Rote Hemden, dunkle Hosen und starrer Blick – gekleidet wie ihre Idole harren Hunderte Fans der Band Kraftwerk in eisiger Kälte geduldig auf Einlass. Das Warten lohnt. Zwei Stunden lang beleben die Pioniere elektronischer Musik mit kühlen Computerklängen den nüchternen Bau der K20 genannten Kunstsammlung NRW in Düsseldorf.
Die innerhalb weniger Minuten ausverkaufte Konzertreihe machte nicht nur trefflich Werbung für die hochkarätige Sammlung moderner Kunst – erstmals seit Jahren strömten 2014 wieder mehr als 300. 000 Besucher ins Haus. Der Auftritt der Techno-Pioniere reihte den Bau am Rhein zudem ein in einen illustren Kreis: Kraftwerk traten zuvor im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) auf, zogen weiter in den Riesensaal der Londoner Tate Modern und schließen nun vom 6. bis 13. Januar den Konzertzyklus in der Neuen Nationalgalerie in Berlin ab, bevor die auf Jahre zur Renovierung schließt.
Der Schulterschluss des Museums mit der klassischen Moderne der Popmusik bescherte dem K20 nicht nur einen Besucherstrom aus ganz Europa. Er steht auch für den wohl überraschendsten Wandel in der Unterhaltungswirtschaft: den Aufstieg der Museen weltweit zum beliebtesten Zeitvertreib außerhalb der eigenen vier Wänden mit immer neuen Rekorden bei Ausstellungshallen und Besucherzahlen.
Zu den wenigen Ausnahmen zählt Deutschland – unterm Strich sinken hierzulande die Besucherzahlen. Trotz Leuchtturmprojekten wie der Berliner Museumsinsel kommen die deutschen Museen auf knapp 48 Besucher pro Tag. In Großbritannien sind es fast viermal so viele, und chinesische Einrichtungen schaffen fast die zehnfache Zahl. „Vielen Häusern droht ein Sterben auf Raten“, fürchtet Eckart Köhne, Präsident des Deutschen Museumsbundes und im Hauptberuf Chef des Badischen Landesmuseums Karlsruhe.
Museen brauchen modernes Marketing
An Rezepten, aus drögen Kulturtempeln aktive Mitspieler und Impulsgeber in ihren Kommunen zu machen, mangelt es nicht. „Erfolgreiche Museen orientieren sich weniger an traditionellen Kulturbetrieben als an Attraktionen wie Freizeitparks mit Faktoren wie Kundenerlebnis, effizienten Abläufen und modernem Marketing“, sagt Linda Cheu, Museumsspezialistin der US-Beratung Aecom.
Im Klartext heißt das: mehr Geschäfte abseits des Ticketverkaufs von Gastronomie bis zu Shops mit Bezug zu den Ausstellungen; dazu mehr private Sponsoren, stärkere Einbindung in der Heimatstadt und Kooperationen mit anderen Museen. Bei Vorreitern wie der Londoner Tate Gallery stammen bis zu drei Viertel der Umsätze aus diesen Feldern.
Die Museumsgeheimtipps der Wiwo-Korrespondenten
Der Geheimtipp: Wer dem englischen Humor näher kommen will, sollte das Londoner Cartoon Museum besuchen, das in drei Räumen rund 230 historische und moderne Karikaturen und Comic Strips zeigt. Jedes Jahr prämiert das Museum die besten Karikaturisten unter 18 und 30 Jahre. Es befindet sich in der Nachbarschaft des British Museums, erhält keine öffentlichen Mittel und kostet Eintritt.
The Cartoon Museum, 35 Little Russell Street, London WC1A 2HH
Beim Museum Neue Galerie, das auf New Yorks Museums-Meile in der Fifth Avenue liegt, ist der Name Programm. Hier geht es deutsch zu, in der Kunst wie beim Kuchen. Besucher finden eine eindrucksvolle Sammlung deutscher und österreichischer Kunst des 20. Jahrhunderts. Nicht minder eindrucksvoll ist – zumindest für amerikanische Verhältnisse – die Auswahl an deutschen und österreichischen Kuchen in den beiden Museumscafés. Wer in New York Sachertorte in edler Wiener Kaffeehausatmosphäre speisen will, geht in die Neue Galerie. Nicht selten scheint die Anziehungskraft des Kuchens höher als die der Kunst. Dann herrscht Leere vor den Klimts, Klees und Kirchners, während die Schlange der Café-Gäste bis auf die Straße reicht.
Neue Galerie, 1048 5th Avenue, New York, NY 10028
Auf einen Tee mit George Sand.
Das Musée de la vie romantique liegt versteckt am Ende einer kleinen Seitenstraße unweit der lauten Place Pigalle. Eben noch von schreiender Leuchtreklame für sehr viel unromantisch bloß gelegte Haut umgeben, trifft der Besucher beim Betreten des Gartens mit nur wenig gebändigten Rosenbüschen und Fliederbäumen auf das Paris des 19. Jahrhunderts. In dem Pavillon im italienischen Stil, der heute das Museum beherbergt, traf sich das künstlerische "Who is who" der Epoche bei dem damaligen Mieter, dem Maler Ary Scheffer. Rossini, Dickens, Delacroix, Chopin und auch George Sand. Der Schriftstellerin, die eigentlich Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil hieß und unter dem Männernamen George Sand Romane und gesellschaftspolitische Beiträge verfasste, ist das gesamte Erdgeschoss des Museums gewidmet. An sonnigen Tagen sollte man unbedingt noch auf einen Tee im Garten verweilen.
Musée de la vie romantique, 16 rue de Chaptal, 75009 Paris
Zumal die einstigen Nebengeschäfte wiederum mehr Kunden in die Museen locken. „Wir haben fast doppelt so viel Publikum wie die großen Sportligen und Freizeitparks wie Disneyland zusammen“, freut sich etwa Kaywin Feldman, Chairman des US-Museumsverbundes AAM, über die jährlich 850 Millionen Besucher bei seinen Mitgliedshäusern.
Aber auch anderswo weisen die Indikatoren nach oben. Die Zahl der Museen hat sich binnen 20 Jahren von 23.000 auf gut 55.000 mehr als verdoppelt, schätzt der Museums-Weltverband ICOM. Weltweit lockten diese über zwei Milliarden Besucher, ein Drittel mehr als im Jahr 2000.