
Es ist ein sonniger Mittwoch in Mainz, doch die finstere Miene von Kurt Beck teilt schon vor seinen ersten Worten mit, welch düstere Nachricht er an diesem Sommertag zu verkünden hat. Mit drei Ministern im Schlepptau erscheint der rheinland-pfälzische Ministerpräsident am 18. Juli 2012 zur Pressekonferenz in der Staatskanzlei und bekennt: Die weitgehend landeseigene Nürburgring GmbH ist pleite und meldet Insolvenz an.
Becks plumper Versuch, die Schuld für den eigenen politischen Bankrott der EU-Kommission in die Schuhe zu schieben – weil diese nicht schnell genug über die Genehmigung der vom Land geplanten Rettungsbeihilfen für den Ring entschieden habe – ist nur noch eine Anekdote, ein anderer Satz des damaligen Ministerpräsidenten aber hat bis heute Brisanz. „Alles, was normale Rechnungen sind, wird beglichen“, sagt der SPD-Mann, „es wird also kein Dritter einen Schaden haben.“ Eine Ansage an die vielen Handwerker, die am Nürburgring gearbeitet haben und zu diesem Zeitpunkt noch auf Geld warten.
Das Nürburgring-Desaster
Die Rennstrecke in der Eifel ist seit Jahren ein Millionengrab. Die Nürburgring GmbH ist seit 2006 bilanziell überschuldet, kann sich nur dank immer neuer Landes-Millionen bis zur Insolvenz im Juli 2012 über Wasser halten. Zum Zeitpunkt des Bankrotts ist das Land Rheinland-Pfalz mit 90 Prozent Haupteigentümer, zehn Prozent gehören dem Landkreis Ahrweiler. Größtes Problem der Nürburgring GmbH ist ein kostspieliger Formel-1-Vertrag, den der frühere Geschäftsführer Walter Kafitz (SPD) mit Bernie Ecclestone ausgehandelt hat. Alleine die Formel 1 reißt von 2003 bis 2011 ein Loch von rund 70 Millionen Euro in die Kasse. Auch mit Experimenten wie einem Offroad Park oder einer Motorradwelt versenkt Kafitz viel Geld. Dabei ist der Kernbereich – die legendäre Nordschleife von 1927 sowie der moderne, 1984 erbaute Grand-Prix-Kurs – durchaus profitabel zu betreiben.
Um aus den Miesen zu kommen wollen Geschäftsführer Kafitz und die damalige SPD-Alleinregierung von Kurt Beck mit dem riesigen Freizeit- und Businesszentrum „Nürburgring 2009“ zusätzliche Besucher anlocken. Die Einnahmen sollen die Verluste aus der Formel 1 decken und den Nürburgring unabhängiger vom Motorsportgeschäft machen. Der Park besteht aus zwei Bauabschnitten: Die Nürburgring GmbH baut ein Erlebniszentrum mit Rennsportmuseum (Ringwerk), einer Achterbahn, überdachter Shoppingmeile (Boulevard) sowie zwei Veranstaltungshallen. Der zweite Abschnitt, entwickelt von der Düsseldorfer Firma Mediinvest, umfasst zwei Hotels mit Personalwohnhaus, einen Ferienpark und das Eifeldorf „Grüne Hölle“, in dem sich eine Disco und diverse Restaurants befinden. Kritiker wie der gemeinnützige Verein „Ja zum Nürburgring“ (in dem unter anderem die Automobilclubs ADAC und AvD organisiert sind) oder die Bürgerinitiative „Wir sind Nürburgring“ verspotten die Neubauten als „Kirmes“.
Die Kosten für die 2009 eröffneten Neubauten steigen von ursprünglich geplanten 215 auf 330 Millionen Euro. Der erste Bauabschnitt soll zur Hälfte, der zweite komplett privat finanziert werden. Bei der Suche nach Investoren für den ersten Bauabschnitt fallen Land und Nürburgring GmbH aber auf dubiose Finanzvermittler herein, die ihnen Interesse schwer reicher amerikanischer und arabischer Investoren vorgaukeln, aber nicht mehr liefern können als ungedeckte Schecks. Die für den zweiten Bauabschnitt zuständige Firma Mediinvest von Kai Richter erhält 85,5 Millionen Euro an stillen Beteiligungen von der Rheinland-Pfälzischen Gesellschaft für Immobilien und Projektmanagement mbH (RIM), einer Tochter der landeseigenen Investitions- und Strukturbank (ISB). Wegen der Investitionen des Landes leitet die EU-Kommission im März 2012 ein Beihilfeverfahren ein.
Finanzminister und Nürburgring-Aufsichtsratschef Ingolf Deubel (SPD) tritt nach dem Platzen der Schecks im Juli 2009 zurück. Wirtschaftsminister Hendrik Hering und Deubels Nachfolger Carsten Kühl (beide SPD) erarbeiten vor der Landtagswahl 2011 ein „Zukunftskonzept“. Die landeseigene ISB vergibt auf Anweisung des Landes einen Kredit über 330 Millionen Euro; den Betrieb des kompletten Parks inklusive der Rennstrecken verpachtet die Nürburgring GmbH an die private Nürburgring Automotive GmbH (NAG), je zur Hälfte im Besitz von Kai Richters Mediinvest und der Düsseldorfer Lindner-Hotelgruppe. Im Februar 2012 kündigt das Land den Betreibern wegen ausstehender Pachtzahlungen. Die Pächter wiederum werfen dem Land vor, vertraglich vereinbarte Zuschüsse des Landes nicht erhalten zu haben.
Die erhofften Besuchermassen bleiben aus und die Pachtzahlungen reichen bei Weitem nicht aus, um die Kosten der Nürburgring GmbH zu decken. Am 18. Juli 2012 trifft das Kabinett die Entscheidung, die landeseigene Nürburgring GmbH in die Insolvenz zu schicken. Dafür wählt das Land eine Insolvenz in Eigenverwaltung: Es bestellt den Trierer Rechtsanwalt Thomas Schmidt zum Sanierungsgeschäftsführer, als Überwachungsinstanz wird mit dem Koblenzer Juristen Jens Lieser ein Sachwalter installiert. Diese legen den Streit mit den Pächtern später in einem Vergleich bei, der Pachtvertrag wird Ende 2012 aufgehoben. Für den weiteren Betrieb gründen die Insolvenzverwalter die Nürburgring Betriebsgesellschaft mbH, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Nürburgring GmbH, und verpachten das Geschäft an diese weiter. Das Land als größter Gläubiger hat insgesamt mehr als 600 Millionen Euro an offenen Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet.
Nach der Insolvenz beantragt die CDU-Opposition im Landtag ein Misstrauensvotum gegen Kurt Beck. Der hatte bei der Landtagswahl 2011 die absolute Mehrheit verloren und regiert inzwischen mit den Grünen. Die hatten das Nürburgring-Projekt im Wahlkampf scharf kritisiert, besonders ihre Spitzenkandidatin Eveline Lemke. Bei der Abstimmung im Landtag aber stehen die Grünen fest an Becks Seite, er übersteht das Misstrauensvotum. Rund zwei Monate später kündigt er seinen Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen an. Seine Nachfolgerin Malu Dreyer hält lange an Finanzminister Kühl sowie Hering fest, letzterer war nach der Landtagswahl 2011 aus dem Wirtschaftsministerium an die Spitze der SPD-Fraktion gewechselt. Nach einem vernichtenden Sondergutachten des Landesrechnungshofs, wonach das Zukunftskonzept von Vornherein zum Scheitern verurteilt war, verliert im November 2014 auch Kühl im Zuge einer großen Kabinettsumbildung seinen Posten als Finanzminister, Hering tritt als Fraktionschef zurück. Der seit der Wahl 2011 für den Nürburgring zuständige Innenminister Roger Lewentz (SPD) darf bleiben.
Die Staatsanwaltschaft Koblenz klagt den zurückgetretenen Finanzminister Deubel 2012 wegen Untreue an, mit ihm müssen sich Ex-Geschäftsführer Kafitz sowie weitere Manager des Nürburgrings und der landeseigenen Förderbank ISB vor dem Landgericht Koblenz verantworten. Deubel erhält im April 2014 eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren, Kafitz wird zu einem Jahr und sieben Monaten verurteilt. Gegen das Urteil hat Deubel Revision eingelegt, diese liegt derzeit beim Bundesgerichtshof. Gegen Mediinvest-Chef Kai Richter ermittelt die Staatsanwaltschaft jahrelang mit teils hohem Aufwand wegen verschiedener Vorwürfe, kann ihm aber nicht einen einzigen davon nachweisen. Ende 2014 muss die Behörde die Ermittlungen gegen Richter ergebnislos einstellen.
Im Mai 2013 starten die Insolvenzverwalter mit Unterstützung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG den Verkaufsprozess für den Nürburgring. Am 11. März 2014 gibt der Gläubigerausschuss der Nürburgring GmbH auf Empfehlung der Insolvenzverwalter und KPMG den Zuschlag an ein Bietergespann aus dem Düsseldorfer Automobilzulieferer Capricorn und der Motorsportfirma Getspeed aus Meuspath am Nürburgring. Das Gespann hatte ein Angebot über 77 Millionen Euro vorgelegt, von denen 15 Millionen Eigenkapitalanteil bis Ende 2014 in drei Raten zu je fünf Millionen Euro zu zahlen sind. 45 Millionen Euro sollen als Fremdkapital von der Deutschen Bank kommen; dieser Anteil ist fällig, sobald ein bestandskräftiger Bescheid der EU-Kommission vorliegt, dass der Verkauf europarechtskonform ablief. Elf Millionen des Kaufpreises sind gestundet und in Raten abzustottern, sechs Millionen werden pauschal als Jahresüberschuss 2014 angerechnet.
Der europarechtskonforme Verkauf ist wegen des Beihilfeverfahrens erforderlich, der Verkauf muss somit transparent und diskriminierungsfrei ablaufen. Nur wenn die europarechtlichen Vorgaben eingehalten werden, gehen die Beihilfen nicht auf den Käufer über. Andernfalls müsste der Käufer für die Beihilferückforderung haften, für diesen Fall ist im Kaufvertrag jedoch ein Rücktrittsrecht zugunsten des Käufers vereinbart. Am 1. Oktober 2014 stellt die EU-Kommission fest, dass rund eine halbe Milliarde Euro an unzulässigen Landesbeihilfen in den Nürburgring geflossen sind. Den Verkauf an Capricorn und Getspeed stuft die Kommission dagegen als europarechtskonform ein. Unterlegene Bieter wie der US-Finanzinvestor H.I.G. Capital oder das amerikanische Technologieunternehmen Nexovation sehen sich dagegen rechtswidrig benachteiligt.
Capricorn kann schon die zweite Eigenkapitalrate über fünf Millionen Euro Ende Juli 2014 nicht zahlen. Capricorn-Chef Robertino Wild muss deshalb im August 2014 alle Ansprüche aus dem Kaufvertrag und im Oktober 2014 auch noch die Geschäftsanteile an der Käufergesellschaft Capricorn Nürburgring Besitzgesellschaft mbH (CNBG) selbst auf einen Treuhänder übertragen. Bis dahin hatte Capricorn zwei Drittel der CNBG-Anteile gehalten, Getspeed ein Drittel. Bei dem eingesetzten, angeblich unabhängigen Treuhänder handelt es sich jedoch um eine Firma, die vier Anwälten der Kanzlei Weil, Gotshal & Manges gehört – just der Kanzlei, die auch die Insolvenzverwalter berät. Der Treuhänder verkauft den zuvor von Capricorn gehaltenen CNBG-Anteil Ende Oktober 2014 an ein Konsortium um den russischen Pharmamagnaten Viktor Charitonin. Dahinter steht laut eigenen Angaben eine Holding aus „internationalen Investoren“, die aber mit Ausnahme von Charitonin bisher nicht bekannt sind.
Nexovation reicht Ende Juni 2015 Klage gegen den Kommissionsbeschluss vom 1. Oktober 2014 beim Europäischen Gericht in Luxemburg ein, Anfang Juli klagt auch Ja zum Nürburgring e.V. Beide Kläger kritisieren unter anderem, dass Capricorn den Zuschlag ohne eine gesicherte Finanzierung bekam – obwohl die Finanzierungssicherheit zentrales Auswahlkriterium war. Nicht nur die Eigenkapitalraten fielen früh aus, auch die vermeintliche Zusage der Deutschen Bank für die Fremdkapitalrate war völlig unverbindlich und brach kurz nach dem Zuschlag weg. Zudem sei der Verkaufsprozess unzulässig fortgeführt worden. Hinter dem angeblich unabhängigen Treuhänder standen nämlich Anwälte der Kanzlei, die die Insolvenzverwalter beriet. Der Verkäufer habe somit die Kontrolle über die Vermögenswerte zurückgeholt und diese unter der Hand weiterverkauft. Das Europäische Gericht ist die Vorinstanz des Europäischen Gerichtshofs. So lange keine Entscheidung vorliegt, ist der vorgesehene Käufer zunächst nur Pächter.
Nun zittern die Handwerker, ob sie ihre offenen Rechnungen jemals annähernd beglichen bekommen. Denn die Landesregierung fordert vehement, dass ihre Forderungen im selben Rang wie die der anderen Gläubiger eingestuft werden. Da das Land mit großem Abstand der größte Gläubiger ist, würde für die kleineren Gläubiger somit kaum noch etwas übrig bleiben. Dann nämlich bekäme jeder Gläubiger einen Teil der Insolvenzmasse entsprechend der Quote seiner Forderungen zu den Gesamtforderungen – das Land mit den größten Forderungen also den Löwenanteil. Sollten die Forderungen des Landes dagegen nachrangig sein, würden die anderen Gläubiger zuerst bedient und das Land bekäme den Rest, der danach noch übrig bleibt.
Lange Liste von Brennpunkten
Insolvenz-Sachwalter Jens Lieser aus Koblenz, der 2012 gemeinsam mit Sanierungsgeschäftsführer Thomas Schmidt aus Trier die Verantwortung übernommen hat, weist das Ansinnen der Regierung zurück. Er hat die im höchstmöglichen Rang angemeldeten Forderungen des Landes von insgesamt 612,6 Millionen Euro größtenteils bestritten und weitgehend nur nachrangige Forderungen festgestellt.
Lediglich 22,5 Millionen Euro hat er im höheren Rang anerkannt. Es gebe noch keine „abschließende Entscheidung“ über den Rang der Landesforderungen, sagt ein Sprecher der Insolvenzverwalter auf Nachfrage, der Sachverhalt sei teilweise strittig, man befinde sich „in Gesprächen“.
Wie dieser Streit ausgeht, ist offen, Vertreter der Landesregierung haben schon eine Klage gegen die Verwalter ins Spiel gebracht. Die Regierung sieht sich aus beihilferechtlichen Gründen verpflichtet, die Forderungen im höchsten Rang durchzusetzen. Doch das ist längst nicht der einzige Brennpunkt am Nürburgring. Unterlegene Bieter klagen gegen die EU-Kommission, die den vemurksten Verkaufsprozess der Insolvenzverwalter als europarechtskonform abgesegnet hat. Die unterlegenen Bieter sehen dagegen gravierende Verstöße gegen Europarecht. Der Verkauf muss im Einklang mit dem Europarecht erfolgen, weil die Kommission rechtswidrige Beihilfen des Landes für den Nürburgring in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro festgestellt hat.