WirtschaftsWoche: Herr Lidl, die Hotel-Branche erlebte zuletzt ein Horror-Jahr nach dem anderen. Erst verdarb Corona zwei Jahre das Geschäft, dann überfiel Russland die Ukraine. Mehrfach wurde eine Erholung prophezeit. War es im vergangenen Jahr so weit?
Michael Lidl: Als im April des vergangenen Jahres die Corona-Auflagen für die Hotels wegfielen, ist der Hotel-Markt explodiert. Die Leute sind wieder gereist, Messen und Dienstreisen fanden wieder statt. Die Preise sind extrem angestiegen – lagen im Durchschnitt schon über zehn Prozent über den Rekordpreisen des Vor-Corona-Jahres 2019. Dass die Hotelgesellschaften Rekord-Umsätze feierten, ist aber nur eine Wahrheit. Die Energiepreise sind explodiert, die Tarifabschlüsse haben massive Gehaltssteigerungen für die Mitarbeiter zur Folge gehabt. Im Ergebnis heißt das: Nur wenige Hotels haben im vergangenen Jahr wieder schwarze Zahlen geschrieben.
Und wie sieht’s für dieses Jahr aus?
Im ersten Quartal stehen bei vielen Hotels die Anpassungen an ihre Index-Mieten an. Viele Vermieter werden die Mieten erhöhen. Das wird auch zu erneuten Auseinandersetzungen zwischen Eigentümer und Betreiber führen. In vielen Bundesländern werden die Gehaltstarife in diesem Jahr nochmal weiter nach oben angehoben. Und die Energiepreise sind Kaffeesatzleserei: Keiner weiß, welche Kosten dafür eingeplant werden müssen.
Welche Ausgaben für Energie planen die Hotelbetreiber ein?
Früher betrugen die Energiekosten drei bis fünf Prozent vom Umsatz. Heute sind es bis zu zehn Prozent.
Zur Person
Michael Lidl ist seit 2009 für die Unternehmensberatung Treugast tätig und seit Januar 2016 Geschäftsführender Partner der Treugast Solutions Group. Neben seiner Beratertätigkeit arbeitet er selbst als Hotelier. Als Geschäftsführender Gesellschafter im Familienunternehmen verantwortet er drei Eigentumsbetriebe: ein 4-Sterne-Superior Golf- und Medical Wellness-Hotel, ein Gastronomiebetrieb mit Event-Location und Boutique Hotel sowie ein Low Budget Stadthotel.
Was bedeutet das unter dem Strich für das Jahr 2023?
2023 kann ein ganz vernünftiges Jahr werden, wenn sich die Nachfrage weiter stabilisiert, wenn gute Preise verlangt werden und die Kosten beherrschbar bleiben. Und: 2023 kann zum nächsten Problemjahr werden. Dafür muss das Bruttoinlandsprodukt stagnieren und es draußen kälter werden als erwartet oder die Energieversorgung im Winter 2023/2024 knapp werden.
Wie hat Corona den Hotel-Markt verändert?
Corona hat bestehende Trends beschleunigt. Den Fachkräftemangel und die Digitalisierung etwa. Weil die Betriebe zu wenig Mitarbeiter haben, digitalisieren sie ihr Geschäftsmodell. Indem sie den Selbst-Check-In mit dem Handy anbieten, den Concierge im Hotel durch Online-Kommunikationsplattformen ersetzen oder Service Roboter als Kellner einsetzen.
Hat sich das Dienstreisen-Geschäft erholt?
Ja, zu 80 bis 90 Prozent. Es hat ja Experten gegeben, die gesagt haben, dass die Dienstreisen nicht mehr zurückkommen. Ich habe damals schon gesagt: Das kommt viel stärker zurück. Videokonferenzen ersetzen eher Geschäftsreisen ohne Übernachtung. Da, wo übernachtet wird, machen Geschäftsreisende mehrere Termine und treffen mehrere Personen. Das ist per Videoschalte nicht so leicht umzusetzen. Und: Durch die Entkoppelung von Arbeits- und Wohnort wird das Reisen immer wichtiger.
Die Hotellerie hat viele Mitarbeiter während der Pandemie verloren. Sind diese wieder zurückgekommen?
Es hat sich ein bisschen entspannt. Die Hotels waren zwei Jahre halb tot. Von März 2020 bis April 2022 waren die Häuser mit wenigen Ausnahmen ganz geschlossen – oder sind auf Sparflamme gelaufen. Die Hotelgesellschaften haben 30 Prozent ihres Personals verloren. Plötzlich sprang die Nachfrage wieder an, jeder hat gesucht. Es gab sogar Schließungen wegen Personalmangels, zum Beispiel das Schwarze Kreuz in Fürth. Viele Hotels haben gar nicht das Personal, um eine Auslastung von 100 Prozent hinzubekommen. Deshalb bieten sie gar nicht alle Hotelzimmer an – und setzen lieber die Preise hoch. So hat sich der Markt ein bisschen reguliert. Im Moment ist es eher ruhig – aber ab Mai werden wieder alle nach Personal suchen.
Gibt es einen Preis, unter dem ein Betreiber ein Hotelzimmer pro Nacht auf keinen Fall anbieten sollte?
Die kurzfristige Preisuntergrenze liegt je nach Konzept bei nur 15 bis 30 Euro. Aber um nachhaltig wirtschaftlich arbeiten zu können, müssen Hotelbetreiber von Low-Budget Hotels mindestens 50 Euro pro Nacht verlangen – und mindestens 100 Euro bei Vier-Sterne-Häusern.
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