Steigende Krankenkassenbeiträge Deshalb knacken fast alle großen Krankenkassen die 16-Prozent-Marke

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht die Beitragserhöhungen als notwendig an. Quelle: imago images

Für die meisten gesetzlich Krankenversicherten wird es zum 1. Januar 2023 teurer. Das ist angesichts der guten Lage am Arbeitsmarkt ungewöhnlich. Aber Entscheidungen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) werden die Kosten noch nach oben treiben.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Früher galt mal die Maßgabe für jede Bundesregierung: Die Lohnnebenkosten sollen unbedingt unter 40 Prozent der Löhne bleiben. Nur wenn Krankenversicherung, Pflegekasse, Renten- und Arbeitslosenversicherung zusammen unter der Marke lägen, bleibe es attraktiv, Menschen zu beschäftigen und neu Leute einzustellen.

Von dieser Faustregel will die Ampelregierung nicht mehr viel wissen. Vor allem wegen der stark steigenden Kosten im Gesundheitswesen gehen dort die Beiträge nach oben. Das ist ungewöhnlich, weil die Lage am Arbeitsmarkt trotz aller Krisen gut ist – und die Einnahmen der Sozialkassen entsprechend hoch.

Immerhin gut 73 Millionen Menschen und damit rund 90 Prozent der Bevölkerung sind gesetzlich krankenversichert. Davon sind gut 50 Millionen Mitglieder der 97 Kassen – sie zahlen Beiträge und sind nicht mittelbar als Kinder oder nicht berufstätige Familienangehörige versichert.

Die Beiträge 2023 dürften im Vergleich zu diesem Jahr um durchschnittlich bis zu 120 Euro im Jahr klettern. Dieser Anstieg kommt zustande, legt man einen Jahreslohn von 59.850 Euro und das durchschnittliche Plus von 0,2 Punkte beim Beitrag zugrunde. Bis zu dieser Summe (der Beitragsbemessungsgrenze) müssen Angestellte den Beitragssatz zur Kasse abführen.

Die gesetzlichen Krankenkassen erhöhen die Zusatzbeiträge. Für Gutverdiener wird die private Krankenversicherung wieder attraktiver. Sechs Schritte, mit denen Sie prüfen, ob sich ein Wechsel lohnt.
von Martin Gerth

Von den zehn größten Kassen bleibt nur Marktführer Techniker Krankenkasse (TK) mit gleichbleibend 15,8 Prozent vom Lohn unter der Marke. Die zweitgrößte Krankenversicherung Barmer bleibt bei 16,1 Prozent stabil, bei der drittgrößten Kasse DAK Gesundheit geht es bis 16,3 Prozent nach oben. Es folgen sechs der regional ausgerichteten Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK). Die AOKen insgesamt versichern immerhin mehr als 27 Millionen Menschen im Land. Fast alle erhöhen ihre Beiträge und ohne Ausnahme alle landen inzwischen bei mehr als 16 Prozent Beitragssatz. Das gilt auch für die Ost-Assekuranz AOK Plus, die in Sachsen und Thüringen versichert und die Beiträge von 15,8 auf 16,1 Prozent erhöht. Die kleinere AOK Sachsen-Anhalt geht von 15,4 auf 15,6 Prozent. Die beiden sehr großen Ortskassen AOK Rheinland-Hamburg und AOK Nordwest landen sogar bei 16,4 beziehungsweise 16,49 Prozent. Auch die siebtgrößte Kasse in Deutschland, die IKK Classic, bei der sich viele im Handwerk versichern, hebt von 15,8 auf 16,2 Prozent an.

Die günstigste unter den bundesweit zugänglichen gesetzlichen Versicherungen bleibt die kleine Ersatzkasse hkk, die von 15,29 auf 15,58 Prozent steigt.

Beitragserhöhung: Wie erfahren Versicherte davon?

All diesen Erhöhungen gemein ist, dass die betroffenen Unternehmen keinen Eifer zeigen, die Veränderung ihren Mitgliedern zu vermitteln. Bei Beitragserhöhungen greift ein Sonderkündigungsrecht und wechselwillig zeigen sich regelmäßig eher die besser Verdienenden unter den Versicherten und solche, die geringere Kosten verursachen.

Anders als früher müssen Kassen zwar noch über Beitragsänderungen informieren. Sie müssen das aber bis Ende Juni 2023 nicht mehr schriftlich per Brief tun. Das steht im Finanzstabilisierungsgesetz, das von der Ampelregierung auf den Weg gebracht wurde. Offiziell geht es ums Sparen beim Porto. Fraglich ist aber, ob alle Betroffenen aufmerksam gemacht werden, wenn sie nur auf der Webseite oder in der Mitgliederzeitschrift Hinweise finden.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte im Herbst davon gesprochen, dass die absehbaren Einnahmen und Ausgaben eine Erhöhung des durchschnittlichen Beitragssatzes von 15,9 in diesem Jahr auf 16,2 Prozent im Jahr 2023 notwendig machen dürften. Erhöhungen sind immer noch im Laufe des Jahres möglich.

Der Beitrag setzt sich formal aus einem einheitlichen Beitrag von 14,6 Prozent aller Kassen und einem durchschnittlichen Zusatzbeitrag zusammen. Dieser Zusatzbeitrag wird jährlich aufgrund der Kassenlage prognostiziert. Die Versicherungen entscheiden aber selbst, mit welchen Einnahmen und Beiträgen sie auskommen.

Die Kassen hatten für 2023 ein Rekorddefizit von insgesamt 17 Milliarden Euro erwartet. Ein Beitragssatzpunkt macht ungefähr Einnahmen von 16 Milliarden aus. Dieses Defizit 2023 wurde durch Einmalschritte, ein Abschmelzen der Reserven und einen Steuerzuschuss zu einem Großteil, aber nur kurzfristig, gestopft.

Von Erbschaft bis Schenkung Geldübertragung in der Familie: Melden Banken das dem Finanzamt?

Unser Leser möchte wissen, ob Banken den Übertrag von Geld oder auch Depotwerten in der Familie dem Finanzamt melden und welche Folgen dies hat.

Energieparkbetreiber Was die Übernahme von Encavis für Anleger bedeutet

Der Finanzinvestor KKR will den grünen Energieparkbetreiber Encavis übernehmen. Aktionäre können für ihre Aktien mit einem Aufschlag von 50 Prozent rechnen. Das könnte ein Signal für die gesamte Branche sein.

Eigenbedarfskündigungen Eigenbedarf wird schwieriger: Wann Vermieter an den Wohnraum kommen

Benötigen Vermieter die eigene Wohnung, führt das schnell zu Streit mit Mietern. Die einen fühlen sich in ihrer Eigentumsfreiheit beschränkt, die anderen sozial bedroht. Welche Regeln gelten?

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Lauterbach hat bereits einige Pläne etwa zum Umbau der Krankenhäuser oder zu einer besseren Versorgung mit Arznei angekündigt, die die Kosten im Gesundheitswesen noch einmal spürbar erhöhen dürften. Eine Erhöhung der Kassenbeiträge fällt häufiger in Zeiten schlechter Beschäftigung, wenn Einnahmen wegen Arbeitslosigkeit geringer ausfallen. Das ist zurzeit nicht der Fall.

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) und ihr GKV-Spitzenverband sind wegen der auseinanderklaffenden Ausgaben und Einnahmen sowie fehlender Langfristlösungen bereits auf Distanz zum Gesundheitsminister gegangen.

GKV-Chefin Doris Pfeiffer sagte nun in einem Interview der Funke-Zeitungen, ihr Verband wisse von mehr als 50 Krankenkassen vor, die zusammen mehr als 85 Prozent der GKV-Mitglieder verträten, und die nun teurer würden. Im Schnitt gehe es nur 0,2 Punkte hoch, etwas weniger als die vom Minister erwarteten 0,3 Punkte. „Im Moment gehen wir davon aus, dass es 2023 reichen wird. Aber das ist eine Rechnung fürs nächste Jahr. In den Jahren danach wird die Lage heikel, wenn nichts passiert.“

Lesen Sie auch: Karl Lauterbachs Schnellschuss

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%