Gründerszene Gegen China gewinnt man nicht mit „Essen auf Rädern“

Investoren würden Lieferdienst-Start-ups mit Geld zuschütten, während andere vielversprechende Gründer unberechtigter Weise leer ausgingen, kritisiert Gastkommentatorin und Gründerin Sonja Jost. Quelle: imago images

Während Lieferdienste zugeschüttet werden mit Investorengeldern, müssen Deep-Tech-Start-ups um Kapital kämpfen. Um den Standort zu stärken, braucht es eine innovative Industrie, die Gründerinnen und Gründer nachhaltig fördert. Ein Gastkommentar.

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Diplom-Ingenieurin Sonja Jost studierte Wirtschaftsingenieurwesen und gründete 2013 mit DexLeChem ein Start-up, das die Chemie- und Pharmaproduktion nachhaltiger machen soll.

Ein großer Irrtum in der Gründerszene geht so: Wer von Investoren kein Geld bekommt für sein Start-up, hat eben keine gute Idee. Wie falsch diese Annahme ist, zeigt die Geschichte. So würde es eines der weltweit größten Chemieunternehmen heute ohne staatliche Subventionen vielleicht gar nicht geben: Der bayerische König Maximilian II. unterstützte 1865 mit einer Finanzspritze von 1,5 Millionen Gulden die kleine, gerade gegründete Badische Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen, heute bekannt als BASF.

Wie damals steht Deutschland nun wieder vor einer gewaltigen Disruption. Megatrends wie Nachhaltigkeit und Digitalisierung verändern die gesamte Industrie. Gleichzeitig zeigt die Pandemie, wie abhängig Deutschland und Europa von ausländischen Produktionen im Bereich Pharma und MedTech sind.

Um ähnliche Krisen künftig nicht nur besser bewältigen, sondern grundsätzlich im Wettbewerb mit Asien mithalten zu können, müssen die Kapazitäten dieser kritischen Produktionen hierzulande ausgebaut werden. Nachhaltig gelingen kann dies aber nur mit Start-ups, die innovative, skalierbare und dadurch global konkurrenzfähige Lösungen erarbeiten.

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von Stephan Knieps

Dafür brauchen Start-ups allerdings Kapital, doch daran mangelt es gerade im Deep-Tech-Bereich, wo es um tiefgreifende technologische Innovationen geht, erheblich: Lediglich 2,4 Millionen Euro wurden 2018 laut einer Studie des Verbands der Chemischen Industrie an Venture Capital in Chemie-Start-ups in Deutschland insgesamt investiert – obwohl pro Start-up rund 15 Millionen Euro zum Aufbau von eigenen Produktionsanlagen benötigt würden. Hier liegt ein klares Marktversagen vor, denn privates Venture Capital schreckt vor solchen Investments aufgrund des hohen Kapitalbedarfs und der mehrjährigen Bauzeit der Produktionsanlage zurück. Zwar gibt es staatliche Förderdarlehen, jedoch liegen sie häufig bei maximal einer Million Euro, beispielsweise bei der Investitionsbank Berlin. Damit reichen sie nicht aus für den Aufbau eines Deep-Tech-Start-ups. Zusätzlich müssen für die Darlehen regelmäßig Sicherheiten erbracht werden.

Falls man als junge Gründerin jedoch nicht aus einer wohlhabenden Familie stammt, wie sie in der Gründerszene derzeit vielerorts den Ton angeben, bleibt nur der Weg der selbstschuldnerischen Bürgschaft – was beim Scheitern des Start-ups in der Privatinsolvenz enden kann.

Erschwerend führen die hohen Kredite dazu, dass die Start-ups nach drei Jahren in sogenannte „Unternehmen in Schwierigkeiten“ transformiert werden. Denn in aller Regel erwirtschaften sie in diesem Zeitraum keine so hohen Gewinne, dass ihre Verlustvorträge kleiner sind als 50 Prozent ihres Eigenkapitals. Das aber war wiederum das Kriterium, um nun in der Coronakrise staatliche Unterstützung zu bekommen.

Viele Landesregierungen vergeben also Förderkredite mit dem Wissen, dass die Start-ups nach drei Jahren wahrscheinlich zu einem „Unternehmen in Schwierigkeiten“ werden, denen sie dann aber in der größten Krise der Bundesrepublik in der Regel keine Überbrückungshilfen gewähren. Das ist absurd – und ein Politikversagen.

Dabei sind die meisten Deep-Tech-Start-ups in der Regel Ausgründungen aus wissenschaftlichen Instituten, die ihre Geschäftsmodelle auf jahrelanger Forschung aufbauen. Es geht hier also um „echte Ideen“ – und nicht um den hundertsten Lieferdienst, der wohl auch wegen seiner geringen Komplexität schneller Investoren anzieht. Doch gegen China und die USA gewinnen wird der Industriestandort Deutschland nicht mit „Essen auf Rädern“.

Um eine Innovations- und Transformationskultur in der Industrie zu schaffen, ist nicht einmal ein großer Zehn-Jahres-Plan notwendig, wie ihn die Amerikaner noch unter Präsident Donald Trump verabschiedet haben mit ihrem „Nachhaltige Chemie“-Gesetz zur systematischen Erschließung des Innovationspotenzials.

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Bereits mit wenigen Veränderungen wäre viel zu erreichen: Eine längere Patentlaufzeit für nachhaltige Produkte und Prozesse würde etwa einen ökonomischen Anreiz in der Produktentwicklung schaffen. Gleiches gilt für ein Fast-Track-Verfahren bei der Zulassung von grüneren Produkten wie Arzneimitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln. Die Berücksichtigung von harten Nachhaltigkeitskriterien bei der Vergabe von Aufträgen durch die gesetzlichen Krankenkassen, beispielsweise bei der Herstellung von Wirkstoffen („Greening of Production“), könnte schnell zu einem Standard führen mit Leuchtturmcharakter für die EU und die Welt.

Aber Grundvoraussetzung einer jeden grünen Transformation ist die Bereitstellung von Kapital zum Wachsen. Der gerade gestartete Zukunftsfonds der Bundesregierung bindet die staatliche Beteiligung jedoch an die gleichen Bedingungen wie die Investition privatwirtschaftlicher Mitinvestoren – womit er all jene hochinnovativen Start-ups aussperrt, bei denen es aufgrund eines Marktversagens kein privates Kapital gibt.

In den Programmen der Parteien – von CDU bis zu den Grünen – sind dazu bisher wenige bis keine Ideen zu finden. Wollen sie aber den Standort Deutschland zukunftsfähig gestalten, müssen sie eine entsprechende Industriestrategie liefern – und mehr investieren als ein paar Gulden.

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