Der Auftrag an Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) war eindeutig. „Gewinnabführungen der Infrastruktursparten an die Holding werden ausgeschlossen“, heißt es im Koalitionsvertrag, den CDU/CSU und FDP 2009 schlossen. Mit dem Passus wollten die Liberalen verhindern, dass die Deutsche Bahn sich weiter der Einnahmen aus dem Schienennetz und den Bahnhöfen bedient. Denn die Eisenbahn-Infrastruktur gehört laut Grundgesetz mehrheitlich dem Staat und wird mit Steuergeldern gepäppelt.
Aus dem Ansinnen wurde nichts. Ramsauers Beamte meinten 2011, es brächte unterm Strich keine Vorteile, der Bahn zu verbieten, Gewinne aus dem Schienennetz herauszuziehen. Also durfte es Bahn-Chef Rüdiger Grube weiter zur künftigen Geldquelle für die Konzernkasse aufbauen.
Doch damit könnte nach der Bundestageswahl Schluss sein. Das Zugchaos am Mainzer Stellwerk und die Probleme an den Stellwerken in Bebra (Hessen), Brandis-Beucha und Zwickau (Sachsen), Lahnstein-Friedrichssegen (Rheinland-Pfalz), Niederarnbach (Bayern) und Berlin-Halensee und -Tempelhof haben die politische Großwetterlage verändert.
Selbst Bahn-Freunde unter den Berliner Parlamentariern bezweifeln inzwischen die Vorteile von Fahr- und Netzbetrieb unter einem Dach. Unions-Politiker und Sozialdemokraten fordern strengere Regeln, Grüne und Liberale wollen die Sparte ganz abtrennen. In gleicher Richtung macht Brüssel Druck. Sogar Ramsauer macht kehrt. „Schließlich werden wir veranlassen, dass die Gewinne der Netz AG als Investitionen wieder ins Netz zurückfließen“, sagte er Anfang der Woche. „Verlassen Sie sich drauf, auch wenn es Zeit braucht.“
Es mehren sich die Fragezeichen hinter dem Verbleib der Infrastruktur im Konzern. Zum einen, weil die Verquickung von Netz- und Fahrbetrieb – von Ex-Bahn-Chef Hartmut Mehdorn zum „Rad-Schiene-System“ stilisiert – auch unter Nachfolger Grube ein Quell für Diskriminierung geblieben ist. Zum anderen, weil die Bahn unfähig ist, für einen reibungslosen Betrieb auf dem Netz zu sorgen.
Bahn-Konzern zerschlagen
Symptomatisch dafür ist die Müngstener Brücke. Als vor zwei Jahren die Sanierung der höchsten deutschen Eisenbahnbrücke bei Solingen in Nordrhein-Westfalen anstand, berechneten die Statiker der Netzsparte das Gewicht der Regionalzüge falsch. Sie vergaßen schlichtweg das Gewicht der Passagiere. Das Eisenbahnbundesamt ließ die Brücke sperren. Ein halbes Jahr lang mussten mehrere Tausend Passagiere pro Tag mit dem Ersatzbus pendeln.
Gleichzeitig erweist sich die These vom Diskriminierungspotenzial integrierter Bahn-Konzerne als bittere Realität. Auf Druck der EU-Kommission lenkt die Bahn gerade ein, Wettbewerbern Teile der Stromrechnung zu erlassen. Die Mengen- und Laufzeitrabatte sind in der Praxis nur für Züge der Deutschen Bahn interessant – ein Nachteil für die Konkurrenz.
Als Opfer sieht sich auch der Betreiber des Fernzugs HKX zwischen Hamburg und Köln. Der Wettbewerber hatte mit der Bahn im Frühjahr 2010 die Preise für die Stopps an den Bahnhöfen vereinbart. Kein halbes Jahr später, im September 2010, setzte der Staatskonzern die Zuglänge, von der an ein Halt deutlich mehr kostet, von 180 Meter auf 170 Meter herab. HKX sollte deshalb an fünf Tagen die Woche, an denen die Züge 178 Meter lang sind, weit mehr als doppelt so viel bezahlen wie geplant. Nur auf Druck der Bundesnetzagentur gab die Bahn nach.
Für die Politik ist das Maß voll. Ziel müsse es sein, „das Schienennetz als separaten Infrastrukturdienstleister unabhängig zu machen, der Zugtrassen und Bahnhöfe diskriminierungsfrei zur Verfügung stellt“, sagt der FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic. Auch sein Grünen-Kollege Anton Hofreiter fordert „endlich eine Trennung des Schienennetzes“.
Selbst die SPD schwenkt auf einen härteren Kurs ein. Sollte etwa eine Selbstverpflichtung der Bahn nicht ausreichen, die Gewinne aus dem Netz zu reinvestieren, oder der Rückfluss der Bahn-Dividende ins Netz nicht garantiert werden können, müsse „auch geprüft werden, ob die Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge zwischen Holding und DB Netz AG in der jetzigen Form unserem Ziel, alle Trasseneinnahmen für die Schieneninfrastruktur zu verwenden, entgegenstehen“, heißt es in einem Fraktionspapier.