USA Kalifornier erleben eine Pfandflaschen-Krise

Die geschlossene Pfandflaschen-Annahmestelle in Kalifornien Quelle: Matthias Hohensee

Kalifornien, Heimat der Tüftler und Vordenker, hat ein Plastik-Problem: Die Bürger werden ihre Pfandflaschen nicht mehr los. Denn der größte Leergut-Verwerter des Staats ist pleite, weil China den Müll nicht mehr will.

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Kalifornien, das ist die Heimat der Bastler, Start-up-Unternehmer und Wagniskapitalgeber. Hier wird das Internet kommerzialisiert, an der Zukunft des Verkehrs getüftelt und an Methoden für längeres Leben geforscht. Und doch hat es der Staat in über 30 Jahren nicht geschafft, ein funktionierendes Rücknahmesystem für Leergut aufzubauen.

Seit zwei Wochen türmen sich in meiner Garage Säcke voll Pfandflaschen. Marke Crystal Geyser, Trinkwasser vom Mount Shasta im Norden Kaliforniens, verkauft im 24-Stück-Pack für 2,79 Dollar – plus 1,20 Dollar Pfand. Kalifornien erhebt fünf Cent Pfand pro Flasche und 10 Cent pro Dose, also kein Vergleich zu Deutschland. Ein Nickel oder ein Dime, wie es hier heißt. Die Pfandpflicht gibt es im Golden State schon seit Ende der Achtzigerjahre. Doch nun herrscht eine wahre Pfandflaschenkrise. Sie trifft vor allem die besonders Armen, die mit dem Sammeln von Flaschen ihr Budget aufbessern oder gar ganz bestreiten.

Man wird die Flaschen nämlich nicht mehr oder nur mit viel Aufwand los. Ich müsste von meinem kalifornischen Zuhause zum Beispiel rund zehn Kilometer zu einer der letzten verbliebenen Annahmestellen fahren. Die allerdings nichts mehr annimmt, sobald ihr Lager voll ist. Diese chaotischen Zustände rühren daher, dass der größte Verwerter von Leergut, das kalifornische Unternehmen RePlanet, Anfang August Insolvenz angemeldet hat. Und wie es in den USA so üblich ist: Die Firma hat über Nacht dicht gemacht und seine 750 Beschäftigten auf die Straße gesetzt.

Nichts geht mehr an der örtlichen Annahmestelle von RePlanet Quelle: Matthias Hohensee


Der Gesetzgeber hat leider verschlafen, eine Lösung zu finden. Statt etwa Getränkehersteller und Supermärkte zur Annahme der leeren Plastikflaschen zu verpflichten, überlässt man die Logistik lieber privaten Verwertern. Deren Geschäftsmodell basiert auf einem Mix aus Zuschüssen des Staats Kalifornien, Zahlungen der Getränkebranche und dem Verkauf der eingesammelten Flaschen nach Asien zwecks Weiterverwertung. Lange funktionierte das auch gut und war ein einträgliches Geschäft. Bis China vor zwei Jahren beschloss, den Import von „Wertstoffen“ aus Müll drastisch einzuschränken. Nicht, um US-Präsident Donald Trump eins auszuwischen. Sondern weil das Material schlicht nicht mehr gebraucht wird.

Wohin mit den Plastikflaschen?

Dass das Geschäftsmodell kippen würde, war abzusehen. Jahrelang sammelte ich unsere Pfandflaschen, packte sie ins Auto und fuhr sie zu Jose, dem Chef der lokalen Pfandannahmestelle von RePlanet. Eine ziemlich hochtrabende Beschreibung für den auf dem Parkplatz des Supermarktes aufgestellten Container. Aber Amerika ist schließlich ein Land der Provisorien, was manchmal durchaus seinen Charme hat.

Jose kippte die Flaschen in blaue Plastiktonnen, wuchtete sie auf die Waage. Ein Drucker spuckte zwei Quittungen mit Barcode über die Pfandsumme aus, von denen eine unterschrieben werden musste. „Bitte noch heute im Supermarkt einlösen“, ermahnte er. Das sei nötig, um gefälschten Gutscheinen vorzubeugen.

In letzter Zeit agierte Jose zunehmend genervter. Am späten Nachmittag konnte er oft nichts mehr annehmen, weil der Stauraum seines Containers schon voll und der Lastwagen zur Abholung nicht gekommen war.

Die Automaten zur automatischen Leergutabnahme waren längst abmontiert, angeblich zu teuer in der Wartung. RePlanet benötigte jeden Cent. Das volle Pfand gab es nur noch für 50 Flaschen pro Tag und Kunde. Der Rest wurde über die Waage geschätzt und betrug nur ein Bruchteil der fälligen Summe. Was Jose ellenlange Diskussionen mit Obdachlosen einbrachte, die fleißig Flaschen gesammelt hatten und sich noch stärker von der Gesellschaft betrogen fühlten.

Ich könnte die etwa 150 gehorteten Flaschen, die einen Gegenwert von 7,50 Dollar haben, einfach in unsere blaue Mülltonne packen. Doch durch meine deutsche Erziehung sträubt sich alles in mir dagegen. Zumal ich weiß, dass auch unsere Müllabfuhr den Inhalt der „Wertstofftonne“ auf die Kippe fährt, weil sie die gleichen Verwertungsprobleme wie RePlanet hat. Und bevor Kritik kommt: Ich kaufe Trinkwasser in Flaschen, weil die lokalen Wasserquellen mit – natürlich vorkommenden – Schwermetallen belastet sind. Wie stark, ist umstritten. Zugegeben, es ist auch ein gewisser Bequemlichkeitsfaktor dabei und mangelnde Geduld, das Leitungswasser ständig durch einen Filter zu kippen.

Plastikverbot am Flughafen San Francisco – zumindest teilweise

Eine Lösung ist nicht in Sicht. Zumindest nicht kurzfristig. CalRecycle, das zuständige kalifornische Amt, will die Zuschüsse für die verbliebenen Verwerter erhöhen, damit diese ihr Netz ausbauen. Der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom erwägt, die Daumenschrauben bei den Supermärkten anzusetzen. Die sollen die Flaschen zurücknehmen oder aber eine Strafe von 100 Dollar pro Standort und Tag berappen. Das Gesetz gibt das anscheinend her. Wahrscheinlich werden die Supermärkte dann aber eher die Strafe berappen, weil Personal und Lagerplatz in Kalifornien viel teurer sind.

Der Flughafen von San Francisco, immerhin einer der größten der Welt, packt das Problem anders an. Seit vergangenem Dienstag dürfen keine Plastikflaschen unter einem Liter Inhalt mehr auf dem Flughafen verkauft werden. Was weniger mit Pfand zu tun hat, als vielmehr dem selbst gesteckten Ziel, bis 2021 den Müll so drastisch zu reduzieren, dass alles wiederverwertet werden kann. Reisende sollen mehrfach verwendbare Flaschen mitbringen oder kaufen und an Wasserspendern auffüllen.

Doch der Teufel steckt im Detail. Der Bann, der in den USA Wellen schlägt, gilt nur für Wasserflaschen aus Plastik. Fruchtsaft, Cola oder Tee in der Plastikflasche sowie Dosen sind nicht betroffen. Mehr hatte man sich nicht getraut, Coca Cola, Nestle, Anheuser Busch oder den Geschäften auf dem Flughafen zuzumuten. Schließlich lebt man auch von ihren Konzessionszahlungen. Es ist eins der Experimente, für die die Kalifornier so berühmt sind: Einfach mal machen und dann schauen, was läuft oder nicht. Damit sind Uber oder Airbnb groß geworden, auch ohne Taxi- oder Hotelkonzession.

Das ist solange lässig, bis es ernste Probleme gibt. Wie die Leergut-Rücknahme oder vielmehr deren Verweigerung. Die Flaschen verstopfen jetzt eben die öffentlichen Papierkörbe, im besten Fall zumindest.

Bei den Pfandflaschen könnte sich Kalifornien etwas vom deutschen System abschauen, auch wenn dieses nicht vollkommen ist. Oder schlicht das Pfand erhöhen. Im Nachbarstaat Oregon, wo doppelt so viel verlangt wird, haben Supermärkte und Getränkebranche ein eigenes Abnahmenetz hochgezogen. Es funktioniert. Und auch, wenn es keiner hören mag: Es würde der stetig wachsenden Zahl der kalifornischen Obdachlosen zumindest diese bescheidene Einnahmequelle etwas erhöhen und erhalten.

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