Bäckerhandwerk Oberster Bäcker-Funktionär: „Könnte mit Kompromiss leben“

Daniel Schneider, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks e.V. Quelle: Presse

Daniel Schneider, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des deutschen Bäckerhandwerks, über seinen Streit mit der Kanzlerin bei der Bonpflicht der Bundesregierung, den neu entdeckten Umweltschutz des Bäckerhandwerks – und den wohl größten PR-Coup seit Erfindung der Bäckerblume.

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Herr Schneider, Ihr Verband hat kürzlich ausgerechnet, dass die neue Bonpflicht ab 1. Januar zu einer Papierflut im deutschen Handel führen würde, angeblich summieren sich die neuen Bons auf eine Strecke, zweieinhalb Mal von der Erde bis zum Mond. Seither wird – politisch und medial – erbittert über den Bäcker-Aufschrei gestritten. Sind Sie überrascht von Ihrem PR-Erfolg?
In der Tat. Dass es sich so lange und so präsent in der medialen Diskussion hält, hat uns erstaunt und natürlich auch gefreut. Eigentlich steht die Beleg-Ausgabe-Pflicht ja seit Jahren fest. Warum also jetzt? Wir haben das Thema hochgezogen, weil in dem Anwendungserlass des Bundesfinanzministeriums zum neuen Kassengesetz eine eigentlich mal von allen Kreisen akzeptierte Ausnahme nicht mehr enthalten ist. Ursprünglich hieß es mal, ein Viertel aller Kassen, also etwa kleine Handwerksbetriebe wie Fleischer oder Bäcker, sollten die Möglichkeit bekommen, sich von der Bonpflicht zu befreien. Das ist nun nur noch unter sehr restriktiven Bedingungen und in absoluten Ausnahmefällen vorgesehen.

Verständlich. Schließlich kostet es den Staat – und damit uns alle - bis zu zehn Milliarden Euro jährlich, weil Umsätze im Handel oder in der Gastronomie nicht gebongt oder an der Kasse vorbei gemacht werden. Was ist das Problem an einer Bonpflicht?
Ich will nicht bestreiten, dass es auch im Bäckerhandwerk schwarze Schafe geben mag. Und wir wollen uns keinesfalls schützend vor diese stellen. Auch haben wir kein Problem mit der Einführung manipulationssicherer Kassen. Es geht uns nur um die Bonausgabepflicht, die eben obendrauf kommt und in der jetzigen Form überflüssig ist. Mehr Bons bedeuten für die Bäcker eben auch mehr Kosten. Je nach Länge der Bons sind das Mehrkosten von mehreren Tausend Euro im Jahr für die Papierrollen.

Dann ist es natürlich ein riesiger Müllberg. Und: es ist überflüssig. 97 Prozent der Kunden beim Bäcker wollen keinen Bon, die 3 Prozent, die ihn mitnehmen brauchen ihn für das Büro, weil sie für Freunde oder den Kindergarten einkaufen oder sonstiges. Der Rest wirft den Bon in den Müll, der Bäcker muss das entsorgen. Hinzu kommt eine Datenschutz-Problematik: da muss ja nur jemand am Abend den Papierkorb der Bäckereien durchsuchen und findet da hunderte Bons mit Produkt, Name der Kassiererin, Umsatz und so weiter. Das muss also alles datenschutzkonform geschreddert werden. Zudem sind Bons aus beschichtetem Papier, das kann nicht einfach in den Reißwolf für Papier. Und es ist ein zusätzlicher zeitlicher Aufwand.

Alles Probleme, die sich lösen lassen. Die Branche hatte drei Jahre lang Zeit, sich auf die Bonpflicht einzustellen. Und das Bundesfinanzministerium sieht eigens vor, dass Bons auch digital an den Kunden übergeben werden können, etwa per Email oder per „near-field-communication“ direkt aufs Handy.
Wir sind bis zum Anwendungserlass des Bundesfinanzministeriums im Sommer 2019 ja von der sachgerechten Anwendung der Ausnahmevorschrift ausgegangen. Und was die digitale Belegausgabepflicht anbelangt: Das macht doch keiner. Der Durchschnitts-Bäckerkunde, gerade auf dem Land, ist weit weg davon, digital oder per Kreditkarte zu bezahlen oder für ein 30-Cent-Brötchen eine Mailadresse für den Beleg zu hinterlegen. So weit ist der Markt schlichtweg noch nicht. Und natürlich ist die Steuerhinterziehung ein Punkt. Aber der Durchschnittsbon in einer deutschen Bäckereifiliale beträgt 3,50 Euro. Wer da im großen Stil Steuern hinterziehen will, muss sich schon ganz schön strecken. Da wird vom Gesetzgeber mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Zumal das Finanzamt ja weiterhin und jederzeit in Bäckereien gehen kann, um Testkäufe zu machen.

Aber wir brauchen uns doch nicht darüber zu unterhalten, dass es Steuerbetrug gibt: viele Bäcker haben heute angeschlossene Cafés, das sind halbe Restaurants, da liegt der Durchschnittsbon – und damit die Betrugswahrscheinlichkeit – deutlich höher. Die Bonpflicht hilft, das zu unterbinden.
Nochmal: Der Durchschnittsbon im Bäckerhandwerk beträgt 3,50 Euro. Da sind die Cafés schon mitgerechnet. Und selbst im Cafè werden nicht flächendeckend und in großem Stil Steuern hinterzogen. Das ist schlichtweg nicht so. Deshalb ist die Maßnahme vollkommen unverhältnismäßig aus unserer Sicht. Der Kunde soll hier zum verlängerten Arm der Finanzverwaltung werden.

Sie haben bei Ihrer PR-Kampagne von Beginn an stark auf den Umweltaspekt gesetzt und ausgerechnet, dass die zusätzliche Bon-Flut Tonnen zusätzlichen Mülls und eine Strecke, die zweieinhalb Mal von der Erde zum Mond reicht, ergäbe. Ist das nicht etwas populistisch?
Ganz und gar nicht. In einer Zeit, wo wir versuchen, Ressourcen zu schonen und die Umwelt zu schützen, sind diese Müllberge nicht zu verantworten. Auch nicht gegenüber den Kunden. Als das Kassengesetz vor drei Jahren beschlossen wurde, waren die Themen Umweltschutz, Ressourcenschonung, Fridays for Future, Greta Thunberg einfach noch nicht so omnipräsent. Wir hatten gerade erst eine Debatte über die Abschaffung von Coffee-to-go-Bechern oder ein Pfandsystem für den Kaffee zum Mitnehmen. Vor diesem Hintergrund ist es doch abstrus zu sagen: wir wollen den Einwegbecher abschaffen und führen aber Millionen neue Pflichtbons ein, die kein Mensch haben will.

Wir haben das mal nachgerechnet: Durch die neuen Bons stiege die Gesamt-Müllmenge in Deutschland wohl gerade einmal um 0,0004 Prozent. Dafür sollen wir auf 10 Milliarden Euro Steuer-Mehreinnahmen verzichten?
Die Rechnung kann ich jetzt nicht nachvollziehen. Experten sagen: Durch die zusätzlichen Bons muss pro Stunde ein Baum mehr gefällt werden. Am Ende hätten wir natürlich gerne, dass die Bon-Ausgabe-Pflicht als Ganzes wegfällt. Aber ich glaube nicht, dass das noch vor dem 1. Januar realistisch ist. Ich könnte deshalb auch mit einem Kompromiss leben, wie er derzeit in Frankreich diskutiert wird. Dort sollen Bons erst ab bestimmten Umsatzgrenzen ungefragt ausgegeben werden, etwa ab einem Einkaufswert von 10 Euro. Ein Anspruch auf einen Bon besteht natürlich immer; es geht uns nur um die Bonausgabe, die nicht vom Kunden gewünscht wird.

Klingt, als wären Sie diskussionsbereit. Bundeskanzlerin Angela Merkel scheint es weniger zu sein. In der Regierungsbefragung am Mittwoch sagte Sie, man werde auf die Bonpflicht nicht verzichten – und verwies auf die Recherchen der WirtschaftsWoche zum Betrug bei der Mehrwertsteuer.
Das widerspricht nicht unserer Kompromisslinie. Kanzlerin Merkel deutete nämlich auch an, dass es Ausnahmen geben könnte, wenn diese sachgerecht seien. Ich sehe dies in Branchen mit geringem Durchschnittsbon, wenigen Kunden, die einen Bon benötigen und Waren, die schnell verbraucht sind. Wie eben beim Bäcker. Insofern hoffe ich, dass sich im neuen Jahr doch noch eine gute Lösung findet.

Merkel: „Ich empfehle die Lektüre der WirtschaftsWoche“

Mehr zum Thema: In Restaurants, Kiosken und auf Wochenmärkten spielt sich Deutschlands größter Steuerskandal ab: Vor den Augen aller versickern Umsätze, die nie in einer Steuererklärung stehen werden. Die Anatomie eines Staatsversagens. Lesen Sie hier die große Analyse der WirtschaftsWoche.

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