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Schienennetz Chaos bei der Deutschen Bahn

Fahrgäste im Personenverkehr kennen das: Baustellen führen zu Umleitungen führen zu Verspätungen. Nun rechnen die Güterbahnen mit dem Management des Schienennetzes ab: Bei DB Netz geht es offenbar drunter und drüber.

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Eigentlich hatte die Deutsche Bahn Besserung gelobt. Sie wolle „kapazitätsschonender“ bauen, ließ der Staatskonzern per Pressemitteilung Mitte Februar dieses Jahres mitteilen. Und Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla ergänzte stolz: „Wir wollen bei gleichbleibend intensivem Baugeschehen ein Drittel mehr Züge fahren, als dies heute möglich ist.“ Es ist die Story, die man eben erzählt, wenn man weiß, dass immer mehr Baustellen immer größere Verspätungen auf der Schiene mit sich bringen.

Doch inzwischen dürfte Ernüchterung eingekehrt sein. Denn die Situation bei der Schienennetztochter der Deutschen Bahn, die Pofalla in seinem Vorstandsbereich verantwortet, ist offenbar viel chaotischer als bislang angenommen. Eine Umfrage zur „Situation des Baustellenmanagements der DB Netz AG“ bei den im Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) organisierten Güterbahnunternehmen, die ein paar Wochen nach der vollmundigen Pressemitteilung der Bahn erschienen ist, zeichnet jedenfalls ein erbärmliches Bild vom Zustand der Sparte. Laut NEE zeigten die Ergebnisse beim Baustellenmanagement „eine Stagnation mit negativem Trend“. Eine Entwicklung hin zu kapazitätsschonenden Bauen, wie vom Konzern nicht erst seit Februar dieses Jahres angekündigt, sei „nicht erkennbar“.

Die Umfrage wurde durchgeführt, um den Status quo beim Bauen auf der Schiene zu erfassen. Seit rund anderthalb Jahren treffen sich Vertreter von Bund, Deutschen Bahn und Wettbewerbern zu einem Runden Tisch, um zu besprechen, wie die Prozesse auf der Schiene optimiert werden können. Kritik an der schlechten Umsetzung von Baustellen, die zwar notwendig sind, aber möglichst wenige Verspätungen verursachen sollen, hat es schon immer gegeben. Doch nun scheint der Höhepunkt der Frustration erreicht.

140.000 Zugausfälle – Warum die Pünktlichkeits-Statistik der Bahn das ignoriert

Ausgerechnet jetzt. Denn noch nie zuvor hat die Deutsche Bahn so viele Gleise, Weichen und Brücken auf einmal erneuert wie zurzeit. Der Schienenverkehr wächst seit Jahren sowohl im Personen- als auch im Gütertransport. Der Bund hat daher weitere Milliarden locker gemacht, um das Netz in Schuss zu halten. Bund und Bahn investieren mehr als neun Milliarden Euro allein in 2018.

Doch der Ärger bei den Güterbahnen über die schlechten Leistungen bei DB Netz und fehlendes Gespür für die Bedürfnisse der Unternehmenskunden ist frappierend. Erschüttert äußerten sich Güterbahnchefs beispielsweise über die katastrophalen Prozesse bei der Deutsche-Bahn-Tochter. DB-Mitarbeiter würden „widersprüchliche Fahrpläne herausgeben“, da die Auswirkungen von zwei Baustellen netzintern „nicht abgestimmt wurden“. Immer wieder gebe es „sinnlose Umleitungsanordnungen“. So würden etwa Güterzüge mit Elektroantrieb über Strecken ohne Oberleitung umgeleitet. „Teilweise finden keine Absprachen mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen statt“ , heißt es weiter.

Die Analyse steht im starken Widerspruch zu dem, wie die Deutsche Bahn selbst die Lage einschätzt. „Mit dem bei DB Netz eingerichteten 'Lagezentrum Bau' haben wir es geschafft, die Auswirkungen auf die Bahnkunden deutlich zu verringern“, lobte Bahn-Vorstand Pofalla das eigene Management. „So konnten wir 2017 die durch Baustellen verursachten Verspätungen  gegenüber 2016 um 10 Prozent reduzieren.“ Doch die Ergebnisse der NEE-Umfrage, die der WirtschaftsWoche vorliegen, lesen sich ganz anders.

Zwar habe die Deutsche Bahn inzwischen mehr Personal im Schienennetz eingestellt, um Auftragsspitzen abzufedern. Doch qualitativ herrscht weiter Misstrauen. „Es werden immer noch die gleichen Fehler gemacht“, heißt es in dem Ergebnisbericht des NEE. „Die Anzahl (der Mitarbeiter) mag ausreichend sein, die Qualität mit Sicherheit nicht.“ Es fehle den Fachkollegen „am Grundverständnis für Bauverfahren und die dadurch entstehenden Auswirkungen“ auf Güterbahnen. Und bei der Personalplanung herrscht offenbar völlige Planlosigkeit: „Sehr häufig sind auch Mitarbeiter im Urlaub, gleichzeitig auch der in der Abwesenheitsnotiz angegebene Vertreter.“

Das Problem der Güterbahnen ist auch ein Problem der Fahrgäste im Personenverkehr. Denn für die Nahverkehrsunternehmen gelten im Prinzip die gleichen Bedingungen auf der Schiene, wenn Baustellen zu Fahrplanänderungen und Vollsperrungen führen. Außerdem dürften Güterbahnen, die wegen des Plan-Chaos bei DB Netz verspätet unterwegs sind, indirekt auch andere Züge etwa im Nah- und Fernverkehr durcheinander bringen. Gerade erst musste die Fernverkehrstochter der Deutschen Bahn mitteilen, dass ihre Pünktlichkeit beim ICE- und Intercity-Verkehr erneut abgeschmiert ist - dieses Mal auf 75 Prozent. Eigentlich soll die Quote bei mehr als 80 Prozent liegen.

Auf die Frage, ob „ein Trend zu kapazitätsschonendem Bauen (Verzicht auf Vollsperrungen) erkennbar“ sei, heißt es im dem Umfrageergebnis: „Nein, es wird immer restriktiver gebaut.“ So sei die Strecke von Hannover nach Bremen zehn Wochen lang gesperrt gewesen. 70 Prozent der Züge hätten Umwege von 120 Kilometern in Kauf nehmen müssen.

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