Lkw-Fahrer gesucht „Wir sind kurz vor dem Versorgungskollaps“

Den Unternehmen gehen die Lastwagenfahrer aus. Quelle: imago images

Mit eigenen Fahrschulen, Fahrerbetreuern und einer Botschafterin für weibliche Brummi-Fahrerinnen gehen die deutschen Speditionen und Fuhrunternehmen auf Nachwuchsfang.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Frauen als Lkw-Fahrerinnen sind für die Programm-Strategen des Privatsenders Kabel eins offenbar ein lukratives Geschäft. Noch in diesem Jahr will der Sender eine neue Staffel seiner Doku-Serie „Trucker Babes“ auf den Bildschirm bringen. Mit Einschaltquoten von im Schnitt 1,22 Millionen, was einem Marktanteil von 3,6 Prozent entspricht, ist „Trucker Babes – 400 PS in Frauenhand“ laut Senderangaben die beste Kabel-eins-Eigenproduktion seit mehr als sechs Jahren.

Die Doku über taffe Frauen hinter dem Steuer von dicken Brummis hat mit der Realität allerdings wenig zu tun. Sie sind noch immer Exotinnen in ihrem Job. Nur 1,7 Prozent der rund 560.000 Kraftfahrer sind weiblich. Das muss sich ändern, dachte auch der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung, kurz BGL. Und so suchte der Lobbyverband eine Botschafterin für Berufskraftfahrerinnen – und fand sie in Christina Scheib.

Die 33-Jährige ist bekannt aus der DMAX-Sendung „Asphalt Cowboys“. Als „Trucker-Königin vom Tegernsee“ hat die Bild-Zeitung Scheib tituliert. „In Christina Scheib haben wir die ideale Botschafterin gefunden“, sagt BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt. Sie sei passionierte Lkw-Fahrerin und kenne aus ihrer Berufspraxis Beispiele, wo Verbesserungen nötig seien – angefangen bei sanitären Einrichtungen für Frauen bis hin zu den beschriebenen neuen Arbeitszeitmodellen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Sie fahre seit knapp acht Jahren und habe damals als Pannenhelferin im Auftrag des ADAC verunfallte und defekte Pkw abgeschleppt, sagte Scheib in einem Gespräch mit einem Fachmagazin. „Irgendwie hat mir das nicht gereicht, ich wollte die großen Lkw fahren. So machte ich auf eigene Kosten meinen Lkw-Führerschein“, erzählt Scheib. Anfangs sei es als Frau und als Führerscheinneuling schwer gewesen in diesen Job Fuß zu fassen. „Aber dann hat mir ein Fuhrunternehmen eine Chance gegeben, in dem ich nun seit Jahren beschäftigt bin.“

Das Personalproblem im Güterkraftverkehr verschärft sich von Woche zu Woche. Derzeit fehlt laut BGL rund 60.000 Fahrer. Jedes Jahr scheiden weitere 30.000 Brummifahrer aus, weil sie das Rentenalter erreichen. Hinzu kommen aber nur 15.000 Auszubildende. Derzeit gibt es noch rund 560.000 Lkw-Fahrer, doch die Personallücke wird immer größer. Auf der diesjährigen Messe Transport Logistic vom 4. bis 7. Juni in München sei der Fahrer- und Fachkräftemangel „das beherrschende Thema im Konferenzprogramm“, sagte Messe-Geschäftsführer Stefan Rummel. „Wir sind kurz vor dem Versorgungskollaps“, warnte BGL-Vorstandssprecher Engelhardt.

Mehr Frauen für den Beruf der Lkw-Fahrerin zu begeistern, kann dem Fahrermangel entgegenwirken. Doch Frauen haben wie ihre männlichen Kollegen mit den Missständen im Beruf wie fehlenden Autobahnparkplätzen, wenig Wertschätzung und Termindruck zu tun – verstärkt durch ihre Seltenheit in einer von Männern dominierten Fahrerwelt. „Es gibt noch nicht einmal europaweit Frauen-Duschen, geschweige denn überhaupt Duschen“, moniert Scheib.

Rastplatzidylle: Angefangen bei sanitären Einrichtungen bis hin zu neuen Arbeitszeitmodellen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind viele Verbesserungen nötig. Quelle: imago images

Es müsse – egal ob für Frau oder Mann – etwas für die Hygiene, für die Sicherheit und für die Gesundheit getan werden. Auch sollte jeder das Recht haben, auf einem Parkplatz seine Pause machen zu können. Mit Unterstützung der neuen Botschafterin plant der BGL, einen Stammtisch speziell für Berufskraftfahrerinnen nach dem Vorbild der bewährten Fernfahrerstammtische sowie einen Arbeitskreis Frauen in der Logistik einzurichten.

Logistikengpässe und Fahrermangel

Um für Verbesserungen einzutreten, hat der BGL Ende 2018 im Rahmen einer verbändeübergreifenden Initiative einen Fünf-Punkte-Plan gegen Logistikengpässe und Fahrermangel auf den Weg gebracht sowie eine Imagekampagne gestartet, deren Schirmherr Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ist. Zentrales Anliegen des BGL ist es, die Wertschätzung und Attraktivität des Fahrerberufs zu erhöhen, um wieder mehr Kraftfahrer zu gewinnen. Dazu gehört auch, Frauen für den Beruf zu begeistern.

Um die Rolle der Berufskraftfahrer zu stärken, hat die westfälische Nagel-Group im vergangenen Jahr Recruting, Ausbildung und Qualifizierung von Berufskraftfahrern in die eigene Hand genommen und eine Fahrerakademie gegründet. Dort werden sämtliche Belange und Prozesse rund um das Berufsbild des Kraftfahrers gebündelt – von der Gewinnung neuer Mitarbeiter über die Aus- und Weiterbildung bis hin zur Betreuung der eigenen Fahrer sowie der Unternehmerfahrer. Teil der Akademie ist auch eine Fahrschule in Schwerin, die der Lebensmittellogistiker im vergangenen Jahr übernommen hat.

Zudem beschäftigt die Nagel-Group in jedem ihrer Logistikstandorte so genannte Fahrerbetreuer. Einer von Ihnen ist Kai Sauter. Der 43-jährige Speditionskaufmann ist Fahrerbetreuer in der schwäbischen Niederlassung Bad Grönebach. Ein Problem, mit dem sich Sauter immer wieder konfrontiert sieht, ist die Scheu der älteren Fahrer vor der Digitalisierung in der Branche. Die reicht mittlerweile von GPS-gesteuerten Tempomaten, über elektronische Temperatursteuerung des Laderaums bis hin zu automatischen Abstandsreglern und MDE-Geräten für die Erfassung der Ware beim Be- und Entladen. „Viele haben den Smartphone-Hype nicht mitgemacht und Angst davor, bei den Geräten zu versagen. Das schreckt ab,“ weiß Sauter. Es gebe gestandene Mannsbilder, die zugeben, dass ihnen das alles zu kompliziert ist, sagt der Betreuer aus dem Allgäu. Mit der Trucker-Serie „Auf Achse“, die von 1978 bis 1996 in der ARD in 86 Folgen ein abenteuerlich-romantisches Fernfahrerleben zeichnete, hat der Beruf des Kraftfahrers ohnehin nichts mehr zu tun. Sauter: „Manfred Krug und sein Kollege nahmen sich morgens den Schlüssel und einen Lieferschein, stiegen auf den Bock, gaben Gas und fuhren sorgenfrei in den Sonnenaufgang.“

Sauter und seine zwei Dutzend Kollegen in anderen Niederlassungen der Nagel-Group begleiten neue Fahrer bei ihren ersten Touren, geben Tipps für den Umgang mit der modernen Technik, kümmern sich sogar bei seltenen Wünschen wie bei Job- und Tourenwechseln innerhalb des europaweit aufgestellten Logistikers und sind freundschaftliche Ratgeber auch bei privaten Anliegen. Zudem besuchen die Fahrerbetreuer regelmäßig Ausbildungsmessen, oftmals umsonst: „Es gibt genügend Nachfrage nach Ausbildungen als Lager- oder Speditionskaufmann“, sagt Sauter. Aber dass einer kommt und will Lkw-Fahrer werden, das sei eher selten der Fall.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%