
Der 15. April sollte am Frankfurter Flughafen ein Freudentag werden. Mit einer Reihe von Feiern und Flugzeugen in traditioneller Bemalung wollte die Deutsche Lufthansa an den 60. Jahrestag ihrer Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern. Am 1. April 1955 hob ein Flieger der Deutschen Lufthansa AG zum ersten Linienflug ab.
Doch nach den Ereignissen der vergangenen Woche hat das Unternehmen alle Feiern offiziell abgesagt. Statt der Partys gibt es am 17. April nun einen Gedenkgottesdienst für die Opfer des Germanwings-Absturzes im Kölner Dom.
In der Unternehmenszentrale und an den Flughäfen ist seit der Katastrophe von Flug 4U9525 niemandem zum Feiern zu Mute. Der Schock sitzt so tief, dass selbst ehemalige Mitarbeiter sich wieder als Lufthanseaten fühlen, selbst wenn sie den gelben Hausausweis vor Jahren abgegeben haben: „Dass einer von uns zu so etwas fähig ist“, beginnen die meisten Antworten mit dem unausgesprochenen Hinweis, dass der Co-Pilot der Unglücksmaschine den Absturz nach Ermittlungserkenntnissen offenbar absichtlich herbei geführt hat.
Die Fakten zum Germanwings-Absturz
Der Airbus A320 ist am Dienstag um 10.01 Uhr mit 150 Menschen an Bord in Barcelona gestartet. Kurz nach dem Erreichen der regulären Reiseflughöhe von 38.000 Fuß (11,5 Kilometer) ging die Maschine ohne Hinweis an die französische Flugkontrolle oder ein Notsignal in einen schnellen Sinkflug über. Das Flugzeug zerschellte in den französischen Alpen. Die Maschine flog bis zum Aufprall, ohne dass es eine Explosion gab, wie die französische Untersuchungsbehörde BEA mitteilte.
An Bord der Maschine waren 150 Menschen, darunter nach jüngsten Informationen 72 Deutsche und 50 Spanier. Weitere Opfer stammen nach Angaben von Regierungen und Germanwings offenbar aus den USA, Großbritannien, Kasachstan, Argentinien, Australien, Kolumbien, Mexiko, Venezuela, Japan, den Niederlanden, Dänemark, Belgien und Israel.
Die Germanwings-Maschine verunglückte in den französischen Alpen nahe der kleinen Ortschaft Seyne-les-Alpes. Die Bergung der Wrackteile ist schwierig. Das Gelände an der Unglücksstelle ist zerklüftet und nur schwer zugänglich. Weil die Maschine mit hoher Geschwindigkeit auftraf, sind die Trümmerteile sehr klein und weit verstreut.
Die Bergung der Opfer wurde am 31. März abgeschlossen. Das Kriminalinstitut der französischen Gendarmerie erklärte, die eigentliche Identifizierung, also die Zuordnung zu den Vergleichsdaten der Angehörigen, könne zwei bis vier Monate dauern.
Die Ermittler haben bereits auswertbare Daten aus dem ersten Flugschreiber, dem Stimmrekorder, sichergestellt und ausgewertet. Laut der französischen Staatsanwaltschaft war zum Zeitpunkt des Absturzes nur der Co-Pilot im Cockpit. Der Stimmrekorder hat bis zuletzt Atemgeräusche im Cockpit aufgezeichnet, der Co-Pilot war also am Leben. In den letzten Minuten, bevor der A320 an einer Felswand zerschellte, zeichnete der Rekorder auf, wie der ausgesperrte Kapitän und die Crew von außen gegen die Cockpit-Tür hämmern. Die Ermittler gehen daher davon aus, dass der Co-Pilot die Maschine absichtlich zum Absturz brachte.
Der zweite Flugschreiber, der detaillierte Flugdaten aufzeichnet, wurde bislang nicht gefunden.
Der Mittelstreckenflieger A320 hatte seinen Jungfernflug 1987 und wurde ein Jahr später erstmals von Airbus an Kunden ausgeliefert. Seither hat er sich in verschiedenen Varianten zum meistverkauften Passagierjet von Airbus entwickelt. Bis Ende Februar hatte der Hersteller von seiner absatzstärksten Modellfamilie knapp 6500 Maschinen an die Kunden überstellt.
Die Unglücksmaschine war seit mehr als 24 Jahren im Einsatz, verfügte laut Auskunft der Lufthansa jedoch über neueste Technik und habe alle Sicherheitsanforderungen erfüllt. Noch einen Tag vor der Katastrophe sei der Flieger einem Routinecheck unterzogen worden.
Der Kapitän des abgestürzten Flugzeugs galt als erfahren. Er hatte seit mehr als zehn Jahren für Germanwings und Lufthansa gearbeitet. Auf dem Modell Airbus hatte er mehr als 6000 Flugstunden absolviert.
Zu den Geschehnissen im Cockpit der Germanwings-Maschine sagte der Lufthansa-Chef Carsten Spohr: „Es gab ein technisches Briefing zum weiteren Flugverlauf. Dann hat der Pilot dem Co-Piloten das Steuer überlassen.“ Zum Verlassen des Cockpits durch den Kapitän sagte Spohr: „Der Kollege (Pilot) hat vorbildlich gehandelt, er hat das Cockpit verlassen, als die Reiseflughöhe erreicht war.“
Der Co-Pilot der Unglücksmaschine war seit 2013 bei der Lufthansa-Tochter beschäftigt. Zuvor hatte er seit etlichen Jahren für den Konzern gearbeitet, auch als Flugbegleiter. Vor sechs Jahren gab es eine mehrmonatige Unterbrechung der Pilotenausbildung, danach wurde die Eignung des Mannes nach allen Standards überprüft. „Er war 100 Prozent flugtauglich. Ohne jede Auffälligkeit“, sagte Spohr.
Ermittler durchsuchten auf Bitte der französischen Justiz zwei Wohnungen des Co-Piloten. Dort wurde eine zerrissene Krankschreibung gefunden, die auch den Tag des Absturzes umfasste. Der 27-Jährige war vor mehreren Jahren - vor Erlangung des Pilotenscheines - über einen längeren Zeitraum wegen Depressionen und Selbstmordgefährdung in psychotherapeutischer Behandlung.
Quellen: dpa, reuters, sha, jre
Im Gegensatz zu den Tagen nach dem Absturz mischen sich in Trauer und Wut nun auch neue Noten: Trotz und zarte Aufbruchsstimmung. „Wir werden uns nicht unterkriegen lassen“, so ein Lufthanseat. „Wir haben in der Vergangenheit schon viel überstanden und einige deutlich bedrohlichere Situationen gemeistert“, so ein führender Mitarbeiter. Am Ende raufte sich das Unternehmen immer zusammen und schaffte eine Wende. „In der Krise zusammenstehen war schon immer der Geist der Lufthansa“, sagt ein Aufsichtsrat.
Tatsächlich rückten die Lufthansa-Mitarbeiter in den bislang schwersten Stunden eng zusammen – zumindest kurzfristig. War die unmittelbare Gefahr vorbei, endete insbesondere die Partnerschaft zwischen Angestellten und Konzernspitze meist schnell.
Welche Katastrophen die Lufthansa bislang erlebte – und wie sie diese überstanden hat.
1. Neugründung
Während in anderen Ländern Europas die Fluglinien fast unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wieder loslegten, startete die Lufthansa erst 1955. Weil die alte Lufthansa bis 1945 nahe am Nazi-Regime und der Luftwaffe arbeitete – und dabei mindestens 10.000 Zwangsarbeiter beschäftigte -, untersagten die alliierten Siegermächte eine eigene deutsche Fluglinie.
Auslöser der Krise: Andere Fluglinien wie die niederländische KLM und British-Airways-Vorläufer wie BOAC hatten bereits ein eigenes Flugnetz aus ihren Hauptstädten mit treuen Passagieren und ersten Langstreckenverbindungen aufgebaut. In Deutschland war die Lufthansa weit davon entfernt. Ohne echte Hauptstadt fehlte ihr in der föderalen BRD ein natürlicher Heimatflughafen.
Folgen: Die Lufthansa flog der Konkurrenz erstmal hinterher. Zudem musste die Fluggesellschaft mangels eigener Piloten mit Lizenzen für die neuen britischen oder amerikanischen Maschinen in großem Stil ausländische Piloten beschäftigen.
Das wirkt bis heute nach. Weil gerade die US-Flugzeugführer ihre Gehälter damals nach den Tarifen ihrer Heimat zu einem hohen Wechselkurs erhielten, bekamen auch die hinzukommenden deutschen Piloten überdurchschnittlich viel Geld.
Die sechs größten Baustellen der Lufthansa
13 Mal haben die Piloten der Lufthansa in den vergangenen gut eineinhalb Jahren gestreikt. Die Vereinigung Cockpit sorgt sich, dass die Piloten unter anderem Abstriche Altersvorsorge hinnehmen müssen - und trotzdem immer mehr Jobs aus dem Tarifvertrag ausgelagert werden. Sie liefern dem Konzern deshalb den härteste Arbeitskampf in seiner Geschichte. Das ist nicht der einzige Knatsch mit dem Personal: Die Flugbegleiter von Ufo sind etwas moderater unterwegs, wollen aber auch ihre tariflichen Besitzstände verteidigen.
Carsten Spohr hat die Lufthansa auf eine Strategie mit zwei sehr unterschiedlichen Plattformen festgelegt, die jetzt gerade erst anlaufen. Die Kernmarke Lufthansa soll bei gleichzeitiger Kostensenkung zur ersten Fünf-Sterne-Airline des Westens aufgewertet werden - eine Luxus-Auszeichnung des Fachmagazins Skytrax, die bislang nur Airlines aus Asien und dem Mittleren Osten erreicht haben. Am anderen Ende der Skala steht künftig „Eurowings“, die nur noch als Plattform für die diversen und möglichst kostengünstigen Flugbetriebe des Lufthansa-Konzerns dienen soll. Die ersten Eurowings-Langstrecken ab Köln werden beispielsweise von der deutsch-türkischen Gesellschaft Sunexpress geflogen. Noch komplizierter wird das Angebot durch die Strategie, auf beiden Plattformen jeweils unterschiedliche Service-Pakete anzubieten.
So richtig gut läuft es für die Lufthansa mit ihrem schwierigen Heimatmarkt Zentraleuropa eigentlich nur in den Neben-Geschäftsbereichen Technik und Verpflegung. In ihrem Kerngeschäft der Passagier- und Frachtbeförderung fliegt die Lufthansa unter dem Strich Verluste ein. Spohrs Plan, Wachstum nur noch in kostengünstigen Segmenten stattfinden zu lassen, bedeutet eigentlich einen Schrumpfkurs für die Kerngesellschaft der Lufthansa Passage. Doch den Mitarbeitern wird Wachstum auch dort versprochen.
Sinkende Ticketpreise sind gut für die Passagiere, knabbern andererseits aber an den schmalen Margen der Fluggesellschaften. Bereits im vergangenen Jahr sind die Erlöse auf breiter Front um drei Prozent zurückgegangen. Der zuletzt stark gesunkene Kerosinpreis begünstigt derzeit Gesellschaften, die sich nicht gegen starke Preisschwankungen abgesichert haben. Lufthansa gehört nicht dazu, sondern hat einen Großteil ihres Spritbedarfs für die kommenden zwei Jahre bereits abgesichert und leidet zudem an der ungünstigen Währungsrelation zwischen Euro und Dollar. Um ihre Tickets zu verkaufen, muss sie aber die Kampfpreise der Konkurrenz halten.
In regelmäßigen Abständen verlangt Lufthansa politischen Schutz vor dem angeblich unfairen Wettbewerb durch Fluggesellschaften vom Arabischen Golf. Zuletzt stimmten auch die großen US-Gesellschaften in den Chor ein. Aber es bleibt dabei: Emirates, Qatar Airways und Etihad lenken mit immer größeren Flugzeugen tausende Fluggäste aus Europa über ihre Wüstendrehkreuze und haben bereits weite Teile des Verkehrs nach Südostasien und Ozeanien fest im Griff. Um streitbare Gewerkschaften, hohe Gebühren und Sozialabgaben oder Nachtflugverbote an ihren Heimatbasen müssen sich die Araber keine Gedanken machen. Zudem ändern die europäischen Billigflieger ihr Geschäftsmodell und werden für Geschäftsleute immer attraktiver. So folgt Ryanair dem Vorbild von Easyjet und verlässt die Provinz-Flughäfen. Am Eurowings-Drehkreuz Köln-Bonn treten die Iren demnächst sogar wieder mit Inlandsflügen nach Berlin an.
Auf Hilfe aus Berlin oder Brüssel hat die Lufthansa in den vergangenen Jahren meist vergeblich gewartet. Die nationale Luftverkehrssteuer verteuert Tickets für Flugreisen von deutschen Flughäfen. Sie bietet zudem der europäischen Konkurrenz Anreize, Umsteiger auf die eigenen Drehkreuze zu locken. Grenznah lebende Passagiere können gleich ganz auf ausländische Flughäfen und Airlines ausweichen. Den häufig angemahnten nationalen Luftverkehrsplan gibt es auch immer noch nicht. Dafür unsinnige Subventionen für Regionalflughäfen, die bislang das Geschäftsmodell der Billigflieger gestützt haben.
Reaktion: Wie der Rest der deutschen Wirtschaft setzte auch die Lufthansa auf Technik und Effizienz, um aus hohen Löhnen erträgliche Lohnstückkosten zu machen. Als Nachzügler konnte die Lufthansa fast als erste Linie neue sparsamere Maschinen wie die Propellermaschine Lockheed „Super-Connie“ und bald die ersten Düsenjets vom Typ Boeing 707 kaufen.
Erfolg: Der Fokus auf Zuverlässigkeit und Sicherheit, sowie das deutsche Wirtschaftswunder mit dem Exportboom ließen die Lufthansa rasch wachsen. Sie wurde zu einer der größten Linien in Europa.