Kaiser's Tengelmann Handelsikone in Auflösung

Die Spitzenmanager haben sich zu einem letzten Rettungsversuch getroffen. Doch viele Mitarbeiter haben die Supermarktkette längst verlassen, auch die Kunden bleiben weg. Der ehemalige deutsche Marktführer ist am Ende.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Proteste bei der Betriebsversammlung auf dem Gelände des Logistikzentrums in Viersen. Quelle: dpa

Es war einer der emotionalen Höhepunkte der Betriebsversammlung bei Kaiser‘s Tengelmann am Mittwochnachmittag in Viersen. Sichtlich erregt rief eine Mitarbeiterin: „Wenn Herr Haub sich wirklich Sorgen um die Mitarbeiter machen würde, dann wäre er jetzt hier bei uns. Wo ist er eigentlich?“ Nach kurzem Schweigen antwortete ein Betriebsrat: „Den haben wir nicht eingeladen.“

Auf die Unterstützung des Eigentümers Karl-Erivan Haub zählen die Mitarbeiter der schwer angeschlagenen Supermarktkette offenbar nicht mehr. Spätestens seit er vor zwei Wochen angedroht hat, am morgigen Freitag die Zerschlagung des Unternehmens zu starten, wenn sich nicht in letzter Minute eine Lösung findet, haben wohl auch die letzten loyalen Tengelmänner und Kaiserianer den Glauben verloren.

Fast alle Fragen der verunsicherten Kollegen an die Betriebsräte kreisen zurzeit um die Folgen einer Zerschlagung. Welche Kündigungsfristen gelten dann? Gibt es eine Transfergesellschaft? Wie hoch werden mögliche Abfindungen sein? Übernehmen Käufer einzelner Filialen auch das Personal?

Wer kann, hat gar nicht abgewartet, ob das heutige Spitzentreffen zwischen Haub, Edeka-Chef Markus Mosa, Rewe-Chef Alain Caparros und Vertretern von Markant, Norma und Verdi doch noch Chancen auf eine Rettung bietet. Hunderte sind bereits zu anderen Unternehmen gewechselt. „Wenn ich zurzeit eine Stelle ausschreibe, bewerben sich teilweise bis zu 50 Mitarbeiter von Kaiser’s Tengelmann“, berichtet ein Konkurrent.

Das hat schon Spuren hinterlassen. In der Zentrale in Mülheim an der Ruhr haben bereits 100 von 400 Mitarbeitern gekündigt, berichtet Geschäftsführer Raimund Luig. Die IT-Abteilung ist kaum mehr arbeitsfähig, auch im Einkauf läuft es nicht mehr rund.

Ende 2015 hat das Unternehmen die Zahl der Mitarbeiter noch mit 15.649 angegeben; jetzt ist nur noch von 15.000 die Rede. Doch auch diese Zahl dürfte schon wieder überholt sein. Denn seit Beginn der Fusionsverhandlungen sind bereits rund 40 Läden geschlossen worden, weil die Mietverträge ausgelaufen sind. Hier dürfte es noch etliche unfreiwillige Abgänge gegeben haben.


„Dramatischer Anstieg der Verluste“

Dazu kommt: Nur rund 4.400 Mitarbeiter waren befristet angestellt. Auch davon dürften etliche Verträge mittlerweile ausgelaufen sein. Außerdem waren fast ein Drittel der Beschäftigten nur geringfügig beschäftigt. Da ist die Fluktuation erfahrungsgemäß sehr hoch.

Auch das Geschäft bricht zunehmend weg. Das Unternehmen selber hat schon öffentlich eingeräumt, dass Kundenzahlen und Umsätze sinken. „Ein dramatischer Anstieg der monatlichen Verluste und die Verschlechterung der Unternehmenssubstanz sind die Folgen“, hieß es in einer Mitteilung. Allein in diesem Jahr dürften sich die Verluste auf über 90 Millionen Euro summieren. Auch der Umsatz, so Geschäftsführer Luig, sei in diesem Jahr um 13,5 Prozent abgestürzt.

Vor zwei Jahren schon sollte das Unternehmen an Edeka verkauft werden. Doch seitdem stoppen juristische Auseinandersetzungen den Vollzug. Erst legte das Bundeskartellamt sein Veto ein, dann stoppte das Oberlandesgericht Düsseldorf auf Antrag der Konkurrenten Rewe und Norma und des Einkaufsverbundes Markant die Ministererlaubnis. „Für das weitere Beschreiten des Rechtsweges wären vermutlich weitere zwei Jahre erforderlich – Zeit, die wir nicht mehr haben. So lange können wir die Aufrechterhaltung eines ordentlichen Geschäftsbetriebes nicht mehr gewährleisten“, gibt Tengelmann-Chef Haub zu.

Eine allerletzte Hoffnung setzen die Mitarbeiter in die Spitzenmanager der beteiligten Unternehmen, die am heutigen Donnerstag in einem Hotel in Frankfurt zusammensitzen, um vielleicht doch noch eine Rettung auszutüfteln. Zeitgleich trafen sich in Berlin 2.500 Mitarbeiter von Kaiser’s Tengelmann, um den Druck auf die Entscheider hoch zu halten. „Wir sind keine Spielbälle von Managern und Behörden“, rief die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Janetta Jöckeritz den Kollegen zu und appellierte, das Unternehmen als Ganzes zu erhalten.

Doch egal, wie die Entscheidung ausfällt – in seiner ursprünglichen Form ist Kaiser’s Tengelmann ohnehin nicht zu retten. Nach Jahren des Überlebenskampfs ist von der ehemaligen Ikone des Handels, die in den 70er-Jahren noch Marktführer im deutschen Lebensmittelhandel war, nicht mehr viel übrig.

Das sehen auch viele Mitarbeiter so. „Ich will doch nur einen Job – egal wie und wo“, sagt eine Verkäuferin. Die Entscheidungen der Manager versteht sie schon lange nicht mehr.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%