Automatisierung in der Logistik Die Massenentlassungen bei Amazon sind wohl erst der Anfang

Einblick in ein Amazon-Logistikzentrum: Viele Arbeiten könnten künftig automatisiert ablaufen. Quelle: imago images

Der Onlinehändler Amazon will 18.000 Stellen streichen. Die Logistik ist davon zwar nicht betroffen. Experten erwarten aber, dass in den Lagern künftig mehr Roboter eingesetzt werden – und das nicht nur bei dem US-Konzern.

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Es ist der größte Stellenabbau in der Geschichte von Amazon – und er könnte sogar der Auftakt zu weitaus gravierenden Einschnitten sein. Bei Amazon wie bei vielen anderen Onlinehändler. Am Mittwoch hatte Amazon-Konzernchef Andy Jassy in einem Mitarbeiterrundschreiben angekündigt, mehr als 18.000 Stellen zu streichen. Begründung: Die unsicheren Konjunkturaussichten erschwerten die Personalplanung. Außerdem habe der US-Onlineversandhändler während des Bestellbooms in der Coronapandemie viele zusätzliche Mitarbeiter eingestellt. 

Vor allem Beschäftigte der E-Commerce-Sparte und der Personalabteilung müssen ihren Hut nehmen, rund sechs Prozent der etwa 300.000 Mitarbeiter in der Verwaltung. Insgesamt beschäftigt Amazon nach eigenen Angaben weltweit über 1,5 Millionen Menschen, die meisten davon in der Liefer- und Lagerinfrastruktur. Und genau hier liegt das Problem. Über kurz oder lang rechnen Experten damit, dass menschliche Arbeitskraft in den Logistiklagern immer stärker durch maschinelle Lösungen ersetzt wird – und das nicht nur bei Amazon, sondern in der gesamten Branche. So seien sechs der sieben Kerntätigkeiten von Lager- und Transportarbeitern bereits Stand heute automatisierbar, zeigt eine Auswertung des sogenannten „Job-Futuromats“ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Das Online-Tool soll bei der Beantwortung der Frage helfen, ob und wie Technologien einen Job verändern werden.

Noch ist vom Jobabbau in den Logistikhallen der Versender indes wenig zu sehen. Im Gegenteil: Die Zahl der Beschäftigten in dem Bereich ist laut IAB zwischen 2012 und Ende 2020 um 26,6 Prozent auf 972.000 gewachsen. Lager- und Transportmitarbeiter werden auch momentan händeringend gesucht. Die Frage ist nur, wie lange noch. Denn ausgerechnet der Mangel an Kräften macht den Einsatz von Automatisierungstechnik zunehmend lohnender.

Proteus: der erste vollautonome Lagerroboter 

Wohin die Reise geht, zeigte im vergangenen Herbst ein Zukauf von Amazon. Um die Automatisierung seiner Logistikzentren voranzutreiben, kaufte der Konzern im September den belgischen Mechatronik- und Roboterhersteller D. Cloostermans-Huwaert. Amazon nutzt die Technik der Belgier bereits, um schwere Paletten und Behälter zu bewegen und zu stapeln oder Produkte für die Auslieferung an die Kunden zusammenzupacken. Der Neuerwerb soll nun in die eigene Sparte Global Robotics integriert werden.

Bereits seit mehr als zehn Jahren forscht Amazon an Robotik-Technologien. Für Aufsehen sorgte etwa der erste vollautonome Lagerroboter namens Proteus, den der Konzern im vergangenen Sommer vorstellte. Proteus kann Dinge aufheben, abstellen und transportieren. Er fährt autonom und unterscheidet sich damit von früheren Modellen, die auf Spuren manövrierten oder in einem separaten Bereich eingesetzt werden mussten.

Lastenträger: Bereits 2012 hat Amazon die Roboterfirma Kiva Systems gekauft, um die Roboter in den eigenen Logistikzentren fahren zu lassen. Quelle: PR

„Es kommen alle paar Monate ein paar neue Videos aus dem Amazon Science Blog, in denen neue Entwicklungen gezeigt werden“, sagt der Soziologe Armin Beverungen, der seit Jahren zu Amazon und den Auswirkungen von Entscheidungen des Unternehmens auf Städte und Menschen forscht. Viele technische Entwicklungen von Amazon seien längerfristig ausgelegt, „aber es ist schon deutlich dass Amazon in allen Bereichen der Logistik auf Automatisierung setzt“, so Beverungen.

„Kein anderes Unternehmen in der Branche hat die Prozesse stärker automatisiert als Amazon“, bestätigt auch Axel Bagszas, Logistikexperte und Berater von Bagszas Logtech. Trotzdem gäbe es in vielen älteren Verteilzentren des Konzerns „Potentiale nach oben“. Mittelfristig, da ist sich der Experte sicher, werden die Lagerhallen mit „deutlich weniger“ Personal auskommen können.

Allein auf Amazon wird sich der Jobabbau durch die Automatisierung in den Lagerhallen aber nicht beschränken. „Praktisch alle größeren Warenhändler wie Zalando oder Otto sind dabei, ihre Prozesse weiter zu automatisieren“, sagt Bagszas. Damit kennt er sich aus. Für seine Kunden prüft Bagszas seit Jahren, wo Roboter, Fließbänder und Maschinen die Abläufe in Lagerhallen beschleunigen und präzisieren können.

Seine Mission ist fast überall ähnlich: Wo früher Männer und Frauen zu den Waren liefen, sollen in einer automatisierten Halle die Waren zu ihnen kommen. Bagszas erzählt von einem Onlinelieferanten für Karnevalsware, der in mehreren Lagerhallen auf 10.000 Quadratmetern seine Prozesse verändert. Etwa 50 Arbeiter seien dort bislang nötig, um während des Saison-Peaks Pakete mit Kostümen, Luftschlangen und Perücken zu packen und zu verschicken. Mit den richtigen Pick-Robotern und Fließbändern wäre die Belegschaft nur ein Zehntel so groß, hat Bagszas ausgerechnet.

Der Vorteil für die Unternehmen liegt auf der Hand. Einmal in die Technologie investiert, lässt sich mittelfristig schneller und effizienter produzieren. Weil immer mehr Kunden zudem Fehler nur schwerlich verzeihen, setzen vor allem die großen Player darauf, möglichst wenige Handgriffe durch den Menschen auszuführen oder ihn zumindest maschinell anzuleiten.

Oft kommt der Wandel allerdings unfreiwillig. Vor allem der Personalmangel treibt viele Firmen dazu, stärker in Technologie zu investieren und die Aufgaben durch Roboter und Maschinen zu erledigen. Das Problem der fehlenden Arbeiter sei enorm, ist in der Branche immer wieder zu hören. Die Rede ist selbst von Lagerhallen, die nicht fertig gebaut werden, weil Unternehmen nicht genug Leute finden, die Kisten füllen und mit dem Gabelstapler fahren wollen.

Wie viele Lageristen durch Maschinen eingespart werden, lässt sich pauschal nicht beantworten. In der Regel lässt sich schon heute nahezu jeder Handgriff ersetzen, die nötige Technik ist vorhanden. Am Ende ist alles eine Frage der Kosten und der Firmen-Voraussetzung. Ist ein Unternehmen digital eher rückständig, würde eine vollautomatisierte Lagerhalle mit ihrer aufwendigen Steuerung und Wartung mehr Probleme bereiten als helfen.

Wo wird Amazon in Europa sparen?

Auch könnten die Kosten manch Unternehmen erdrücken. Acht Millionen Euro kosten beispielsweise die Vollautomat-Prozesse für den Karnevalshändler. Viel Geld für einen Onlineshop. Die 50 Mitarbeiter seien zudem nur für einige Wochen im Jahr nötig, wenn Kinder und Eltern Verkleidungen suchen. Den Rest des Jahres sei es eher still, erzählt Bagzsas. Seinem Kunden hat er deshalb geraten, die Arbeit in den Hallen durch Maschinen teilweise zu unterstützen, nicht komplett zu ersetzen. Der Bedarf der Arbeitskräfte würde in dem Fall um etwa die Hälfte sinken.

Wie viele Jobs die Automatisierung bei Amazon kosten letztlich könnte, weiß vermutlich nicht einmal das Unternehmen selbst. Amazon sei nicht darauf aus, Menschen durch Technologie zu ersetzen, hieß es jüngst in einem Blog-Beitrag des Unternehmens. In den Lagern weltweit würden bereits mehr als eine halbe Million roboterbetriebene Einheiten eingesetzt.

Vorwürfen, mit der Robotereinführung habe der Konzern bereits Tausende von Stellen überflüssig gemacht, widerspricht Amazon. Vielmehr habe die Automatisierung neue Arbeitsplätze geschaffen, darunter Roboter- und Mechatronik-Wartungstechniker sowie andere Spezialisten. Auch insgesamt seien in der Logistik in den vergangenen Jahren mehr statt weniger Arbeitsplätze entstanden.

Nur lag Letzteres vor allem am generellen Boom des Onlinehandels, der einen Job- und Investitionsschub nach sich zog. Allein in Deutschland betreibt Amazon inzwischen rund 20 Logistikstandorte, in denen der Onlinehändler Waren lagert, kommissioniert und verpackt. Klar ist aber auch, dass der Online-Aufschwung nicht ungebremst weitergehen wird. Auch deshalb will der Konzern jetzt die Kosten senken.

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Konzernchef Jassy kündigte an, auch mit den Vertretern der europäischen Mitarbeiter über den Stellenabbau zu sprechen. Details zur Zahl der Betroffenen in Europa machte er nicht. Amazon Deutschland wollte sich nicht zu Auswirkungen hierzulande äußern.

„Das Vorgehen der Konzernspitze zeigt einmal mehr, dass es mit den von Amazon beschworenen ‚exzellenten Arbeitsbedingungen‘ nicht weit her ist“, heißt es derweil von der Gewerkschaft Verdi dazu. „Obwohl der Konzern im vergangenen Jahr vermutlich erneut Milliardengewinne eingefahren hat, sollen die Beschäftigten dafür bezahlen, dass man nicht mehr die Wachstumsraten der Corona-Jahre erreicht“. Man wolle sich jetzt mit den Gewerkschaften in anderen europäischen Ländern und in den USA abstimmen und Gegenmaßnahmen ergreifen.

„Vermutlich geht es auch einfach darum, dem Finanzmarkt ein Zeichen zu geben, dass nach den schlechten finanziellen Ergebnissen nun etwas getan wird“, vermutet indes Soziologe Beverungen.

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