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Für das Fernsehen geht es um Leben und Tod

#Verafake, YouTube, Mediatheken – kann analoges Fernsehen im digitalen Zeitalter überleben? Die TV-Sender versprechen dem Flimmerkasten eine rosige Zukunft. Stirbt das TV oder nicht? Die Antwort ist ziemlich eindeutig.

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Jan Böhmermann hat Schauspieler in die RTL-Show

Jan Böhmermann ist ein Tausendsassa, wenn es um Provokation und TV-Scoops geht. Erst die Aufregung um sein Erdogan-Schmähgedicht, mit dem er eine handfeste Staatsaffäre auslöste. Dann kehrt er nach kurzer Schaffenspause an den "Neo Magazin Royale"-Bildschirm zurück und führt als nächstes RTL vor. Seinem Team war es gelungen, einen Schauspieler als Fake-Kandidaten in die von Vera Int-Veen moderierte Show „Schwiegertochter gesucht“ einzuschleusen und so die Praktiken des Senders offenzulegen.

Unter dem Hashtag #verafake machte die jüngste TV-Aktion Böhmermanns im Netz schnell die Runde und zwang RTL, einzulenken. Der Kölner Sender räumte kurz darauf ein, dass Fehler im Bereich der redaktionellen Sorgfaltspflicht gemacht worden seien und erklärte, die aktuelle Staffel würde deshalb von einem neuen Team realisiert.

"RTL ist der VW unter den TV-Sendern"

Ungeachtet dessen werden sich die Medienhüter der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM) mit der umstrittenen Kuppel-Show auseinandersetzen. Andreas Fischer, Direktor der NLM, mochte noch nicht von einem Verstoß gegen die Menschenwürde sprechen. Er sagte jedoch: "Die Art und Weise, wie die Produktionsfirma Verträge mit den Kandidaten abschließt und sie dabei bedrängt, erinnert stark an Haustürgeschäfte."

Ein Nachspiel wird das für RTL mit Sicherheit haben. Der erneute Image-Schaden ist ohnehin nicht mehr abzuwenden.

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„RTL ist der VW unter den TV-Sendern“ zählt dabei noch zu den humorvolleren Bemerkungen. Übermedien schreibt, Böhmermann zeige, „dass sie bei RTL aus Menschen Fußabtreter machen, weil sich damit so schön Geld verdienen lässt.“

Ebenso sicher beginnt eine erneute Diskussion darüber, wie Menschen von den Privatsendern zur Belustigung ihres Publikums vorgeführt werden. Man wird dabei wieder zum Begriff des „Unterschichten-Fernsehens“ greifen, was die Werbekunden der Privatsender wenig erfreuen wird. Die sind derzeit ohnehin nicht gut auf das Fernsehen zu sprechen. Ausgerechnet einen Tag vor dem „Screenforce Day“, der alljährlichen Jubelveranstaltung der TV-Vermarkter, wetterten sie gegen die dramatischen Leistungsverluste des Werbefernsehens.

„TV-Werbung kostet immer mehr und leistet immer weniger“, moniert Uwe Storch, Mediachef bei Ferrero. Die geballte Ladung Kritik umfasst überladene Werbeblöcke, die Programmqualität, vor allem aber die sinkende Reichweite der Programme. Werbekunden bezahlten heute "bis zu 50 Prozent mehr für die gleiche Leistung".

To be or not to be

Das führt geradewegs zur brisantesten Frage, die die Branche aktuell diskutiert: Kann das analoge Fernsehen, wie wir es heute kennen, die Digitalisierung überleben? Oder bleibt der Flimmerkasten in der Ecke des Wohnzimmers stark wie eh und je, wie es die Protagonisten der TV-Vermarkter gebetsmühlenartig vortragen?

Die wichtigsten Anbieter im Online-Fernsehen

Die von Werbeeinnahmen abhängigen Privatsender führen an, dass die TV-Sehdauer in den letzten Jahren nahezu konstant geblieben ist und sich von der zunehmenden Videonutzung auf YouTube und Facebook wenig beeindruckt zeigt.

Damit vergleichen sie jedoch Äpfel mit Birnen, denn der analoge Konsum von Sendungen wie „Schwiegertochter gesucht“ lässt sich schwerlich mit einem einminütigen Video auf YouTube vergleichen. Der Tatsache, dass viele Jugendliche dem Fernsehkonsum abschwören, begegnen sie mit dem Argument, dass deren wöchentliche Reichweite stabil sei - und dass ihr Fernsehkonsum ohnehin automatisch anstiege, sobald sie die Lebensphase der Familiengründung erreichten. Doch das erweist sich lediglich als gut gemeinter Blick in die Kristallkugel, womit sich die Verwalter der Werbegelder, die Milliarden ins analoge Fernsehen investieren, nicht so einfach zufrieden geben. Die TV-Werbeinvestitionen stiegen im 1. Quartal dieses Jahres erneut um 9 Prozent.

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