Einkaufserlebnis Warum Händler ihre Läden digital aufrüsten

Oaklabs digitaler Spiegel Quelle: Getty Images

Werbung aufs Handy und Selfies aus der Umkleidekabine: Händler versuchen die digitalen Wunderwerke auch in ihre analogen Läden zu bringen. Aber was will der Kunde dabei wirklich?

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Der große Spiegel an der rechten Wand, direkt hinter der Eingangstür, reflektiert die weißen Tops und schwarzen Röcke von der Kleiderstange gegenüber. Einzig die blaue Linie auf Brusthöhe irritiert die Besucher der Modeboutique von Rebecca Minkoff in Soho, dem Nobel-Shoppingviertel in New York. Deren erster Impuls: das Glas berühren.

So soll es sein – denn der Spiegel ist mit Touchscreen-Technologie ausgestattet. Bei Berührung öffnet sich ein Menü. Die Gäste können sich durch ein Stylebook der Designerin blättern, oder einen Kaffee bestellen.

Die On- und Offline-Welt verschmelzen immer stärker: Designer bieten ihre Produkte  nicht mehr nur in der hippen Hinterhofboutique an – sondern auch über einen Webshop, mit dem sie die ganze Welt erreichen. Und jene Händler, die wie Ebay oder Zalando im Netz groß geworden sind, eröffnen ihrerseits Pop-up-Stores oder wie Amazon gar: ganz gemütliche Buchläden. Beim Einkaufen, da gibt es kein „Entweder Oder“, sondern nur ein „Sowohl als auch“.

Wie sich das analoge Kauferlebnis mit digitaler Technologie aufmotzen lässt, zeigt kaum eine Händler so anschaulich wie Rebecca Minkoff in ihrem Szeneladen: „Wir wollen ein Einkaufserlebnis schaffen und das Beste aus Online- und Offline-Welt kombinieren“, sagt sie. Dazu gehört die Glaswand im Eingangsbereich, vor allem aber die aufgerüsteten Umkleidekabinen. Auch hier sind die Spiegel mehr als nur eine Möglichkeit, sich selbst zu betrachten: Anhand von Sensoren an den Kleiderstücken, erkennt der Spiegel, welche Teile in die Anprobe genommen werden – und projiziert diese auf Wunsch auf den Bildschirm.

Zusätzlich zeigt der Spiegel, in welchen Größen und Farben der Artikel außerdem erhältlich ist. Und er reicht Tipps der Designerin weiter, wie die Oberteile und Kleider am besten kombiniert werden können. Ähnlich wie im Internet. Passt ein Teil nicht, lässt sich digital eine andere Größe in die Kabine nachbestellen. „Jede Frau hasst es, halbnackt die Umkleide verlassen zu müssen, auf der Suche nach einer Verkäuferin oder einer anderen Kleidergröße“, sagt Minkoff. Dank der „magischen Spiegel“ sei das nicht mehr notwendig.

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Die Boutique in New York räumt auch mit einem weit verbreiteten Missverständnis auf: Wer die digitalen Möglichkeiten nutzen will, der sollte seinen Laden nicht mit technischen Spielkram überfrachten – sondern kluge Algorithmen und praktische Apps so einsetzen, dass sie dem Kunden dienen statt ihn abzulenken, zu verwirren, zu nerven.

Von zu vielen Werbemails aufs Smartphone zum Beispiel hält Andreas Bartmann nichts: „Es hat doch keinen Sinn, wenn die alle fünf Meter von irgendeinem Laden eine Botschaft auf ihr Handy bekommen – wir wollen die Menschen ja nicht vergraulen.“

Wie Online-Modehändler zum Einkaufen verführen
Kleidung haben die Menschen in Deutschland oft im Überfluss. „Unsere Kleiderschränke sind schon relativ voll“, sagt Handelsexperte Martin Fassnacht von der WHU Otto Beisheim School of Management. Online-Shops lassen sich deswegen einiges einfallen, damit Kunden Geld bei ihnen lassen. Quelle: dpa
Das extralange Rückgaberecht:Die Hose könnte ich noch 98 Tage zurückschicken? Einige Händler werben online mit der langen Rückgabe für ungetragene Kleidung. Das sei eine Möglichkeit, die Scheu der Menschen vorm Online-Kauf zu überwinden, erklärt Marketingexperte Florian Stahl von der Universität Mannheim. Und für die Textilbranche wird das Online-Geschäft wichtiger, fast jeder fünfte Euro im Bereich Fashion und Lifestyle wurde nach Angaben des Handelsverbands Deutschland 2015 online umgesetzt. Das Rückgaberecht sei quasi eine „erweiterte Umkleidekabine“, erklärt auch Fassnacht. Quelle: dpa
Der Kniff mit Empfehlungen:Häufig surfen Kunden durch den Shop - und im virtuellen Warenkorb landen mehr Artikel als vorgesehen. Händler arbeiten dabei auch mit Empfehlungen - und schlagen ähnliche Produkte vor. Sie nutzen die Daten, die wir im Netz hinterlassen. Und plötzlich wird uns auch auf anderen Seiten die passende Werbung angeboten. Auch bei Retouren fragen Unternehmen häufig, warum Kunden etwas zurückschicken. Solche Daten werden nach Angaben Stahls auch genutzt, um den Kunden besser kennenzulernen. Quelle: dpa
Erzähle eine Geschichte:Im Laden soll Kleidung gut wirken und wird entsprechend präsentiert - das passiert auch online, mit Bildern und Videos. Einkaufsseiten bieten Blogs, Tipps und Szene-Geschichten. Manche versuchen, Exklusivität mit Clubs zu fördern. „Geschichten um Kleidung, das kann man online gut machen“, erklärt Handelsforscher Fassnacht. Auch über soziale Medien wie Facebook und Instagram wird Kleidung vermarktet. „Der Weg von Facebook zum Verkauf ist aber nach wie vor ein langer Weg“, sagt Fassnacht. Quelle: dpa
Der Trick mit dem Gutscheinfeld:Denn vieles von dem, was Menschen in den Warenkorb legen, kaufen sie am Ende nicht unbedingt. Unternehmen probieren daher mittels Marktforschung aus, wann Kunden tatsächlich auf „bestellen“ klicken. Ein Klassiker sei das Gutscheinfeld, sagt Marketingexperte Stahl. Wenn vor dem Bezahlen ein Feld für einen Gutscheincode stehe, führe das zu höheren Abbruchquoten - „weil die meisten Leute dann das Gefühl haben: „Oh, ich zahle vielleicht zu viel, weil ich keinen Gutschein zur Hand habe““. Das Feld ein wenig zu verstecken, könnte Verkäufe fördern. Quelle: dpa
Der Größen-Assistent:Online-Einkäufe haben einen Nachteil: Man kann die Stücke nicht sofort anprobieren. Und wer mehrere Größen bestellt, beschert Unternehmen teure Retouren. Die Anbieter versuchen deswegen, Kunden die richtige Größe zu empfehlen. Start-ups wie Fit Analytics aus Berlin wollen dafür Tools an die Händler verkaufen. Denkbar ist auch, künftig über Virtual-Reality-Brillen einkaufen zu gehen. „Unser ganzes Einkaufsverhalten wird virtueller werden“, sagt Fassnacht. Könnten solche Brillen irgendwann Läden ablösen? Es werde eine kleine Gruppe von Menschen dafür geben, sagt auch Stahl. „Ich würde nicht behaupten, dass das die große, große Mehrheit sein wird.“ Quelle: dpa
Kaufen im Pack:Seiten wie Outfittery und Modomoto werben damit, dass Männer ganze Outfits bekommen. Mit Fragen wie „Wie alt fühlen sie sich?“ sollen die Herren online beraten werden, nach Hause kommt gleich ein Koffer mit Outfits. Die Hoffnung: Man kauft Dinge mit, die man einzeln im Laden vielleicht nicht ausgesucht hätte, wie Stahl erklärt. Die Idee des „Bundling“ (Bündeln) findet man auch in anderer Form - etwa bei Anbietern von Socken-Abonnements. Quelle: dpa

Der Hamburger ist einer von drei Geschäftsführern bei Deutschlands größtem Ausrüster für Abenteurer: Globetrotter verkauft in seinen zwölf Kaufhäusern und Läden Kanus und Klettergurte, Wanderstiefel und Wasserflaschen. Wer hier einkauft, denkt an Wildnis. Bartmann inszeniert seine Geschäfte deshalb auch mit Regendusche, Kletterwänden und Ameisenstaat unter Glas. „Man darf dem Kunden nicht zu sehr auf die Pelle rücken“, betont Bartmann.

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