Deutschlands Bäcker „Das Tankstellen-Brötchen ist schon nach ein paar Stunden Pappe“

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„Die Kunden lehnen die Bons ab“

Was genau hat sich denn verändert?
Allein schon der technologische Hintergrund und die Kenntnisse über Ernährungslehre, die heute vermittelt werden. Etwa das Wissen um vegane oder lactosefreie und glutenfreie Zutaten. Das hat doch früher niemanden interessiert. Heute ist das ja fast ein kleines Chemiestudium. Hinzu kommt die Anlagentechnik – und damit meine ich nicht die vollautomatischen Brezelroboter. Wir haben zum Beispiel einen Klimaraum, der hat gerade jetzt eine Temperatur von minus sieben Grad. Morgen früh ist er dagegen fast 20 Grad warm. Auch das Verständnis für Temperaturen und deren Entwicklung bei den unterschiedlichen Teigen ist wichtig. Diese ebenso modernen wie traditionell arbeitenden Handwerksbetriebe werden auch keine Zukunftssorgen haben. Sie werden vom Kunden immer wieder gefunden.

Aber man muss sie eben suchen, weil sie so selten geworden sind.
Da müssen wir kein Geheimnis draus machen. Das ist leider so. Vor 20 Jahren gab es noch weit über 30 000 Handwerksbäckereien, heute sind es kaum noch 11.000 Betriebe. Das ist dramatisch und alarmierend. Wenn kein Umdenken im Einkaufsverhalten der Verbraucher stattfindet, dann schrumpft die Zahl auch ganz schnell auf nur noch ein paar tausend Bäckerbetriebe.

Das wäre dann wohl das Ende der deutschen Brotkultur, die seit 2014 von der UNO-Unterorganisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur in die exklusive Liste schützenswerter Güter aufgenommen wurde - also Weltkulturerbe ist.
Nein, dass das glaube ich nicht. Es wird immer Bäcker geben, die exzellentes Brot backen. Das ist nicht das Ende, auch kein Niedergang einer Branche, allenfalls eine Bereinigung. Man darf ja auch nicht vergessen, dass sich die Versorgungssituation dramatisch verändert hat. Nach dem Krieg gab es in jedem Dorf eine Bäckerei als Nahversorger. Meine Großeltern haben nebenher noch Feinstrumpfhosen und Sauerkraut verkauft.

Sie stehen häufig in der Öffentlichkeit, sind Weltbäcker des Jahres 2018, Gründungsmitglied der deutschen Bäckernationalmannschaft, haben Backsendungen im TV gedreht und sind Buchautor. Stehen Sie eigentlich noch selber in der Backstube?
Das ist bei mir ein besonderer Fall. Ich habe seit fast 20 Jahren ein Berufsverbot. Ich habe Asthma, ich habe Neurodermitis und Allergien. Also so ziemlich alles, was man als Bäcker nicht brauchen kann. Aus diesen Gründen hätte ich den Betrieb von meinen Eltern gar nicht übernehmen dürfen. Aber ich hätte mir nichts anderes vorstellen können und möchten, als den Betrieb in sechster Generation weiter zu führen. Ich bin leidenschaftlicher Bäcker und das ist mein Leben. Ich bin fast jeden Tag im Betrieb und auch in der Backstube. Aber eben nicht mehr als Bäcker, sondern mehr als Dirigent. Ich schaue nach den Strukturen und Abläufen. Ich achte darauf, dass alles reibungslos funktioniert und zusammenpasst. Und ob die Brezel von mir oder von einem Lehrling geschwungen wurde, da darf der Kunde ohnehin keinen Unterschied sehen und schmecken.

Einen Unterschied spürt der Kunde jedoch seit Jahresbeginn: Beim Brötchen- oder Brezelkauf bekommt er einen Kassenbon gedruckt. Werden Sie die Bons auch sammeln, um sie säckeweise beim Finanzamt abzuliefern, wie es einige Kollegen vorhaben?
Darüber haben wir noch nicht entschieden. Aber im Ernst: Wir hätten es in unseren Filialen auch gerne digital gelöst, aber wir drucken die Bons aus. Die Kunden lehnen die Bons jedoch ab, sie möchten sie nicht haben und damit bleiben sie in großen Mengen bei uns liegen. Insgesamt sehen wir das aber weniger dramatisch. Wenn Sie in Italien eine Kugel Eis essen, dann bekommen Sie auch einen Bon. Dennoch ist es völlig unnötig, für eine Brezel einen Bon auszustellen. Wenn jeder seine Steuern anständig zahlen würde, hätten wir uns das alles ersparen können.

Mehr zum Thema: Während herkömmliche Bäckereiketten reihenweise in die Pleite schlittern, expandieren hippe Newcomer. Den Unterschied macht eine sehr simple Strategie.

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