Trotz des Neun-Euro-Tickets sind im vergangenen Jahr weniger Menschen mit Bussen und Bahnen gefahren als im Vorkrisenjahr 2019. Vor allem die Corona-Pandemie und der Trend zum Homeoffice dürften die Fahrgastzahlen gedrückt haben – beide Aspekte spielten 2019 noch keine oder eine eher untergeordnete Rolle. Insgesamt wurden in Bussen und Bahnen im Nah- und Fernverkehr 2022 rund 10,2 Milliarden Fahrgäste gezählt – 14 Prozent weniger als im letzten Vor-Corona-Jahr. Im Vergleich zu 2021 bedeutet die Zahl allerdings einen Anstieg um 29 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte.
2021 war noch deutlich stärker von der Corona-Pandemie geprägt, vor allem im ersten Quartal waren damals verhältnismäßig wenige Menschen im Linienverkehr unterwegs. Das Statistische Bundesamt verwies zudem auf ein geschätztes Bevölkerungswachstum von 1,1 Millionen Menschen auch aufgrund der Zuwanderung aus der Ukraine. Auch das habe die Fahrgastzahlen 2022 beeinflusst.
Das Neun-Euro-Ticket war im vergangenen Jahr in den Monaten Juni, Juli und August verfügbar und sollte die Menschen mit einem sehr geringen Preis in den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) locken. Inwieweit das gelungen ist, lässt sich an den Zahlen des Statistikamtes aufgrund der zahlreichen weiteren Einflussfaktoren nur andeutungsweise ablesen. Es fällt aber auf: Während das dritte Quartal in den Vor-Corona-Jahren stets jenes mit den wenigsten Fahrgästen im Liniennahverkehr war, war es 2022 der Zeitraum mit den meisten Fahrgästen.
Fünf Ideen für die Mobilitätswende
Das Aufreger-Thema „Tempolimit“ wird öffentlich fast ausschließlich mit Bezug auf Autobahnen diskutiert. Geschwindigkeitsbegrenzungen innerorts hingegen bleiben unter dem Radar, obwohl sie starke Fürsprecher haben, vor allem unter den Kommunen. Die im Juli 2021 von den sieben Städten Aachen, Augsburg, Freiburg, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm gegründete Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ ist inzwischen auf über 850 Mitglieder angewachsen. Neben kleineren und mittelgroßen Kommunen haben sich seit Gründung auch mehrere Großstädte wie Düsseldorf, Frankfurt, Köln, Saarbrücken oder Freiburg der Initiative angeschlossen. Die Bürgermeister fordern den Bund auf, rechtliche Rahmenbedingungen für den großflächigen Einsatz von Tempo-30-Zonen zu schaffen. Nach Ansicht der Initiative würde die Leistungsfähigkeit des Verkehrs durch eine großflächige Einführung nicht eingeschränkt, die Aufenthaltsqualität der Bewohner hingegen spürbar gesteigert. Auf einigen Hauptverkehrsstraßen soll den Plänen zufolge weiterhin Tempo 50 möglich bleiben.
(Stand: Juli 2023)
In Städten könnten Fahrräder eine taugliche Alternative zu Auto und ÖPNV sein. Spaß macht das Radeln aber in den wenigsten Citys, allein schon wegen Ängsten um die eigene Sicherheit. Die Unfallforscher der Versicherung (UDV) haben vor diesem Hintergrund mehrere Vorschläge entwickelt, den Radverkehr weniger gefährlich zu machen. Darunter findet sich auch die Idee zur besseren Sicherung von Grundstückseinfahrten. Fast jeder fünfte Unfall zwischen einem Radler und einem Pkw spielt sich an den Zufahrten zu Firmengeländen, Tankstellen, Supermarkt-Parkplätzen und Parkhäusern ab. Fast jeder siebte Unfall mit schwerverletzten oder getöteten Radfahrern passiert an einer solchen Grundstückszufahrt. Je nach Frequenz und Lage könnten die Kommunen für die Zufahrten freie Sichtachsen, das Anbringen von Spiegeln oder sogar die Installation einer Ampel vorschreiben.
(Stand: August 2022)
E-Autoprämie und Dienstwagensteuer fördern vor allem elektrische SUV und Premiumlimousinen mit zwei und mehr Tonnen Gesamtgewicht. Kein Geld hingegen gibt es zumindest aus diesen Töpfen für elektrische Leichtfahrzeuge. Die großen Autohersteller ignorieren die Zulassungsklassen L1e bis L7e mit ihren leichten und langsamen, aber effizienten und ressourcensparenden Stromern fast komplett – mit wenigen Ausnahmen wie dem Opel e-Rocks und dem Renault Twizy. Stattdessen tummelt sich dort eine unüberschaubare Vielzahl kleiner Anbieter mit teils exotisch anmutenden Zwei-, Drei- und Vierrädern. Die Micromobile taugen zum Pendeln, zum Einkaufen, zum Sightseeing oder auch zum Warentransport. Der Bundesverband E-Mobilität (BEM) fordert schon seit langem von den unterschiedlichen Bundesregierungen eine finanzielle Förderung sowie die Erhöhung der meist auf 45 km/h begrenzten Geschwindigkeit auf innenstadttauglichere Werte. Bislang allerdings erfolglos.
(Stand: August 2022)
„Der Verkehr leidet in der Hauptsache daran, dass die Berufspendler zwei Mal am Tag alles verstopfen“, sagt Günter Schuh. Der E-Mobilitätspionier und Hochschul-Professor will das Problem mit seinem frisch gegründeten Shuttle-Dienst e.Volution lösen. Der Dienstleister stellt Unternehmen elektrische Mini-Vans mit sieben Sitzen zur Verfügung, die morgens die Belegschaft einsammeln und ihnen während der Fahrt ins Büro mobile Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Deswegen zahlt der Weg bereits aufs Zeitkonto ein, was die Akzeptanz des gemeinschaftlichen Transports erhöhen soll. Verhandlungen mit Großunternehmen laufen bereits, 2024 sollen die ersten Meta-Mobile auf der Straße sein.
(Stand: August 2022)
Neue U- und Straßenbahnen sind teuer und langwierig im Bau. In manchen Anwendungsfällen könnte die Seilbahn eine Alternative sein. Einer Studie der Beratungsgesellschaft PwC zufolge schneiden sie bei Bau und Betrieb besser ab als die schienengebundenen ÖPNV-Lösungen. Die Kosten für Seilbahnsysteme pro Kilometer betragen den Experten zufolge etwa 10 bis 20 Millionen Euro – und liegen damit auf dem Niveau einer Straßenbahnstrecke. Da kein Betriebshof und keine Signal- und Verkehrsleittechnik erforderlich sind, sind die gesamten Investitionskosten im Verkehrsmittelvergleich gering. Zudem ist die Bauzeit von Seilbahnen mit 12 bis 18 Monaten relativ kurz. Dazu kommen der Studie zufolge wirtschaftliche Vorteile im Unterhalt, unter anderem ist der Energieverbrauch nur halb so hoch wie bei schienengebundenen Verkehrsmitteln. Ob Seilbahnen für eine konkrete Anwendung in einer Stadt geeignet sind, lässt sich laut PwC aber nur für den Einzelfall beantworten. Bei der Planung sei unter anderem mit Widerstand in der Bevölkerung zu rechnen, die eine Beeinträchtigung des Stadtbildes befürchten.
(Stand: August 2022)
Nachfolge-Ticket am Start
Ab Mai soll nun das Deutschlandticket als Nachfolgeangebot für 49 Euro im Monat die Attraktivität des ÖPNV dauerhaft steigern. Seit Anfang der Woche wird das Ticket offiziell verkauft. Gedacht ist der Fahrschein als Abo, es ist aber monatlich kündbar. Der Verband der deutschen Verkehrsunternehmen prognostizierte zuletzt, dass rund 5,6 Millionen Abo-Neukunden beim Deutschlandticket einsteigen und rund 11 Millionen Menschen, die bereits ein Nahverkehrs-Abo besitzen, auf das 49-Euro-Ticket umsteigen werden.
Das Neun-Euro-Ticket wurde im vergangenen Jahr dem VDV zufolge 52 Millionen Mal gelöst, laut Marktforschung des Verbands war jeder fünfte Käufer Neukunde, der den ÖPNV zuvor normalerweise nicht genutzt hat. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schreibt in seinem am Mittwoch veröffentlichten Wochenbericht, dass das Ticket vor allem bei jungen Menschen und Menschen mit geringem Einkommen beliebt war.
In einer Befragung gaben demnach 57 Prozent der unter 30-Jährigen und 62 Prozent der Befragten mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen unter 1000 Euro an, das Neun-Euro-Ticket im Juni 2022 gekauft zu haben.
Das DIW kommt auch zu dem Schluss, dass das Neun-Euro-Ticket den Umstieg auf Busse und Bahnen nicht nachhaltig befördert hat. „Die anfängliche Begeisterung für das Neun-Euro-Ticket spiegelte sich schon nach wenigen Wochen nicht mehr in einer höheren Nutzung des ÖPV wider“, heißt es in dem Bericht. Neben einer Befragung nutzte das DIW für seinen Bericht Bewegungsdaten von mehr als 2000 Personen.
Günstig allein reicht nicht
In der Politik ist die Hoffnung groß, dass das Deutschlandticket viele Menschen zum dauerhaften Umstieg bewegt. Schließlich nimmt der ÖPNV eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Klimakrise ein. Die Branche und zahlreiche Verkehrsexperten machen aber immer wieder deutlich: Nur günstige Tickets werden nicht reichen.
In einer Umfrage im Auftrag der Allianz Pro Schiene, des BUND und des Deutschen Verkehrssicherheitsrats gaben im Oktober 30 Prozent der Befragten an, dass sie sich an ihrem Wohnort nicht gut an Bus und Bahn angebunden fühlen. 35 Prozent der Befragten waren der Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Kantar zufolge mit der Zahl der Abfahrten an der nächsten Haltestelle unzufrieden, 14 Prozent gaben an, dass sich das Angebot an der für sie nächsten Haltestelle in den vergangenen fünf Jahre verschlechtert habe.
In den Zahlen des Statistischen Bundesamts sieht die Allianz Pro Schiene einen Beleg für einen Aufwärtstrend des ÖPNV. „Mit dem Deutschlandticket wird dieser Trend zunehmen. Aber mit den steigenden Fahrgastzahlen benötigen wir auch mehr Kapazitäten“, sagte Sprecherin Sabrina Wendling der dpa. „Deshalb brauchen wir jetzt gleichzeitig eine Angebotsoffensive für Busse und Bahnen. Bund und Länder sind hier gemeinsam gefordert, den öffentlichen Nahverkehr so attraktiv zu machen, dass er auch in der Fläche eine Alternative zum eigenen Auto ist.“
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