Strom und Gas „Der Markt hat sich selbst gefangen“

Ist das kalt? Oder extrem kalt? Und wie lange? Vom Wetter im Februar und März hängt ab, wie die Gaspreise sich entwickeln – und damit auch die Strompreise. Die Europäische Union diskutiert über genau diese Verknüpfung. Quelle: dpa

Soll der Gas- vom Strompreis entkoppelt werden? Wie viel Staat ist nötig? Die EU will im März ihre Vorschläge für eine Strommarkt-Reform vorlegen. Vattenfall-Handelschef Frank van Doorn spricht im Interview über Preise, das Merit-Order-System und eine Botschaft: Lasst die Finger davon!

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Vattenfalls Handelsraum liegt gleich neben der Hamburgischen Staatsoper, der Gänsemarkt ist um die Ecke. Gehandelt wird im Erdgeschoss, jeweils drei Trader sitzen mit ihren Bildschirmen nebeneinander, jeweils eine weitere Reihe im Rücken. Es gibt die Abteilung, die für den Handel mit „Algos“ zuständig ist, mit Algorithmen, es gibt die Abteilungen für Strom und Gas, aber auch die Abteilung, in der rund um die Uhr gehandelt wird, 24/7. Frank van Doorn ist hier der Chef, der „Head of Trading“, seit über 11 Jahren arbeitet er bei Vattenfall, vorher war er bei RWE. Im vergangenen Jahr hat er die Preisexzesse an den Märkten für Gas und Strom aus nächster Nähe verfolgt und beobachtet jetzt die politischen Reaktionen. Mitte März will die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine Reform des EU-Strommarkts vorlegen, es gibt bereits sehr konkrete Vorschläge, etwa aus Spanien. Die Kernfrage wird sein: Wie tief greift der Staat ein? Und zu welche Verwerfungen könnte das führen?

WirtschaftsWoche: Im vergangenen Sommer sind die Energiepreise auf absurde Höhen geschossen: Die Megawattstunde Gas kostete über 340 Euro, Strom bis zu 1050 Euro. Jetzt haben sich die Märkte beruhigt, die Preise sind gefallen. Hat die Regierung alles perfekt gemacht?
Frank van Doorn: Der politische Druck in Europa war hoch. Es ist daher verständlich, dass gehandelt werden musste. Die sinkenden Preise haben aber weniger mit dem zu tun, was die Regierung unternommen hat. Der Markt hat sich selbst gefangen. Klar, die Preise damals waren übertrieben. Warum das so ist, ist schwierig einzuschätzen. Jetzt haben wir das Glück, dass der Winter mild ist, die Speicher sind gut gefüllt, es kommt viel LNG. Und die Bürger und Unternehmen haben auch reagiert, indem sie weniger Gas verbrauchen. Die Nachfrage ist etwa um 20 Prozent gesunken. Das ist mehr als das, was die Europäische Union im vergangenen Jahr vorgeschlagen hat. Diese drei Komponenten sorgen dafür, dass die Preise stark gesunken sind. Unsere Meteorologen können grobe Prognosen für etwa drei, vier Wochen abgeben. Schon jetzt haben wir also ein relativ gutes Gefühl dafür, ob der März noch extrem kalt wird. Und wie es aussieht, ist das Risiko eines sehr kalten Winters gering.

Sie haben es gesagt: Die deutschen Erdgasspeicher sind derzeit zu knapp 80 Prozent gefüllt. Für den Februar ist das ein Rekord. Was bedeutet das für den nächsten Winter?
Normalerweise dürften wir im November oder Dezember wieder komplett gefüllte Speicher haben. Und das ist wiederum eine gute Grundlage für den nächsten Winter. Diese Konstellation führt dazu, dass die Risikoaufschläge, die in den Preisen enthalten waren, nach und nach geringer geworden sind.

Frank van Doorn Quelle: PR

Sie erwecken den Eindruck, die Regierung habe wenig oder gar nichts damit zu tun gehabt, dass wir jetzt so gut dastehen. Aber die Regierung hatte doch im vergangenen Sommer etwas getan, zum Beispiel den Gasmarktverantwortlichen, die Trading Hub Europe (THE), damit beauftragt, für mehrere Milliarden Gas einzukaufen - koste es, was es wolle. Hat diese bedingungslose Shoppingtour die Preise in die Höhe getrieben?
Naja, die Marktmeinung besagt, dass die THE sehr stark zu der Preisentwicklung beigetragen hat. Aber wie genau, das weiß keiner. Der Staat hat in jedem Fall deutlich eingegriffen. Und das war auch notwendig.

Alle reden jetzt vom „New Normal“, der Zeit nach der Krise. Auf welchem Niveau wird sich der Gaspreis in dieser Welt des New Normal einpendeln?
Das hängt von vielen Faktoren ab, etwa der Nachfrage aus China. Aber wenn ich eine Schätzung abgeben muss, dann würde ich mit einem Korridor zwischen 50 und 70 Euro rechnen. Aber das kann sich durch aktuelle Ereignisse jederzeit ändern, etwa Förderschwierigkeiten in Norwegen.

Das würde bedeuten, der EU-Gaspreisdeckel, der bei 180 Euro liegt, hätte keinerlei Folgen?
Der Deckel war gedacht für Zeiten, in denen es wirklich wieder hektisch wird. Wenn wir aber das Preisniveau nehmen, auf das wir uns jetzt am Ende des Winters einpendeln, wird der Deckel kaum greifen.

Es gibt andere EU-Vorhaben, die erhebliche Auswirkungen auf den Handel haben könnten: Im März will die EU-Kommission ihre Pläne für eine Strommarktreform vorlegen. Preisexzesse sollen verhindert, möglicherweise sogar der Gaspreis vom Strompreis entkoppelt werden. Wie finden Sie das?
Es gibt manche, die sich wünschen, die Strompreise von den Gaspreisen abzukoppeln. Wir sind klar gegen eine solche Trennung, denn die freie Preisbildung unter dem Merit-Order-System sorgt auf effiziente Weise dafür, dass Preise unter Marktbedingungen auch schnell wieder sinken, weil es Anreize setzt, in Erneuerbare zu investieren – und teure fossile Kraftwerke dann aus dem Markt ausscheiden.

Bei Vattenfall sind Sie also keine Fans von staatlichen Eingriffen in die Preisbildung. Nun hat die spanische Regierung einen Vorschlag gemacht, sehr stark auf sogenannte Differenzverträge zu setzen, Contracts for Difference, CfDs, um den Preis staatlich zu subventionieren. Das würde auch die Möglichkeiten verkleinern, auf dem Spotmarkt zu handeln. Was für Auswirkungen kann das auf Ihre Geschäfte haben?
Der Einfluss von CfDs auf den Großhandelsmarkt hängt stark von der Ausgestaltung ab – an sich hat es aber weniger mit einem Eingriff in die freie Preisbildung zu tun. Das ist gut, da wir Preissignale brauchen, um zu wissen, wo in Europa der Strom hinfließen soll. CfDs würden für uns zunächst eine weitere Möglichkeit bedeuten, Geschäfte neuer Stromerzeugung abzusichern. Aber für den Markt generell würden sie natürlich eine sehr viel größere Rolle des Staates mit sich bringen. Dies würde die Lage komplett ändern. Vor anderthalb Jahren war das kaum ein Thema, weil die Preise niedrig waren. Dann haben wir eine ganz hektische Periode erlebt, und jetzt geht es wieder Richtung Normal. Also muss man sich gut überlegen, ob der Eingriff des Staates in den Markt wirklich notwendig ist, denn unter anderem kann das Steuerzahler und vor allem die Kunden viel Geld kosten. Wir verstehen, dass kurzfristige Maßnahmen diskutiert werden, dass es wirtschaftlichen Druck gibt zu handeln, dass den Verbrauchern bestimmte Preise nicht zugemutet werden können. Aber für uns ist wichtig, dass die Reformen auch für Planbarkeit und Investitionen sorgen. Wenn wir uns für einen Windpark entscheiden, müssen wir die Regeln kennen.

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