Satz folgt die Einschränkung: „Es wäre aber auch falsch, wenn wir mit dem Geldverdienen aufhörten. Wie sollten wir dann zum Beispiel neue Züge kaufen können oder unsere riesige Infrastruktur in Ordnung halten?“ Keiner wolle „die Behördenbahn zurückhaben“, so Grube. „Die war in jeder Hinsicht alles andere als erfolgreich.“
Möglicherweise liegen Dobrindt und Grube gar nicht so weit auseinander. Doch die Tatsache, dass der Verkehrsminister die neue Marschroute ausgerechnet jetzt ausgibt, ist ein Paukenschlag. Die jüngsten Zahlen der Deutschen Bahn verheißen keine Trendwende.