Mobilfunkstandard 5G im Härtetest

Testgelände Hamburger Hafen: Hier erprobte der Hafenbetreiber zusammen mit der Telekom ein 5G-Netz. Quelle: dpa

Die Deutsche Telekom und Nokia zeigen mit ersten 5G-Tests im Hamburger Hafen, wie flexibel das neue Supernetz einsetzbar ist. Die Botschaft an die Industrie: Nicht jede Fabrik braucht ihr eigenes 5G-Netz.

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Das Timing hätte nicht besser sein können. Pünktlich um neun Uhr rückt am Dienstag ein Großaufgebot der Polizei zum Hamburger U-Bahnhof Hafencity Universität aus. Mit Blaulicht rasen mehrere Streifenwagen zum Tatort. Der Auftrag an die mehr als 50 schwer bewaffneten Spezialkräfte: Vier Terroristen aufspüren und die Verletzten bergen. Für einen Vormittag ist die Hafencity Schauplatz einer Anti-Terrorübung, die so realistisch nachgespielt ist, dass ein paar Passanten tatsächlich an einen Ernstfall glauben.

Einen Häuserblock weiter, in der Zentrale der Hamburg Port Authority (HPA), deutet deren Chef Jens Meier an, dass solch eine Terrorübung in Zukunft ganz anders ablaufen könnte. Im neuen 5G-Mobilfunk, der Daten in Echtzeit überträgt, könne die Polizei einen eigenen Kommunikationskanal bekommen. Und auch die Ampelanlagen lassen sich so vollautomatisch steuern, dass Straßensperren deutlich weniger Staus verursachen. Erste Tests zeigen, dass der 5G-Mobilfunk völlig neue Anwendungen ermögliche.

Zusammen mit der Deutschen Telekom und dem finnischen Netzausrüster Nokia schaltete die Hafenbehörde ein 5G-Testnetz mit mehreren unterschiedlich schnellen Fahrspuren für Daten ein, mit dem sich zum Beispiel der stetig steigende Autoverkehr intelligenter als bisher steuern lässt. „Wir müssen wegkommen von der Zeit getakteten Ampelschaltung“, sagt Meier.

Und dafür biete der neue 5G-Mobilfunk eine stabile technische Plattform. Sensoren in der Straße liefern Daten über die Verkehrslage, und die Ampelschaltung passt sich dann automatisch dem Tempo und der Verkehrsdichte an. Grüne Welle statt stoppen vor jeder Ampel. Das ist die Vision der drei 5G-Partner. „Das Signal ist dauerhaft stabil“, freut sich Meier, der Teil des mit EU-Geldern geförderten Forschungsprojektes Monarch ist und damit zu den 5G-Pionieren in Deutschland zählt.

Was sich auf dem ersten Blick recht banal anhört, ist Teil einer hochkomplexen Weiterentwicklung bisheriger Mobilfunknetze, die erst durch die 5G-Technik möglich wird. Die 5G-Entwickler können nachweisen, dass auch mehrere komplexe mobile Anwendungen mit völlig unterschiedlichen Anforderungen bei Übertragungsrate und Reaktionszeit nebeneinander und trotzdem zuverlässig in einem einzigen 5G-Netz funktionieren.

Damit das klappt, unterteilen Telekom und Nokia ein 5G-Netz in mehrere virtuell voneinander getrennte Unternetze, die sich gegenseitig nicht beeinflussen und stören. Selbst wenn sich viele Smartphone-Nutzer gleichzeitig Videos anschauen, soll sich dies auf die für die Ampelschaltung benötigten Datentransfers überhaupt nicht auswirken. „Wir müssen unterschiedliche Anforderungen bedienen“, sagt Antje Williams, die für 5G verantwortliche Programm-Managerin der Telekom.

Das Projekt zeigt aber auch, dass Funklöcher das Todesurteil für solche sensiblen Anwendungen wären. Denn natürlich denkt die Hafenbehörde auch darüber nach, Containerschiffe mit 5G-Sensoren zu bestücken, damit Speditionen frühzeitig Informationen über Ankunftszeit- und Ausladezeiten bekommen. Erste Gesprächen mit Hafenverwaltungen in Asien und den USA laufen, berichtet HPA-Chef Meier.

Damit es im 5G-Mobilfunk deutlich weniger Funklöcher als bisher gibt, will die Bundesregierung die Versteigerung der 5G-Frequenzen mit schärferen Versorgungsauflagen verknüpfen. Die 5G-Netzbetreiber sollen nicht nur alle Autobahnen, sondern bis Ende 2022 auch 5000 Kilometer Bundesstraßen störungsfrei mit 100 Megabit pro Sekunde versorgen. Auch 80000 Kilometer Landstraßen sollen 50 Megabit pro Sekunde erhalten. Das ist deutlich mehr als die im Entwurf vorliegenden Vergaberegeln der Bundesnetzagentur bisher vorsehen.

Mit dem Projekt im Hamburger Hafen bewegt sich die Telekom einen Schritt auf die Industrie zu: Der Ex-Monopolist hofft, dass nicht jedes Unternehmen von der neuen Möglichkeit Gebrauch macht, eigene Campus-Netze zu bauen.

Vor allem Industrieunternehmen wollen sich aus der Abhängigkeit von den drei großen Mobilfunkbetreibern befreien und mit eigenen 5G-Netzen eine vollständig digitalisierte Fabrik 4.0 aufbauen. Entsprechende Frequenzen will die Bundesnetzagentur für Industrieunternehmen reservieren. Mehrere Wirtschaftsverbände - darunter die Auto-, die Elektro-, die Chemieindustrie und der Maschinenbau - haben sich dafür bei der Bundesnetzagentur stark gemacht.

In Hamburg zeigt die Telekom, dass es auch gemeinsam mit der Industrie geht. Das Aufteilen eines 5G-Netzes in mehrere separate Schichten - im Fachjargon Network Slices genannt - lässt sich auch für ein begrenztes Gebiet - etwa ein Werksgelände - oder für eine fest umrissene Zeit - etwa bei einem besonderen Event wie dem Polizeieinsatz - einrichten. Und dafür brauchen die Netztechniker nur wenige Klicks auf ihrem Computer - wie eine Live-Demonstration in der HPA-Zenrale zeigte. Das Bauen einer neuen Fahrspur im 5G-Netz dauert nur eine Minute.

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