
Amazons jüngster Coup ist weder digital noch auf den ersten Blick attraktiv. Es ist ein grau-brauner Klotz mitten in Manhattan. Amazon, die "Feuerwalze", die unsere Innenstädte platt macht, geht offline. Der Online-Händler will offenbar noch in diesem Jahr einen eigenen Laden eröffnen.
Zwar schweigt Amazon zu den Plänen, doch die Meldung schlug in der Branche und der Medienwelt ein. Nur: Wirklich überraschend wäre der Schritt nicht. Der Trend zum Multichannel-Handel, zur Verquickung von On- und Offline-Kanälen hält seit Jahren an. Bislang waren es vor allem die stationären Händler, die – lange mehr schlecht als recht – das Internet für sich entdeckten. Rund jeder dritte stationäre Händler ist laut dem Handelsverband Deutschland (HDE) mittlerweile auch im Netz vertreten.
Schon länger nimmt die Gegenbewegung an Fahrt auf. Weltweit investieren immer mehr Online-Händler in den Aufbau von stationären Läden – quer durch alle Branchen. In Deutschland haben etwa die Computerhändler von notebooksbilliger.de und Cyberport eigene Läden eröffnet – ebenso das Möbelportal Fashion4Home. Die Müsli-Mixer von mymuesli.de vertreiben ihre Produkte mittlerweile in eigenen Geschäften. Selbst Deutschlands Vorzeige-Onliner Zalando betreibt in Berlin einen Outletstore.
Die Konzepte dahinter sind unterschiedlich. Sie reichen von besseren Lagerhallen über einfache Abholshops bis hin zu edel eingerichtet Läden nach Apple-Vorbild. Das zeigt: Offline ist für Online-Händler längst attraktiv geworden.
Was bedeutet überhaupt Multi-Channel?
Kaum ein Begriff wird in der Handelsbranche derzeit so intensiv diskutiert, wie das Multi-Channel-Retailing (Mehrkanalhandel). In der Diskussion, wie auch in den Medien, werden unter dem Oberbegriff dabei verschiedene Ausprägungen synonym verstanden. Ein kurzer Überblick.
Quelle der Begriffsdefinitionen: HandelsMonitor 2014. (R)Evolution des Mehrkanalhandels, dfv Mediengruppe
„Beim Multi-Channel-Retailing setzen Handelsunternehmen parallel mehrere Kanäle zur Distribution ein, die einheitlich markiert sind und einen wesentlichen Sortimentszusammenhang aufweisen. Die Kunden können somit zwischen den alternativen Absatzwegen eines Handelsunternehmens wählen.“
Beispiel: Der Kunde kann ein Produkt sowohl online als auch im laden kaufen.
„Das Cross-Channel-Retailing geht durch die integrative Verknüpfung der einzelnen Kanäle zur Schaffung eines nahtlosen Einkaufserlebnisses über alle Kanäle hinweg einen Schritt weiter als das Multi-Channel-Retailing. Hierdurch wird den Kunden proaktiv ein Kanalwechsel zu jeder Zeit des Kaufprozesses und über alle Touchpoints hinweg ermöglicht.“
Beispiel: Der Kunde bestellt ein Produkt online und holt es im Laden ab.
„Omni-Channel-Retailing bezeichnet die vollständige Integration aller Kanäle über alle Prozesse hinweg. Den Kunden wird die parallele Nutzung von Kanälen durch die ganzheitliche Verknüpfung in jeder Kaufphase ermöglicht.“
Beispiel: Der Kunde scannt im Geschäft mit der Shopping-App des Händlers auf seinem Smartphone des Barcode eines Produktes, und erhält so zusätzliche Informationen und Online-Kundenbewertungen.
Handelsexperten sind sich einig, dass der Verknüpfung der Kanäle in Zukunft eine hohe Bedeutung zukommen wird und dass sie stationären Händlern eine Chance im Wettbewerb mit reinen Online-Anbietern gibt.
Wie viele von ihnen in den letzten Jahren in Deutschland den Schritt in den stationären Handel gewagt haben, ist unklar. "Der Trend geht aber definitiv in diese Richtung", sagt HDE-Sprecher Stefan Hertel.
Vom großen Boom will Martin Groß-Albenhausen, Experte des E-Commerce-Verbands bevh noch nicht sprechen. Gemessen an der Zahl der Online-Händler, die nicht auf einem bestehenden Handelsgeschäft aufsetzen, sei die Zahl recht klein. "Wir sehen allerdings, dass etablierte und finanziell über Wagniskapital gut ausgestattete Onlinehändler mit Shops experimentieren."
Experiment mit hohem Risiko
Das hat Gründe. Die Unternehmer gehen mit ihrer Offline-Offensive ein Risiko ein. Beispiel Cyberport: Kaum ein deutscher Online-Händler treibt die stationäre Expansion so voran wie der Computer- und Technikspezialist. Anfang Oktober hat Cyberport in München seinen 14. Store eröffnet. Das Unternehmen betreibt unter anderem Läden in Berlin, Stuttgart, Hamburg, Köln, Dresden und Wien. Weitere sollen folgen.
Das Unternehmen gibt sich Mühe, mit seinen Geschäften aus der Masse heraus zu stechen. Im neuen Laden haben Kunden nicht nur die Möglichkeit Produkte zu testen und anzufassen. Über Tablets oder über eine per Gesten gesteuerte Wand können sie im Onlineshop stöbern, Testberichte und Kundenbewertungen lesen oder Vergleichslisten anlegen .Alles wird auf schick, hip und kundenfreundlich getrimmt.
Gemessen an Wachstumszahlen geht die Strategie offenbar auf. Der Schritt in die Fußgängerzone beschert dem Unternehmen viele neue Kunden. Laut dem aktuellsten veröffentlichten Geschäftsbericht steigerte der Onlinehändler seinen Umsatz 2012 im Vergleich zum Vorjahr um satte 48 Prozent auf rund 538 Millionen Euro.