Schiffsbauer Imabari Wieso der Reeder der „Fremantle Highway“ mit einem blauen Auge davonkommen dürfte

Der durch ein Großfeuer havarierter Autotransporter „Fremantle Highway“ erreicht den niederländischen Hafen Eemshaven. Quelle: imago images

Der havarierte Autofrachter in der Nordsee ist mittlerweile gesichert. Mit diesem Vorfall kehrt ein japanischer Reeder und Schiffsbauer in die Schlagzeilen zurück. Sein spezielles Geschäftsmodell ist nicht ohne Risiko.

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Über eine Woche lang mussten die westfriesischen Inseln in den Niederlanden und die ostfriesischen Inseln in Deutschland eine Ölpest befürchten. Wäre der 200 Meter lange Autofrachter „Fremantle Highway“ durch den Großbrand zerbrochen oder untergegangen, dann hätten seine 200 Tonnen Marinediesel an Treibstoff sowie 1600 Tonnen Schweröl erheblichen ökologischen und wirtschaftlichen Schaden anrichten können. Doch der Bergungsfirma Boskalis und den Behörden in den Niederlanden gelang es nun, die „Fremantle“ in den Hafen Eemshaven nahe der deutschen Grenze zu schleppen und dort an einem Kai festzumachen.

Die Feuerwehr wird nun prüfen, ob noch Brandnester an Bord schwelen. Diesel und Öl werden abgepumpt. Boskalis wird untersuchen, ob sich die Schiffsklappe öffnen lässt. Dann ließen sich die 3783 Neuwagen leichter von Bord holen. Nach einer ersten Inspektion auf See schätzt das Bergungsunternehmen, dass noch 800 Autos intakt sind. Für die Entladung und Demontage des Frachters ist dann die japanische Reederei Shoei Kisen verantwortlich. Dieser Name sollte aufhorchen lassen: Die Japaner hatten den Containerfrachter „Ever Given“, der den Suez-Kanal im März 2021 sechs Tage lang blockierte, an den taiwanesischen Containerschiffer Evergreen Line verchartert. Die „Fremantle Highway“ betreibt man jedoch selbst.

Shoei Kisen ist eine Tochtergesellschaft der Imabari Shipbuilding Group, die in großem Stil ein recht seltenes Geschäftsmodell in der Branche verfolgt. Das 122 Jahre alte Familienunternehmen mit Sitz auf der Hauptinsel Shikoku ist nämlich nicht nur der mit zehn Werften größte Schiffsbauer von Japan und die Nummer vier weltweit – am Wassergraben der Burg von Imabari steht deshalb eine Statue von Toshiyuki Higaki, dem Vater des heutigen Präsidenten und trotz seiner 94 Jahre derzeit Chairman der Gruppe.

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von Thomas Kuhn

Das riskante Geschäftsmodell der japanischen Schiffsgruppe

Vor allem verchartert die Gruppe ihre maßgeschneiderten Schiffe auch an eigene Kunden oder tritt selbst als Seefrachtschiffer auf. Darin liegt die Stärke des Unternehmens. Bei einer Flaute im Schiffsbau bestellt die Tochter Shoei Kisen, die nur 41 Mitarbeiter hat, selbst Schiffe bei Imabari und füllt damit die Auftragsbücher der Muttergesellschaft. Lassen sich nicht alle Schiffe verchartern, tritt Shoei wiederum selbst als Betreiber auf. Durch dieses gemischte Geschäftsmodell gehe die Schiffsgruppe „verschiedene operative Risiken“ ein, räumte Imabari-Geschäftsführer Yukito Higaki im Zuge der „Ever Given“-Blockade ein. Konkret nannte er aber nur „Umweltverschmutzung“.

Seine Aussage dürfte ebenfalls auf die jüngste Havarie zutreffen, auch wenn Higaki sich dazu öffentlich bisher nicht äußerte. Man beließ es bei kurzen Pressemitteilungen, die inzwischen wieder gelöscht wurden. Für Verschwörungstheoretiker ist die Tatsache, dass sowohl die „Ever Given“ als auch die „Fremantle Highway“ vom selben Unternehmen gebaut wurden und sich in seinem Besitz befinden, ein gefundenes Fressen. Aber angesichts der Größe von Imabari überrascht es statistisch gesehen eher nicht, dass im Abstand von zwei Jahren jeweils eins ihrer über 150 Charterschiffe in einen spektakulären Unfall mit hohen Sach- und Folgeschäden verwickelt war.

Bisher fehlen jedenfalls Hinweise auf ein Fehlverhalten der Japaner – sowohl am Suezkanal als auch in der Nordsee. Die Blockade in Ägypten ging wohl auf starken Wind, Fehler der ägyptischen Lotsen und fehlende Begleitschlepper zurück. Über die Brandursache auf der Autofähre, die einem schwimmenden Parkhaus mit elf Etagen gleicht, wird noch spekuliert. Möglicherweise haben sich Lithium-Akkus von einem der 498 Elektroautos an Bord selbst entzündet. Die Akkus gelten als feuergefährlich.

Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation will daher 2024 neue Sicherheitsstandards für den Transport von Elektroautos einführen. Die Richtlinien könnten unter anderem vorschreiben, wie voll eine Batterie aufgeladen werden darf. Neue Chemikalien zum Löschen von Bränden, spezielle Feuerlöschdecken, größere Abstände zwischen Elektrofahrzeugen und andere Maßnahmen werden ebenso diskutiert. Bislang kann also nicht von japanischen Versäumnissen beim Brandschutz gesprochen werden.

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Die Imabari-Gruppe hält ihr Geschäftsmodell, die Transportschiffe gleichzeitig zu bauen, zu verchartern und zu betreiben, in erster Linie durch, weil das Versicherungssystem der Schiffsbranche die Risiken letztlich minimiert. So hatte die hohe Entschädigungszahlung an Ägypten wegen der Blockade der wichtigen Schifffahrtsroute durch die „Ever Given“ laut Firmenchef Higaki „keine größeren Auswirkungen“ auf die Gewinne. Details blieben im Dunkeln, da das Familienunternehmen nur wenige Kennzahlen veröffentlicht. Für den Schiffsbau selbst berichteten die Japaner zuletzt einen Jahresumsatz von 2,4 Milliarden Euro und einen Reingewinn von 40 Millionen Euro.

Auch den Umfang der finanziellen Einigung für die Suezkanal-Blockade hat Imabari nicht bekanntgemacht. Aber Shoei Kisen hatte gemäß der Finanzzeitung Nikkei 150 Millionen Dollar angeboten und die Suezkanalbehörde 550 Millionen Dollar gefordert. Versicherungen deckten nach Angaben von Imabari die Entschädigungszahlung „bis zu einem gewissen Grad“ ab, eine typisch japanisch verschleiernde Formulierung.

Durch das Chartersystem brauchen die Betreiber der Frachtschiffe die mit dem Eigentum verbundenen Risiken nicht selbst zu tragen. „Dabei handelt es sich um eine der Innovationen des modernen Finanzsystems: die Entkopplung des Betriebsrisikos vom Vermögensrisiko“, erklärt der Rechtsanwalt und Unternehmensberater Stephen Givens in Tokio. „Die gleiche Technik ermöglicht es Apple, iPads und iPhones herzustellen, ohne eine einzige Fabrik zu besitzen, und Marriott, Hotels zu betreiben und zu verwalten, ohne eine einzige Hotelimmobilie zu besitzen.“

Eigentümer wie Imabari wiederum sichern ihr Risiko häufig ab, indem sie einen Kredit mit begrenztem Rückgriffsrecht auf ihr Schiff aufnehmen. Das Darlehen wird verbrieft und auf dem Sekundärmarkt verkauft, was das Risiko weiter streut. Dazu kommen eine obligatorische Kasko- sowie eine Frachtversicherung. Deren Risiken werden an Rückversicherer übertragen. Außerdem sind große Eigentümer wie Imabari bei einem P&I Club versichert. Ein solcher Verein auf Gegenseitigkeit offeriert Versicherungen für seine Mitgliedsfirmen, die sich aus Schiffseignern, Betreibern, Charterern und Seeleuten zusammensetzen. Die Protection-and-Indemnity-Police sichert Schiffseigner und -betreiber gegen Haftpflichtansprüche von dritter Seite ab, die nicht durch die Kaskopolicen gedeckt sind.

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Das heißt: Im Fall der „Fremantle Highway“ wird weniger der japanische Eigner und Betreiber, sondern es werden wohl vor allem die Versicherungen bluten. Die Summe dürfte nicht unbeträchtlich sein: Ein Analyst schätzte den Brandschaden an der Ladung und am Schiff selbst auf mindestens 330 Millionen Dollar.

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