Reedereien in der Coronakrise „Wesentliche Teile der deutschen Handelsflotte sind in ihrer Existenz gefährdet“

Der Reederverband schlägt Alarm und befürchtet, dass große Teile der deutschen Handelsflotte in Gefahr sind. Quelle: dpa

Die Coronakrise trifft Deutschlands Reeder besonders hart. Reederverband-Chef Ralf Nagel fordert Hilfen des Staates. Ein Gespräch über Steuergeschenke, Kostendruck – und die Notwendigkeit einer deutschen Handelsflotte.

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Ralf Nagel braucht zum Hamburger Rathaus nur ein paar Hundert Meter zu gehen. Sein Arbeitsplatz ist ein hanseatisches Kontorhaus, fünfter Stock, die Geschäftsstelle des Bundesverbands Deutscher Reeder. Nagel führt seit zehn Jahren die Geschäfte, ist zugleich Mitglied des Präsidiums. Der 61-Jährige hat einst seinen Wehrdienst bei der Marine geleistet, wollte Admiral werden, studierte dann aber doch lieber Politik, trat in die SPD ein und machte Politik-Karriere. In Bremen war er mal Hafen-Senator, bevor er zum Reederverband kam. Nagel wurde geholt, weil die Branche einen Erklärer brauchte, der manchmal auch ein Lautsprecher sein kann. Beides kann er. Nagel empfängt in einem Konferenzraum, in dem ein Globus steht.

WirtschaftsWoche: Herr Nagel, unter welchen Bedingungen kann die deutsche Seeschifffahrt in Corona-Zeiten überhaupt arbeiten?
Ralf Nagel: Generell gilt: mit Ausnahme von Fähr- und Kreuzschifffahrt, deren Betrieb teilweise völlig lahmgelegt wurde, sind die meisten Schiffe in den vergangenen Wochen und Monaten im Einsatz gewesen – und haben unter anderem die Versorgung in Deutschland gesichert, etwa mit Lebensmitteln, Medikamenten oder Schutzkleidung. Die Schifffahrt war neben mit dem LKW und der Bahn die wichtigste Säule der Versorgung in Zeiten des Lockdowns. 

Was sind die finanziellen Folgen der Pandemie für die Branche?
Die Folgen der Pandemie treffen die deutsche Handelsschifffahrt immer stärker – das zeigen auch die Ergebnisse einer Umfrage unter unseren Mitgliedern: nach Kreuz- und Fährschifffahrt werden mittlerweile werden fast alle Bereiche der Branche hart erfasst. So gingen die Umsätze der Unternehmen im März und April im Schnitt um 30 bis 40 Prozent zurück. 44 Prozent registrieren bereits jetzt eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Liquidität. Deutsche Reeder spüren zudem schon, dass Charterraten für Schiffe um bis zu 40 Prozent sinken. Die Zahl der Auflieger, allein von Containerschiffen, die ohne Beschäftigung sind, ist schon jetzt mit weit über 500 weltweit auf dem höchsten Niveau aller Zeiten. Dies betrifft insbesondere deutsche Reedereien, die als Vercharterer dieser Tonnage besonders präsent sind.

In welchem Umfang machen Deutschlands Schifffahrts-Unternehmen von Kurzarbeit, Soforthilfe und KfW-Krediten Gebrauch?
Mehr als die Hälfte hat unserer Umfrage zufolge Kurzarbeit beantragt oder plant dies, sehr viele haben auch Bedarf für Bankkredite oder Mittel aus den KfW-Sonderprogrammen – für viele zähe und langwierige Prozesse: Bislang weigern sich Banken oftmals, Förderanträge an die KfW weiterzuleiten, obwohl sie nur ein kleines Restrisiko zu tragen hätten und selbst mit viel Steuergeld unterstützt worden sind – ein unhaltbarer Zustand. Für uns ist klar: kurzfristig brauchen deutsche Reedereien wie andere Dienstleistungsbranchen ungehinderten Zugang zu den KfW-Hilfsmaßnahmen. Entscheidend ist für die zumeist mittelständischen Betriebe jetzt der Zugang zu Liquidität.

Ralf Nagel, 61, ist Reederverbandchef. Quelle: dpa

Welche Hilfen benötigt die Branche jetzt vom Staat?
Angesichts des prognostizierten eklatanten Einbruchs des Welthandels ist mit einer weiteren Verschärfung der Marktlage zu rechnen. Neben Zugang zu KfW-Hilfsmaßnahmen müssen deshalb zur mittelfristigen Überwindung der Krise steuerliche Mehrbelastungen deutscher Schifffahrtsunternehmen im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz auch innerhalb der EU dringend vermieden werden – zum Beispiel die 19-prozentige Versicherungssteuer auf Schiffsversicherungen. Unser Standort ist sonst nicht mehr wettbewerbsfähig. Und: wir brauchen auch Klarheit, ob die bewährten Instrumente der Schifffahrtsförderung für Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung von Seeleuten am deutschen Standort erhalten bleiben.

Die deutsche Schifffahrt kann sich schon jetzt jedes Jahr über Subventionen über 100 Millionen Euro freuen. Das Geld fließt, damit es deutsche Seeleute gibt. Reeder müssen zum Beispiel die Lohnsteuer für ihre deutschen Seeleute nicht abführen. Die Zahlen sind aber ernüchternd: Es gibt um die 6000 deutsche Seeleute, die Zahl ist rückläufig. Können Sie Kritik an den Subventionen verstehen?
Subventionen sind grundsätzlich nie unkritisch. Aber selbst die sehr subventionskritische EU-Kommission hält es für erforderlich, dass die Mitgliedsstaaten die Beschäftigung europäischer Seeleute an Bord europäischer Schiffe unterstützen, damit der Standort etwa gegenüber Asien wettbewerbsfähig bleibt. Die Unterstützung hilft der Beschäftigung deutscher Seeleute, aber verbessert die wirtschaftliche Lage der Unternehmen nicht. Andere EU-Nationen fördern ihre Schifffahrt noch mehr. Die Dänen etwa erheben keine Registergebühren – in Deutschland sind sie erhöht worden. Die Niederländer haben ein Förderprogramm für die Küstenschifffahrt bekommen, ganz zu schweigen von außereuropäischen Nationen. Wir beklagen uns keineswegs. Aber der Kostenwettbewerb steigt. Wir versuchen, in Deutschland auf ein vergleichbares Niveau zu kommen. Man muss es leider so deutlich sagen: wesentliche Teile der deutschen Handelsflotte sind absehbar in ihrer Existenz gefährdet. Nach der Finanzkrise 2008/2009 hatten wir 1.500 Handelsschiffe ins Ausland verloren, das war ein Drittel der deutschen Flotte. Wenn sich Produktion und Konsum jetzt weltweit nicht rasch erholen, könnten die Folgen der Pandemie weitaus härter als die Finanzkrise sein. Wenn wir dann noch ein weiteres Drittel der Flotte aus Deutschland verlieren würden, wären zehntausende Arbeitsplätze am Standort gefährdet. Und dann werden die Unternehmen durch gute Erträge auch nicht mehr so viel in Deutschland investieren wie bisher, so dass stets zumindest ein Teil der Subventionen zurückfloss.

Kann der Standort Deutschland in diesem internationalen Förderungs-Wettrüsten überhaupt bestehen?
Ja, wenn wir der Schifffahrt einen höheren Stellenwert einräumen. Deutschland ist immerhin die fünftgrößte Schifffahrtsnation der Welt. Aber wir sind leider eine zu unsichtbare Branche, die Schiffe meist weit draußen auf See unterwegs.

von Nele Husmann, Rüdiger Kiani-Kreß

Was würde denn drohen, wenn die Subventionen wegfallen?
Es herrscht ein brutaler Kostendruck – Corona wird das noch verstärken. Vor der Finanzkrise konnten Charter-Reeder, und das sind die meisten in Deutschland, mit einem Schiff im Durchschnitt mit bis zu 50.000 Dollar Erlös pro Tag rechnen. Heute sind es 15.000 Dollar. Das ist ungefähr so viel wie vor der Boomzeit, also vor 1999. Aber zu den Kosten von heute. Es ist zu befürchten, dass bei einem Wegfall der Subventionen die Schifffahrt vom Standort Deutschland aus nicht mehr wettbewerbsfähig werden würde. Das könnte gravierende Folgen haben: Viele unserer Reedereien müssten ihr Geschäft dann von Dänemark, den Niederlanden, Zypern aus betreiben. Das Management, die Verwaltung, würde abwandern. Deutschland würde sein seemännisches Knowhow noch weiter verlieren. Wir müssen sicherstellen, dass wir ausreichen maritimes Knowhow am Standort haben. Wir brauchen Leute, die nicht nur theoretisch wissen, dass es Schiffe gibt. 

Warum eigentlich?
Deutschland ist eine Schifffahrtsnation – und eine Handelsnation. Wir brauchen Seehandel, freie Seewege, Schifffahrtsunternehmen am Standort. Wollen wir abhängig sein, dass die Seeschifffahrt künftig von anderen, etwa von den Chinesen, bestimmt wird – nicht nur, was die Preise betrifft, sondern auch die Regeln, etwa beim Klimaschutz? Wollen wir die Versorgung des Exportweltmeisters Deutschland immer stärker abhängig von staatlich beeinflussten Schifffahrtsunternehmen außerhalb Deutschlands machen? Es geht aber auch um Extrem-Situationen, wie einen Spannung- oder Verteidigungsfall. Oder eben eine Pandemie. Wenn Deutschland dann Transportkapazitäten braucht, dann könnte die Regierung nur auf Schiffe zugreifen, die im deutschen Register stehen. Es ist also nicht zuletzt aus sicherheitspolitischen Gründen klug, wenn wir eigene Schiffe haben. Corona lehrt uns doch, Abhängigkeiten jedenfalls nicht weiter zu erhöhen.

Sind Ihnen denn Fälle aus Deutschland oder dem Ausland bekannt, in dem der Staat auf nationale Schiffe zugegriffen hat?
Das passiert sicher nicht oft, aber die USA etwa haben das in der Vergangenheit mehrfach gemacht.

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