Diese Nachricht vom Dienstag, 2. Februar 2021 ist überholt. Mittlerweile gibt es eine Stellungnahme der Bundesernährungsministerin Julia Klöckner zu dem Sachverhalt. Im Gespräch mit der WirtschaftsWoche sagte Klöckner, das konkrete Produkt von Ritter Sport sei doch Schokolade. Mehr dazu können Sie hier nachlesen.
Der Schokoladenhersteller Ritter Sport bringt eine neue Schokolade auf den Markt - und darf diese in Deutschland streng genommen nicht als solche bezeichnen.
Was zunächst kurios klingt, hat einen lebensmittelrechtlichen Hintergrund: Laut der deutschen Verordnung über Kakao- und Schokoladenerzeugnisse aus dem Jahr 2003 besteht eine Schokolade nicht nur aus Zutaten wie Kakaomasse, Kakaopulver und Kakaobutter, sondern zwingend auch aus Zucker. Dieser Zucker aber fehlt im neuen Ritter-Sport-Produkt mit dem Namen Cacao y Nada. Zum Süßen verwendet das Unternehmen aus Waldenbuch bei Stuttgart nach eigenen Angaben stattdessen natürlichen Kakaosaft, den es auf einer Plantage in Nicaragua extra aus Kakaofrüchten gewinnt.
Die Kakaoverordnung ist eine Art gesetzliches Rezeptbuch – wer dagegen verstößt, riskiert Geldstrafen und im Extremfall gar einen behördlich verordneten Verkaufsstopp. Ritter Sport beklagt, das deutsche Lebensmittelrecht sei in diesem Punkt nicht mehr zeitgemäß.
Dass eine Schokolade, die zu 100 Prozent aus Kakao bestehe, ohne den Zusatz von Zucker hierzulande nicht als solche bezeichnet werden dürfe, sei „absurd“, sagte Firmenchef Andreas Ronken laut Mitteilung vom Montag. „Wenn Wurst aus Erbsen sein darf, braucht Schokolade auch keinen Zucker. Aufwachen!“ Eine Ritter-Sport-Sprecherin sagte auf Anfrage, man setze sich für eine Änderung der Verordnung ein.
Dass dieser Versuch von Erfolg gekrönt sein wird, darf bezweifelt werden, denn Ritter Sport ist nicht das erste Unternehmen, das versucht die Verordnung für bestimmte Lebensmittel verändern zu lassen, weil weniger Zucker im Produkt ist. Auch andere Unternehmen aus der Lebensmittelbranche kämpften bereits mit „zu geringem“ Zuckeranteil. Etwa der Getränkehersteller Lemonaid, der seine Fruchtdrinks nicht Limonade nennen darf. Weil sie zu wenig Zucker enthalten. Lemonaid war im vergangenen Jahr von den Verbraucherschutzbehörden der Städte Hamburg und Bonn tatsächlich dafür abgemahnt worden, dass ihre Getränke zu wenig Zucker beinhalteten, um sich Limonade nennen zu dürfen. Diesen Vorwurf wies der Hamburger Hersteller zurück: Eine Mindestgrenze für Zucker zu formulieren halte er für einen „fatalen Denkfehler, der der Gesellschaft nur schade“. Trotz offizieller Beschwerden Lemonaids, und trotz der Unterstützung großer Erfrischungsgetränkehersteller für die Einführung einer zusätzlichen Kategorie namens „Leichte Limonade“, lehnte die für die Definitionen von Lebensmitteln zuständige Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission jedwede Änderungen ab und will weiter an der Mindestzuckergrenze festhalten.
Ähnlich skurriles erlebte The Nu Company. Das Unternehmen verkauft den Nucao-Riegel. Der kommt mit 65 Prozent weniger Zucker aus als die herkömmliche Konkurrenz. Aber Schokoriegel darf der vegane Snack nicht genannt werden. Nicht etwa, weil Schokolade fehlt, sondern, Achtung, Milchpulver. „Wir können nicht akzeptieren, dass die Politik Lobbyarbeit für Lebensmittel betreibt, die völlig überzuckert sind“, sagte The-Nu-Company-Chef Mathias Tholey im Oktober der WirtschaftsWoche.
Ritter Sport lässt sich vom Satus quo allerdings zunächst nicht den Verkaufsstart verderben. Auf den deutschen Markt bringen will das Unternehmen sein neues Produkt nämlich dennoch – nur eben nicht als „Schokolade“, sondern beispielsweise unter dem Label „Kakaofruchttafel“.
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