Santiago de Chile Deutscher Tänzer auf den Spuren seines Lehrers

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In der U-Bahn von Santiago de Quelle: dpa

1985 trennten sich die Wege. Hilbert ging nach dem Examen an die Komische Oper Berlin. Bunster durfte wieder in Chile einreisen und gründete mit Joan Jara eine Tanzschule. Die Heimat fand er verändert vor. Seine erste Choreographie nach der Rückkehr - „Aurora“ mit Musik von Reinhard Lakomy - vermittelt nicht von ungefähr Melancholie. Unweit der Schule lebte er spartanisch. „Wenn ihm seine Tochter nicht die eine oder andere Sache in die Wohnung gestellt hätte, wären die Räume wohl ziemlich leer gewesen“, erzählt Raymond Hilbert.

Der Sachse tanzte derweil als Solist von Erfolg zu Erfolg - bis zum Ende der Karriere 2000. „Ich hatte schon vorher den Drang, noch etwas anderes zu machen, nicht nur immer etwas nachzumachen.“ Das wurde für ihn zum Motiv, künftig als Lehrer zu arbeiten. Anfangs gab er an der Palucca Schule auf Honorarbasis Unterricht. Später wurde er dort ordentlicher Professor. „Da hatte ich eigentlich für den Rest meines Lebens ausgesorgt.“ Dennoch schrieb er eines Tages seinem alten Lehrer und folgte ihm schließlich in den Süden. „Hier in Santiago kann ich mich weiterentwickeln. Es war das Beste, was ich in meinem Leben gemacht habe“, sagt Hilbert. Tochter Millantu ist jetzt eineinhalb Jahre alt, seine Partnerin Constanza arbeitet auch an der Universidad Academia de Humanismo Cristiano. Sie ist inzwischen Träger der Tanzschule mit derzeit 200 Studenten.

Die Einrichtung gilt als populärste ihrer Art in Santiago und bildet in Tanzpädagogik, Choreographie und Bühnentanz aus. Im Schnitt gibt es jährlich 120 Bewerber, 40 werden aufgenommen. Hilbert arbeitet als Professor für modernen Tanz. Nebenbei tanzt und probt er mit dem Ensemble Espiral. Es setzt sich aus Absolventen und Aktiven der Schule zusammen. Die Leute werden nicht bezahlt und verdienen sich den Lebensunterhalt als Kellner oder mit anderen Jobs. Hilbert denkt nun an neue Zeiten: „Wir haben jetzt drei Jahre Stücke von Bunster gemacht. Es geht darum, das Vermächtnis weiterzutragen. Wir möchten aber auch Handschriften von Schülern vorstellen.“ Den Austausch mit Deutschland hält er für eine große Chance. Schließlich werde in Chile deutsche Tanztradition mit Namen wie Rudolf von Laban, Leeder und Jooss gepflegt. Auch der erste Chef des chilenischen Nationalballetts war ein Deutscher: Ernst Uthoff. „Wir vermitteln deutsches Erbe“, sagt Hilbert.

Bemühungen, die Botschaft oder Lehranstalten wie die Palucca Schule für Projekte zu erwärmen, scheiterten bislang an Bürokratie oder unterschiedlichem Interesse. Wer in Santiago landet, kommt ohne offizielles Austauschprogramm. Dabei verspricht Hilbert den jungen Tänzern in Chile besondere Lehrstunden. „Die kommen schnell auf den Boden zurück, wenn sie unsere Bedingungen sehen.“ Im Winter sind die Säle mangels Geld nur unzureichend geheizt. „Da frieren sich die Tänzer die Knochen ab.“ An Barfuß-Tanzen „auf Eis“ erinnert sich auch die 24-jährige Johanna Schlösser aus Berlin noch gut. „Für uns war die Kälte ungewöhnlich. Wenn man sich auf den Boden legte, fror man praktisch an.“

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