Amazon „Wir finden die neuen Schlupflöcher der Kriminellen“

Auf Fälscherjagd: Gemeinsam mit den Behörden kämpft Amazon gegen Kriminelle, die ihre Waren auf dem Onlinemarktplatz vertreiben. Quelle: Presse

Seit zweieinhalb Jahren jagt er im Namen von Amazon als Chef einer internen Spezialeinheit Kriminelle: Kebharu Smith erzählt, warum er FBI-Agenten in sein Team geholt hat und wie er mit Banken und Behörden zusammenarbeitet.

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Sie sollen leere Tonerkartuschen des Markenherstellers Brother gekauft, mit unechtem Tonerpulver befüllt und über Amazon an Kunden verkauft haben. Nun verklagen Amazon und der Originalhersteller erstmals in Deutschland 18 mutmaßliche Mitglieder eines hierzulande ansässigen Fälscherrings, wie die WirtschaftsWoche erfahren hat. Laut einer Mitteilung der Polizei Berlin handelt es sich um eine hohe vierstellige Zahl an wiederaufgefüllten Tonerkartuschen – etwa 100 Einsatzkräfte waren demnach an den Durchsuchungen in Berlin und Brandenburg beteiligt. Die Behörden sind durch Hinweise der Amazon-Spezialeinheit Counterfeit Crimes Unit (CCU) auf die Tatverdächtigen aufmerksam geworden. Im Interview spricht der Chef der Amazon-Spezialeinheit über den Kampf gegen Produktfälscher.

WirtschaftsWoche: Herr Smith, warum haben Sie sich dazu entschieden, für einen Konzern Fälscher zu jagen – Sie haben das schließlich jahrelang für die Vereinigten Staaten von Amerika getan. Bis der Handelsriese Amazon bei Ihnen angeklopft hat.
Kebharu Smith: Stimmt! Aber ich habe in den zwölf Jahren, die ich für das US-Justizministerium gearbeitet habe, oft mit Unternehmen zusammengearbeitet. Da ging es auch um drastische Fälle wie gefälschte Krebs- oder Hepatitis-Medikamente. Die Verbrecher wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt. Ich habe mich viel mit dem Diebstahl von Geschäftsgeheimnissen und Urheber- und Markenrechtsverletzungen beschäftigt. Und als Amazon dann auf mich zukam und mir von den Plänen erzählt hat, eine eigene Einheit aufzubauen, um Produktfälscher zu jagen – das hat mich fasziniert. Sowas kannte ich aus dem Konzernumfeld in dieser Form nicht.

Auf Gangsterjagd für den Onlinehändler: Kebharu Smith.

Zur Person

Sie haben die Amazon-Einheit gegen Produktfälschungen, Counterfeit Crimes Unit (CCU) genannt, aufgebaut. Was für Spezialisten haben Sie ins Team geholt?
Wir sind ein internationales Team von knapp 40 Personen, die auch in Europa und China vor Ort arbeiten. Als wir dieses Team zusammengestellt haben, war es wichtig, Personen zu holen, die in der Strafverfolgung gearbeitet haben. Sie sind erfahren, wenn es darum geht, komplexe kriminelle Organisationen zu verfolgen und zu Fall zu bringen. Bei uns arbeiten Leute, die zuvor beim FBI oder dem US-Heimatschutz beschäftigt waren. Genauso gibt es Spezialisten, die bei der Londoner Polizei tätig waren oder bei Nachrichtendiensten. Unsere Experten müssen oft tief in Daten graben, um Fälscher zu identifizieren. Wir beschäftigen aber natürlich auch Fachanwälte.

Wie gehen Sie vor, um Kriminelle aufzuspüren? Woher bekommen Sie Hinweise?
Es gibt verschiedene Wege. Die Hersteller selbst geben uns Tipps, wenn sie beispielsweise bei Testeinkäufen auf Fälschungen stoßen. Auch von Strafverfolgungsbehörden bekommen wir Hinweise. Umgekehrt teilen wir unsere Daten auch mit Behörden, um die Ermittlungen zu beschleunigen. Außerdem haben wir bei Amazon 12.000 Personen, die im Bereich Brand Relations arbeiten und ebenfalls Hinweise weitergeben. Es gibt bei Amazon viele interne Alarmsysteme für Fälschungen und wir haben Markenschutzprogramme, über die wir eng mit Herstellern zusammenarbeiten. Unsere Analysten schauen sich aber beispielsweise auch Daten von Geldinstituten an, die Banken uns zur Verfügung stellen. Wir nutzen viele verschiedene Informationen, um die Kriminellen hinter dem Computer aufzuspüren.

Auch beispielsweise in Deutschland?
Ja, aktuell verklagen wir gemeinsam mit dem Unternehmen Brother 18 mutmaßliche Mitglieder eines in Deutschland ansässigen Fälscherrings. Es geht um plagiierte Tonerkartuschen, die als Originalprodukte vermarktet wurden. Das ist die erste Zivilklage, die Amazon gemeinsam mit einer Marke gegen Fälscher in Deutschland eingereicht hat.

Wie tauschen Sie sich dafür mit den Ermittlungsbehörden aus?
Wir arbeiten mit vielen US-Behörden, aber auch mit Europol, Interpol und anderen Behörden in Europa zusammen, jetzt auch gerade in Deutschland. Mit unseren Daten haben sie einen großen Vorsprung bei Ermittlungen und können schneller zugreifen. Wir schicken unter anderem auch den deutschen Strafverfolgungsbehörden jedes Quartal eine Liste mit Informationen über Produktfälscher, die wir bei Amazon gesammelt haben. Das sind beispielsweise Listen mit Namen, IP-Adressen, Bankdaten und die Marken, die kopiert wurden. Wir konnten auch schon Razzien in China anstoßen.

Wer steckt hinter Fälschungen?
Wir haben es häufig mit organisierter Kriminalität zu tun. Es gibt Verbindungen zu Geldwäsche, manchmal stecken auch Menschenhändler hinter den Fälschungen. Mit den Erträgen daraus werden manchmal auch Terroristen finanziert. Das wissen viele Verbraucher nicht. Manche kaufen bewusst Plagiate. Aber indem sie die kaufen, finanzieren sie andere niederträchtige Verbrechen mit.

Gleicht Ihre Arbeit nicht einem Katz-und-Maus-Spiel? Schließlich überlegen sich die Kriminellen ständig neue Maschen.
Ich würde es nicht als Katz-und-Maus-Spiel bezeichnen. Etwas zu fälschen, gehört zu den ältesten Verbrechen überhaupt. Jemand ist innovativ, erfindet etwas – und Kriminelle kopieren es und profitieren davon. Seit jeher sind Fälscher sehr findig, wenn es darum geht, den Innovatoren einen Schritt voraus zu sein. Wir müssen sie daher in ihrem eigenen Spielfeld zurückdrängen und ihnen keine neuen Ausweichmöglichkeiten geben, wo sie erneut betrügen können. Früher wurden Fälschungen eher auf Flohmärkten verkauft. Nun nutzen sie große E-Commmerce-Plätze. Aber wir finden die neuen Schlupflöcher der Kriminellen.

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Zum Beispiel?
Es kommt vor, dass Influencer ein Produkt anpreisen und der Link dann auf eine sogenannte Spoof-Webseite führt. Die kann wie die eines Luxusherstellers aussehen, ist aber nachgeahmt und die Produkte sind Fakes. Wir haben einen Fälscherring ausgehoben, der No-Name-Kühlergrills verkauft hat – in seinem Amazon-Store die Fotos aber so gefälscht hat, dass die Marke eines Autoherstellers darauf zu sehen war. Bei einer Razzia haben Behörden dann gefälschte Autoteile im Wert von 10 Millionen Dollar gefunden. Wir haben auch schon neue Tricks aufgedeckt, bevor die Behörden selbst davon Wind bekommen haben.

Wenn man mit kleinen Unternehmen spricht, nennen die es manchmal selbst ein Katz-und-Maus-Spiel. Sie melden an einem Tag einen Fake-Shop und am nächsten gibt es zwei neue. Was sagen sie denen, die wirtschaftliche Einbußen haben, weil Kriminelle ihre Produkte fälschen und trotz der Sicherheitsmaßnahmen über Amazon verkaufen?
Wir haben 2021 um die 900 Millionen Euro im Kampf gegen Produktfälschungen ausgegeben. Etwa 12.000 Personen arbeiten bei Amazon daran, dass es kein solches Katz-und-Maus-Spiel gibt. Nur 0,01 Prozent der Produktbeschwerden von Konsumenten drehen sich darum, dass ein Produkt gefälscht ist. Wenn es Fälscher – oder Fälschungen – in seltenen Fällen schaffen, unsere Schutzprozesse zu durchdringen, dann geht die CCU diesen Fällen nach. Und wir sorgen dafür, dass die Kriminellen zur Verantwortung gezogen werden. Käufer sind durch die A-Z Garantie geschützt und werden von uns entschädigt. Wir sorgen also dafür, dass Produktfälscher keinen „Safe Space“ bei Amazon haben. Und auch überhaupt nicht mehr auf die Plattform kommen können.  

Indem die Verifizierung für einen Shop strenger wird, beispielsweise?
Exakt. Und weil Sie kleine Unternehmen erwähnen: Wir arbeiten nicht nur mit großen Markenherstellern zusammen, sondern wollen auch diejenigen unterstützen, die sich keine großen Rechtsabteilungen leisten können. Kleinen Unternehmen tun Verluste durch Fälscher besonders weh. Deshalb nochmal in aller Deutlichkeit: Wir wollen auch in Deutschland und Europa mit Mittelständlern und Kleinunternehmen zusammenarbeiten und Produktpiraterie bekämpfen.

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Wenn ich etwas kaufe, ob ein Geschenk oder ein Produkt für mich selbst, lege ich Wert darauf: Wenn ich nicht das Original haben kann, will ich es nicht. Ganz einfach.

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