Nürburgring Ein Schritt nach vorn am Nürburgring

Der lähmende Gesellschafterstreit am Nürburgring ist beigelegt, die Holding des russischen Pharmamagnaten Viktor Charitonin hat jetzt das Sagen. Ein Schritt nach vorn für den Nürburgring, aber noch kein Durchbruch – denn ein Großrisiko bleibt. Ein Kommentar.

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Der Gesellschafterstreit beim Nürburgring ist beigelegt Quelle: dpa

Es war ein wirtschaftlicher Stellungskrieg, den die beiden Hauptgesellschafter am Nürburgring sich zuletzt lieferten. Die Holding des russischen Pharmamagnaten Viktor Charitonin auf der einen und die Motorsportfirma Getspeed auf der anderen Seite waren sich in herzlicher Abneigung verbunden. Argwöhnisch beäugten sie jeden Schritt des anderen, warfen sich Knüppel zwischen die Beine, wo es nur ging.

Da jeder der beiden Gesellschafter einen Geschäftsführer stellen durfte, überzogen sie sich mit einstweiligen Verfügungen, was der Geschäftsführer des jeweils anderen darf – oder auch nicht darf. Mehr als zehn Prozesse traten die Streithähne gegeneinander los. Operative Entscheidungen waren dort, wo sie hingehören – in die Geschäftsführung – kaum noch möglich. Für jede Kleinigkeit wurden erst Gesellschafterversammlungen einberufen, um dort Entscheidungen zu treffen und überhaupt noch handlungsfähig zu sein. Eine lähmende Starre.

Das Nürburgring-Desaster

Es ist daher ein gutes Signal, das heute aus der Eifel kommt: Die beiden Gesellschafter haben „ihre Differenzen und rechtlichen Auseinandersetzungen einvernehmlich beigelegt“, heißt es in einer Mitteilung des Nürburgring-Pressesprechers, der damit eine Anfrage der WirtschaftsWoche bestätigt. Im Klartext bedeutet das: Die Firma GetSpeed des früheren Boston-Consulting-Group-Partners Axel Heinemann steigt aus und gibt ihre Anteile nahezu vollständig ab. Am Nürburgring hat nun Charitonin das Kommando.

Klarheit hilft bei wirtschaftlichen Entscheidungen

Das dürfte dem Nürburgring bei der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung helfen. Bislang nämlich waren die Gesellschafter statt mit einer Strategie mehr mit sich selbst beschäftigt. Die NR Holding AG hatte zwar mit 80 Prozent der Anteile eine satte Mehrheit und auch den Großteil des bislang fälligen Kaufpreises gezahlt. Minderheitsgesellschafter Getspeed hatte aber über zahlreiche Sperrklauseln auch mit nur 20 Prozent der Anteile diverse Möglichkeiten, seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen oder zumindest die der Russen zu torpedieren. Nun wird der Getspeed-Anteil drastisch reduziert, nach Informationen der WirtschaftsWoche auf weniger als fünf Prozent.

Die Blockade ist damit aufgelöst, die Lage geklärt: An der Rennstrecke übernimmt die NR Holding die Führung und hat die Möglichkeit, nach ihren Vorstellungen Pläne aufzustellen und auch umzusetzen. Eine wichtige Grundlage, dass es am Nürburgring wieder aufwärts gehen kann, denn zuletzt taumelte die Gesellschaft ohne konsistente Strategie Richtung Abgrund.

Nachdem das Land Rheinland-Pfalz unter Ex-Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) den Nürburgring als damaliger Haupteigentümer in die Pleite gewirtschaftet hatte, übernahmen 2012 Insolvenz-Sachwalter Jens Lieser aus Koblenz und Sanierungsgeschäftsführer Thomas Schmidt aus Trier die Geschäfte an der Rennstrecke. Sie entschlossen sich zur Privatisierung, vermurksten aber den Verkaufsprozess, den sie mit Unterstützung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG organisierten.

Charitonin muss zeigen, dass der Nürburgring zukunftsfähig ist

Der im März 2014 ausgesuchte Käufer, ein Konsortium aus dem Düsseldorfer Automobilzulieferer Capricorn als Hauptgesellschafter und Getspeed als Minderheitsgesellschafter, geriet bald in Schwierigkeiten. Capricorn konnte seinen Anteil am bisher fälligen Anteil des Kaufpreises von insgesamt 77 Millionen Euro nicht aufbringen, die Raten mussten gestundet werden, die Capricorn-Anteile an der Käuferfirma schließlich gepfändet. Im Oktober gingen sie an die NR Holding. Deren zentrale Figur Charitonin beglich nicht nur die offenen Raten, sondern stellte über eine Kapitalerhöhung auch gleich noch zehn Millionen Euro Betriebskapital zur Verfügung, mit der die Gesellschaft nun arbeiten kann.

Motorsport verliert Zuschauer

In der Vergangenheit hat Charitonin also schon gezeigt, dass er bereit ist, für den Nürburgring auch Geld in die Hand zu nehmen. Das nährt die Hoffnung, dass er weitere Investitionen tätigt, um die Rennstrecke zukunftsfähig zu machen. Denn das Interesse am Motorsport ist in Deutschland generell rückläufig, selbst dem großen Zugpferd, der Formel 1, laufen die Zuschauer davon.

Und das trotz der Erfolge von Sebastian Vettel, der mit Red Bull vier Weltmeistertitel holte und inzwischen für den Traditionsrennstall Ferrari fährt, oder des Mercedes-Teams, das zuletzt zweimal hintereinander Fahrer- und Konstrukteursweltmeisterschaft einfuhr. Der große Preis von Deutschland auf dem Nürburgring fand 2015 gar nicht statt, weil sich Nürburgring und Formel-1-Chefpromoter Bernie Ecclestone nicht auf einen Vertrag einigen konnten – den Verantwortlichen in der Eifel war das Gastspiel der Königsklasse zu teuer.

Motorsport-Interesse in Deutschland ist rückläufig

Nun wird sich zeigen, mit welchen Ideen Charitonin und seine Leute den Nürburgring voranbringen wollen und ob sie dies können. Gerade im Bereich Digitalisierung erschien zuletzt eher der kleinere Partner Getspeed als Triebfeder, brachte zum 24-Stunden-Rennen etwa einen Livestream in Zusammenarbeit mit dem Telekommunikationsriesen Vodafone ins Netz. Für viel Aufsehen sorgte auch ein neues Format, bei dem Zocker an Spielekonsolen gegen die echten Cracks auf der realen Rennstrecke fahren können, der Computer rechnet die Bilder zusammen – ein Rennen in der Virtualität gegen die Realität.

Problembauten am Nürburgring
Freizeit-, Gastronomie- und Hotelkomplex
Ring-Racer
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Grüne Hölle
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Über Charitonin und seine Vorstellungen ist dagegen bislang nur wenig bekannt. Auch, weil er seit seinem Einstieg Ende 2014 noch kein Interview zum Nürburgring gegeben hat. Das mag ein Grund sein, warum er von vielen in der Region und Motorsportszene skeptisch gesehen wird: Er ist (noch) eine große Unbekannte.

Nicht zum Vorwurf sollte man ihm dagegen machen, dass der Nürburgring nun in russischer Hand ist. Hier tragen Landesregierung und Insolvenzverwalter die Verantwortung, weil sie die Erwartungshaltung geschürt haben, dass kein arabischer Scheich, chinesischer Neureicher oder russischer Oligarch die Traditionsrennstrecke kauft. Charitonin ist das nicht anzulasten, er wird nun aber klar machen müssen, was er an und mit der Rennstrecke vorhat, um die Vorbehalte ausräumen zu können.

Auf europäischer Ebene geht die Unsicherheit weiter

Ein Großrisiko freilich bleibt weiterhin: Der Kaufvertrag ist bislang noch nicht vollzogen, das so genannte „Closing“ steht noch aus. Der vorgesehene Käufer ist derzeit nur als Pächter für die Geschäfte an der Rennstrecke verantwortlich. Der Grund dafür ist die nach wie vor herrschende europarechtliche Unsicherheit.

Da das Land Rheinland-Pfalz rund eine halbe Milliarde Euro an der Rennstrecke verbraten hat, die die EU-Kommission als unzulässige Beihilfen einstuft, musste der Verkaufsprozess europarechtskonform ablaufen. Die Kommission hat den Verkaufsprozess in ihrem Beihilfebeschluss zwar abgesegnet, unterlegene Interessenten beurteilen den Prozess aber ganz anders als die Kommission. Der gemeinnützige Verein Ja zum Nürburgring e.V. um ADAC-Ehrenpräsident Otto Flimm sowie das US-Technologieunternehmen Nexovation haben daher Klagen gegen den Beschluss beim Europäischen Gericht eingereicht.

Das Luxemburger Gericht ist die Vorinstanz des Europäischen Gerichtshofs und muss nun beurteilen, ob der Verkaufsprozess tatsächlich aus europarechtlicher Sicht akzeptabel ablief. Sollte der Streit in die nächste Instanz bis zum Gerichtshof gehen, würde es bis zur Rechtssicherheit noch Jahre dauern. Mindestens genauso wichtig wie das, was nun in Moskau passiert, ist für die Zukunft der Rennstrecke daher auch, wie es in Luxemburg weitergeht. Erst, wenn der Verkauf auch dort bestätigt wird, hat Charitonin nach dem Ausstieg von Getspeed tatsächlich freie Bahn auf der Rennstrecke.

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